Hannah von Bredow. Reiner Möckelmann

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Hannah von Bredow - Reiner Möckelmann

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      Leopold von Bredow kritisierte nicht nur unter vier Augen die ausgeprägte Redefreudigkeit seiner Frau und ihren Hang zu hartnäckig und ausdauernd geführten politischen Gesprächen. Besonders auf der Weltreise forderte er sie auch in Gegenwart Dritter zur Eindämmung ihres Redeflusses auf und gab das Stichwort für wenig erfreuliche Kommentare zum Kinderreichtum des Paares. Eifersucht hatte zweifellos einen maßgeblichen Anteil an Leopold von Bredows Verhalten, zumal Hannah in Gesellschaft bevorzugt mit älteren Männern gleichermaßen eloquent in Deutsch, Englisch und Französisch sprach und diskutierte, und ihre Ansichten von diesen so anerkennend wie bewundernd kommentiert wurden.

      Eifersucht spielte auch eine Rolle, als Leopold von Bredow mit Hannah die halbjährige Weltreise unternahm. Es war im sechsten Jahr der Bekanntschaft und ununterbrochenen Brieffreundschaft Hannahs mit Sydney Jessen. Dieser war zwar nur ein gutes Jahr älter als Hannah, bestimmte aber ihr Denken und ihre Gefühlswelt in einem besonderen, für einen Ehemann durchaus beunruhigenden Maße. Die Weltreise sollte Hannah von Bredow Abstand zu Sydney Jessen verschaffen. Hannah indessen, schon an Bord des Passagierschiffes Hamburg, teilte Jessen am 17. Februar 1930 mit, dass sie ihm „von dieser ersten langen Seereise eine Art Tagebuch schreiben“ werde. Sie beließ es nicht bei täglichen Berichten über die lange Seereise, sondern schickte Jessen auch von den Landstationen wöchentlich bis zu 50 handgeschriebene Seiten mit ihren Eindrücken und Urteilen.

      Der Seelenverwandte Sydney Jessen

       „Wenn Sie nur ahnten, was für eine Erleichterung darin liegt, mit Ihnen korrespondieren zu können, wenn’s auch das Reden nimmermehr ersetzt. Was für eine Hilfe es ist, an jemand, der noch denken kann, schreiben zu können, und zwar so schreiben zu können, dass man sich – bis auf gewisse Gestapohemmungen – nicht jedes Wort auf seine Möglichkeit hin, verstanden zu werden, überlegen muss.“

      (Hannah von Bredow an Sydney Jessen, Nr. 377 – Potsdam, den 27. September 1935)

      Die Zahl der Schreiben, die Hannah von Bredow in den Jahren 1925 bis 1965 an Sydney Jessen verfasste und bis zuletzt stets mit „Lieber Herr Jessen“ begann, ist exakt nicht ermittelbar, dürfte aber über 2000 liegen. Der Umfang der von Sydney Jessen an die „Sehr verehrte, gnädige Frau“ verfassten Briefe ist geringer. Von Verlusten durch Kriegseinwirkung sowie durch die willkürliche Vernichtung durch Hannah von Bredows Tochter Marguerite waren Jessens Briefe in höherem Maße betroffen als die von Hannah. Diese begann Anfang des Jahres 1930 damit, ihre Briefe an Jessen zu nummerieren. Postkarten und nicht nummerierte Briefe von bis zu 20 handgeschriebenen Seiten kommen hinzu.

      Der Briefaustausch erfolgte mindestens im Wochentakt, bisweilen alle zwei Tage und selbst bei räumlicher Nähe, wie am Ende der Kriegszeit. Am 19. Juli 1938 kalkuliert Hannah von Bredow in ihrem Brief Nr. 800, dass es „übermorgen 14 Jahre her sind, dass ich Sie kennenlernte“ und dass es „ungefähr 60–70 Briefe im Jahr sind, die ich Ihnen – als Durchschnitt angenommen – geschrieben habe, oder noch mehr, denn immerhin habe ich erst fünfeinhalb Jahre nach unserer Bekanntschaft mit dem Zählen begonnen.“ Ergänzt wurde der schriftliche Gedankenaustausch durch gegenseitige Besuche.

      Hannah von Bredow und Sydney Jessen begegneten sich demnach erstmals Mitte des Jahres 1924. Nach seiner Promotion in Berlin zum Dr. rer. pol. wirkte Jessen als Privatsekretär für Otto Fürst von Bismarck, Hannahs Bruder, der ab 1923 Abgeordneter für die nationalkonservative Deutschnationale Volkspartei (DNVP) im Reichstag war. Bald entstand ein Vertrauensverhältnis zwischen dem 27-jährigen Abgeordneten und seinem um vier Jahre älteren Sekretär, in das Ottos Familie einbezogen wurde.

      Hannah von Bredows Interesse am ein Jahr älteren Sydney Jessen belebte nicht zuletzt die Lektüre von Thomas Manns im Januar 1924 erschienenem „Zauberberg“. Darin verlieh der Autor einzelnen der lungenkranken Patienten im Internationalen Sanatorium Berghof in Davos Züge bekannter Zeitgenossen, wie z.B. dem Mynheer Peeperkorn die des berühmten Autors Gerhart Hauptmann. Aber auch Geheimrat Prof. Friedrich Jessen, international anerkannter Tuberkulosespezialist und Vater von Sydney, fand sich in Gestalt des dirigierenden Arztes der Klinik, Hofrat Dr. Behrens, wieder.

