Syltmond. Sibylle Narberhaus

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Syltmond - Sibylle Narberhaus

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wenigen Minuten Fußmarsch erreichten wir den Feuerplatz und positionierten uns vor dem gigantischen Berg aus aufgeschichteten Tannenbäumen, Gestrüpp und Stroh. Etwas weiter abseits standen mehrere Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr, davor war für den Glühweinverkauf ein langer Tresen aufgebaut worden, an dem mehrere Mitglieder der ortsansässigen Feuerwehr die Getränke verkauften. Wie im vergangenen Jahr wurde der Glühwein aus Mehrwegbechern mit Pfand ausgeschenkt, um einen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten. Der eine oder andere Becher mit dem Logo der Feuerwehr landete mit Sicherheit als Erinnerungsstück im Gepäck einiger Touristen, vermutete ich.

      »Ich möchte behaupten, der Berg ist im Vergleich zum letzten Jahr um einiges größer geworden«, bemerkte Jan beim Anblick des aufgeschichteten Stapels.

      »Da! Mann oben!« Christopher zeigte aufgeregt mit dem Finger auf die menschengroße Stoffpuppe, die an einem langen Holzpfahl befestigt war. Sie war von den Kindern der Jugendfeuerwehr Morsum angefertigt worden.

      »Ja, da baumelt der Pidder, mit Latzhose und Gummistiefeln«, erklärte Britta lachend und strich ihrem Patenkind über die Wange.

      »Idda«, wiederholte Christopher und sah Britta mit großen Augen an.

      »Genau, der Pidder. Gleich wird er lichterloh brennen und läutet das nahende Ende des Winters ein.«

      »Genau genommen ist das ganz schön grausam, wenn du mich fragst«, überlegte ich beim Anblick der Strohpuppe. »Das erinnert an die Hexenverbrennungen im Mittelalter.«

      »Das gehört zur Biike dazu. Obwohl …« Sie machte eine bedeutungsvolle Pause und setzte eine geheimnisvolle Miene auf. »Solange es sich tatsächlich nur um eine Stoffpuppe handelt, ist alles gut. Man weiß ja nie!«

      »Was willst du damit andeuten?«

      Augenblicklich prustete Britta los. »Ach, Anna! Dich kann man wirklich leicht aus der Fassung bringen.«

      »Haha, sehr lustig!«, gab ich beleidigt zurück.

      »War nur Spaß! Da kommt übrigens Nick!«

      Ich drehte mich um und erkannte meinen Mann in Begleitung von Uwe und Tina, wie sie sich den Weg durch das dichte Gedränge in unsere Richtung bahnten. Kaum hatten sie sich zu uns gesellt, ergriff der Bürgermeister das Wort, begrüßte die Anwesenden und hielt eine flammende Rede, in der er sich unter anderem den Themen Tourismus, Wohnsituation der Einheimischen und dem Bahnverkehr zwischen der Insel und dem Festland annahm. Allesamt echte Dauerbrenner. Zunächst wurde die Ansprache traditionell auf Söl’ring, dem Sylter Friesisch, und anschließend auf Hochdeutsch gehalten. Zu guter Letzt erklang der Ruf »Tjen di biiki ön«, und Dutzende von Fackeln flogen ins Geäst. Die zehrenden Flammen ließen die Biike in Windeseile in einem hellen Feuerschein erstrahlen, begleitet von Zischen und Knacken des trockenen Materials. Anschließend wurde die inoffizielle Sylter Hymne von Christian Peter Christiansen angestimmt, die ich – wie ich zu meiner Schande gestehen musste – noch immer nicht auswendig konnte und von einem kleinen Spickzettel ablesen musste.

      Üüs Söl’ring Lön’

      Üüs Söl’ring Lön’, d übest üüs helig;

      Dü blefst üüs ain, dü best üüs Lek!

      Din Wiis tö hual’en, sen wü welig;

      Di Söl’ring Spraak auriit wü ek.

