Ur-Gemeinde. Frank Viola

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Traditionen haben unser Denken so sehr geprägt, unsere Herzen derart für sich eingenommen und unseren Wortschatz in einem Ausmaß beeinflusst, dass wir jedes Mal, wenn wir unsere Bibel aufschlagen, die gerade aktuellen kirchlichen Bräuche in den Text hineinlesen.

      Der Philosoph John Locke hat das Problem auf den Punkt gebracht. Er schreibt:

      Wenn das Neue Testament jedoch in chronologischer Reihenfolge und ohne Kapitel- und Verseinteilung gelesen wird, entfaltet sich eine wunderbare Erzählung. Die Geschichte bekommt Fleisch und Blut. Wenn wir das Neue Testament jedoch so lesen, wie es in den gängigen Bibelausgaben vorliegt, lesen wir eine zerstückelte Geschichte. Es fehlt der rote Faden.

      Die griechische Mythologie berichtet von einem Mann namens Prokrustes. Er stand in dem Ruf, ein magisches Bett zu besitzen, das die einzigartige Eigenschaft hatte, jeden, der sich hineinlegte, der Größe des Bettes „anzupassen“. War der Gast zu klein, streckte Prokrustes dessen Körper so lange, bis er „passte“. Umgekehrt wurden zu große Gäste grausam gekürzt, bis auch sie „passten“.

      Das moderne Kirchenkonzept gleicht einem solchen Prokrustes-Bett. Bibelstellen, die nicht ins Konzept der institutionalisierten Kirche passen, werden „gekürzt“ oder eben so lange „gestreckt“, bis sie ins Konzept passen. Die Methode „cut-and-paste“ erleichtert dieses Vorgehen. Wir reißen verschiedene Verse aus ihrem chronologischen und geschichtlichen Kontext und fügen sie zusammen, um eine bestimmte Lehre oder Praxis zu begründen. Im Gegensatz dazu gibt uns die chronologische Erzählung die Möglichkeit, unsere Schriftauslegung zu prüfen, und hindert uns daran, nach Gutdünken Verse auszuschneiden und einzufügen, damit die Bibel unsere vorgefassten Meinungen stützt.

      Tatsache ist, dass ein Großteil unserer gängigen Gemeindepraxis nicht biblisch begründet ist. Solche von Menschen erdachten Bräuche stehen im Widerspruch zum organischen Wesen der Gemeinde. Weder geben sie die Wünsche Jesu Christi wieder, noch spiegeln sie sein Hauptsein und sein herrliches Wesen (wozu die Gemeinde eigentlich berufen ist). Stattdessen bezeugen sie die Inthronisierung menschlicher Ideen und Traditionen. Im Ergebnis ersticken sie den natürlichen Ausdruck der Gemeinde. Und wir rechtfertigen alles mit unserer „cut-and-paste“-Hermeneutik.

      Die Beschädigung der gemeindlichen DNA

      Einige Christen haben versucht, eine Reihe unbiblischer kirchlicher Praktiken dadurch zu rechtfertigen, dass sie behaupten, die Gemeinde ändere sich je nach Kultur und müsse sich ihrem jeweiligen Umfeld anpassen, in dem sie lebt. Man meint, Gott billige heute ein klerikales System, eine hierarchische Leiterschaft, passives Zuschauerverhalten im Gottesdienst, die „Ein-Mann-Shows“, den Gedanken des „Zur-Kirche-Gehens“ und eine Vielzahl anderer Bräuche, die im vierten Jahrhundert aufkamen, als die Christen die griechisch-römischen Sitten ihrer Umgebung übernahmen.

      Ist die Gemeinde wirklich in jeder Kultur anders? Und wenn ja, sind wir dann frei, jede Aktivität in unseren Gottesdienst aufzunehmen? Oder könnte es nicht vielmehr sein, dass die Gemeinde heute sowohl in ihrer Theologie als auch in ihrer Praxis ein Zuviel an moderner westlicher Kultur in sich aufgenommen hat?

      Das Neue Testament sieht die Gemeinde eindeutig als eine biologische Wesenheit (vgl. Eph 2,15; Gal 3,28; 1 Kor 10,32; Kol 3,11; 2 Kor 5,17). Sie entsteht dann, wenn der lebendige Same des Evangeliums in die Herzen der Menschen gelegt wird und man ihnen erlaubt, sich ohne äußere Zwänge zu versammeln. Die DNA der Kirche bringt ganz bestimmte erkennbare Merkmale hervor: die Erfahrung authentischer Gemeinschaft, familiärer Liebe, gegenseitiger Unterordnung der Glieder; die Zentralität Jesu Christi; die angeborene Neigung, sich ohne starre Rituale zu versammeln; das instinktive Verlangen nach tiefen Beziehungen mit Jesus Christus als Mittelpunkt; den inneren Wunsch nach Zusammenkünften, in denen man sich frei äußern kann, und den aus Liebe gezeugten Impuls, Jesus einer gefallenen Welt zu offenbaren.

      Während die Saat des Evangeliums diese besonderen Eigenschaften ganz natürlich hervorbringt, kann sich der Ausdruck dieser Merkmale von Kultur zu Kultur unterscheiden. Ich habe zum Beispiel einmal in Chile eine organische Gemeinde gegründet. Die Lieder, die die Geschwister schrieben, die Art, wie sie miteinander umgingen, wie sie saßen, und ihr Umgang mit den Kindern – all das unterschied sich von europäischen und amerikanischen organischen Gemeinden.

      Die Grundmerkmale der DNA teilen sich jedoch alle Gemeinden. Keine organische Gemeinde hat je einen Klerus, einen einzelnen Pastor, ein hierarchisches System oder eine Gottesdienstordnung hervorgebracht, wodurch die Mehrheit zur Passivität verurteilt worden wäre.

      Eine großblättrige Hortensie wird aber niemals Dornen und Disteln hervorbringen oder Orangen und Äpfel. Auch wird sie nie so groß wie eine Kiefer. Warum nicht? Weil die Eigenschaften anderer Pflanzen der Hortensie-DNA fremd sind. So ist es auch mit der Gemeinde Jesu Christi, wenn sie fachmännisch gepflanzt und sich selbst überlassen wird, ohne dass ein Mensch versucht, sie durch institutionelle Zwänge zu bestimmen. Dann bringt sie kraft ihrer DNA ganz bestimmte Merkmale hervor. Wie die großblättrige Hortensie kann die Gemeinde je nach Kultur verschieden aussehen, aber sie behält ihren eigenen unverkennbaren Ausdruck, wenn man ihr nur Raum zur Entfaltung gibt.

      Setzen wir Menschen diesem lebenden Organismus nun unser eigenes gefallenes System auf, verliert die Gemeinde ihre organischen Merkmale und es kommt zu Fehlbildungen und Erscheinungsformen, die ihrer eigenen DNA nicht entsprechen.

      Lassen Sie mich eine tragische Geschichte erzählen, die dies veranschaulicht. Am 4. November 1970 entdeckte man ein außergewöhnliches dreizehnjähriges Mädchen. Seit frühester Kindheit lebte sie ohne Berührungen und soziale Kontakte. Man

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