      Wohl als sehr einseitig wird Hannah von Bredow die Sicht des „Zauberberg“-Autors auf den „Sohn des Hofrates, Knut mit Namen“ empfunden haben. Dieser „kam auf Ferienbesuch und wohnte bei seinem Vater im Seitenflügel, – ein hübscher, junger Mann, dem aber ebenfalls schon der Nacken etwas zu sehr heraustrat. Man spürte die Anwesenheit des jungen Behrens in der Atmosphäre; die Damen legten Lachlust, Putzsucht und Reizbarkeit an den Tag, und in ihren Gesprächen handelte es sich um Begegnungen mit Knut im Garten, im Walde oder im Kurhausviertel.“1 Zwar blieb auch Hannah von Knut-Sydneys Äußerem nicht unbeeindruckt, dennoch ist die mehr als 40-jährige intensive Beziehung zwischen den beiden weit mehr den zahlreichen gleichgerichteten Interessen zuzuschreiben.

      In Sydney Jessen fand Hannah von Bredow einen Brief- und Gesprächspartner von breiter Bildung und umfassenden Interessen. Mit ihm konnte sie sich über gesellschaftliche, historische, künstlerische, literarische, philosophische und besonders politische Themen stets angeregt und vertrauensvoll austauschen. Jessens literarische Ambitionen, die er in Gedichten, ebenso wie seine künstlerischen Fähigkeiten, die er in Porträts und Skulpturen auszudrücken wusste, trugen zur Wertschätzung und geistesverwandtschaftlichen Verbindung der Beiden über Jahrzehnte bei.

      Der am 24. April 1892 in Hamburg geborene Sydney Jessen kam erst spät zum Studium. Nach humanistischem Abitur trat er im Jahre 1911 mit 18 Jahren als Seekadett in die Reichsmarine ein und nahm im Rang eines Leutnants zur See am Krieg teil. Bereits im Dezember 1914 geriet er für drei Jahre in englische Gefangenschaft, konnte dank Vermittlung von Schweizer Ärzten im November 1917 freikommen, übernahm noch eine Funkstation und beendete den Krieg als Oberleutnant. Eine weitere Laufbahn bei der Marine schloss die restriktive Versailler Rüstungskontrollpolitik der Siegermächte aus, sodass Jessen sich 1919 für das Studium der Ökonomie in Zürich, München und Hamburg entschied, um es nach fünf Jahren mit der Promotion in Berlin abzuschließen. Seine guten Englischkenntnisse kamen Jessen im Büro Otto von Bismarcks zugute, für den er bis 1926 auch die englische Korrespondenz betreute. Im Anschluss halfen ihm ab 1927 seine ebenso guten Französischkenntnisse in der Geschäftsführung des Deutsch-Französischen Studienkomitees. Das von Vertretern der Großindustrie gegründete Komitee diente der deutsch-französischen Verständigung. Aufgrund der Weltwirtschaftskrise kamen die Aktivitäten bereits im Jahre 1930 zum Erliegen.

      Sydney Jessen hatte sich nach einer neuen Betätigung umzusehen. Seine im Jahre 1927 geschlossene Ehe mit Helene Gräfin von Zeppelin, einer Tochter des Lothringer Bezirkspräsidenten Friedrich Graf von Zeppelin-Aschhausen, erleichterte die Suche. Ein Jahr zuvor hatte die 21-Jährige von einer Großmutter im südbadischen Laufen ein Weingut geerbt, das Jessen dann leitete. Hannah von Bredow bemühte sich von Anfang an um ein gutes Verhältnis zu der zwölf Jahre jüngeren Helene Jessen und war nicht nur Gast bei der Hochzeitsfeier, sondern wurde auch Taufpatin der Tochter Iris.

      Verschiedentlich besuchte Hannah von Bredow die Familie Jessen in Laufen, und Helen kam auch allein zu ihr nach Potsdam. Daneben entwickelte sich eine Korrespondenz zwischen den beiden Frauen, in der sich die geborenen Gräfinnen standesgemäß mit „Liebe Helene“ und „Liebe Hannah“ ansprachen. Ihre teilweise sehr umfangreichen Briefe beschloss Hannah bisweilen mit dem Gruß: „Leb wohl, meine liebste Helene, grüß Deinen Mann, küsse die liebe Iris und sei innig umarmt von Deiner Dich liebenden und dankbaren Hannah“.

      In ihren Schreiben an Helene Jessen ging Hannah von Bredow auf deren Interesse am erlernten Gartenbau ebenso ein wie auf ihre Vorliebe für das Modellieren. Sie erkundigte sich stets nach ihrer Patentochter, die sie reichlich beschenkte, und schrieb im Anschluss an einen Geburtstag von Iris: „Ich freue mich, dass die Kleider für Iris Dir gefallen haben. Ich schenke meinem Patenkind so sehr gern etwas, und doppelt gern, wenn die schöne und liebe Mutter auch Spaß daran

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