      Wü bliiv me di ark Tir forbün’en,

      Sa lung üs wü üp Warel’sen.

      Uk diar jaar Uuning bütlön’fün’en,

      Ja leng dach altert tö di hen.

      Kumt Senenskiin,

      Kum junk of lekelk Tiren,

      Tö Söl’wü hual’Aural;

      Wü bliiv truu Söl’ring Liren!

      Unser Sylter Land

      Unser Sylter Land, du bist uns heilig,

      Du bist unser Eigen, du bist unser Glück!

      Deine Art zu halten, sind wir willig.

      Die Sylter Sprache vergessen wir nicht.

      Wir bleiben mit dir jederzeit verbunden,

      So lange wir auf der Welt sind.

      Auch jene, die ihr Zuhause außerhalb fanden,

      Sie sehnen sich doch immer zu dir hin.

      Kommt Regen,

      Kommt Sonnenschein,

      Kommen dunkle oder glückliche Zeiten,

      Zu Sylt halten wir immer,

      Wir bleiben treue Sylter Leute.

      »Ist etwas vorgefallen? Ich habe einen Rettungswagen gesehen«, wollte ich von Uwe wissen, als Nick und Jan sich auf den Weg gemacht hatten, um Glühwein zu besorgen.

      »Angeblich sollte sich in dem Haufen ein Fass mit einer explosiven Flüssigkeit befinden, aber wir haben glücklicherweise nichts dergleichen gefunden.«

      »Wisst ihr, von wem der Hinweis kam?«

      »Nein, er kam anonym.« Uwe schüttelte den Kopf. »Sollte vermutlich ein Scherz sein, aber das weiß man im Vorfeld nicht. Vor einigen Jahren ist es zu einem ähnlichen Zwischenfall gekommen, als jemand ein Fass mit Altöl in den Stapel geschmuggelt hat, um es zu entsorgen. Damals wurde wie durch ein Wunder niemand ernsthaft verletzt, hat uns Barne Detlefsen eben erzählt.«

      »Muss ich den kennen?«, wollte ich wissen.

      »Barne war bis vor Kurzem Wehrführer bei der Morsumer Feuerwehr. Ein Feuerwehrmann mit Leib und Seele und immer zur Stelle, wenn Hilfe benötigt wird«, erklärte Uwe.

      »Das klingt, als wäre er nicht mehr bei der Feuerwehr?«, hakte Britta nach.

      »Doch, nur das Amt des Wehrführers hat er abgegeben. In den letzten beiden Jahren hat er es sehr schwer gehabt. Erst ist seine kleine Tochter tödlich verunglückt, dann ein knappes Jahr später ist seine Frau Finja unerwartet gestorben. Er hat lange getrauert und hatte sich zurückgezogen. Jetzt kehrt er langsam wieder zurück.«

      Automatisch musste ich an Nick in dem Wissen um seine Vergangenheit denken und sah nachdenklich in das prasselnde Feuer, das eine enorme Wärme ausstrahlte. Die Menschen standen in dichten Trauben drum herum, tranken Glühwein, unterhielten sich und lachten ausgelassen. Die Kinder suchten die nähere Umgebung nach Stöcken und kleinen Zweigen ab, warfen sie in die Glut und beobachteten anschließend mit Begeisterung, wie die Flammen gierig danach griffen und sie zu brennen begannen, bevor sie verglühten und schließlich zu weißer Asche zerfielen.

      »Achtung, hier kommt der Glühweinexpress!«, rief Jan froh gelaunt und hielt uns ein langes Brett unter die Nase, in das Aussparungen gesägt worden waren, in denen jeweils ein Becher mit der dampfend roten Flüssigkeit steckte. Eine äußerst originelle Idee, wie ich zugeben musste. Damit ließen sich mehrere Becher auf einmal transportieren, ohne sich dabei die Hände zu verbrennen.

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