Blutholz. Wolfgang Teltscher
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»Nicht viel. Gestern Morgen stand in der Zeitung, dass die Polizei immer noch nicht weiß, wem das Messer gehört hat oder wie es dorthin gekommen ist. Es hieß lediglich, dass die Blutspuren an dem Baumstamm, neben dem das Messer lag, definitiv von der gleichen Person sind wie das Blut an dem Messer. Allerdings seien bisher immer noch keine Personen als vermisst gemeldet worden, die als Opfer infrage kommen. Da sich trotz der Meldungen in den Medien niemand gemeldet hat, dem das Messer gehört, müsse man von einem möglichen Verbrechen ausgehen. Heute war nichts Neues in der Zeitung.«
»Vielleicht erledigt sich die Angelegenheit von ganz allein |50|und wird nie aufgeklärt werden. Das wäre für einen alten Kriminalbeamten wie mich keine Überraschung. Es gibt auf der Welt mehr Verbrechen als Täter, die dafür büßen müssen. Leider gilt das für Mörder genausogut wie für Taschendiebe.«
»Soll ich Sie auf dem Laufenden halten, wenn sich was Neues ergibt? Ich könnte Ihnen Zeitungsartikel zufaxen, so weit beherrsche ich inzwischen die moderne Kommunikationstechnik.«
Marder hob abwehrend die Hand.
»Nein, danke. Die Mühe brauchen Sie sich nicht zu machen. Ich werde gelegentlich auf die Homepage der hiesigen Lokalzeitung schauen. Man kann sich ja heute im Internet über alles informieren, was irgendwo auf der Welt geschieht.«
Sydney, der Kater mit dem Ausrufungszeichen über der Nase, registrierte die gepackten Reisetaschen im Flur und kam herbei geschlendert. Entweder bedeutete das, dass neue Gäste ankamen oder dass alte abreisten. Das Letztere war ihm lieber, dann herrschte wieder Ruhe im Haus, und Frau Thann konnte ihre Aufmerksamkeit auf ihn konzentrieren und die ihm zustehenden Mahlzeiten rechtzeitig servieren. Er stellte zu seiner Zufriedenheit fest, dass ein Abschied stattfand, und zeigte seine Freude darüber, indem er sein Fell an Marders Bein rieb. Marder missverstand diese Geste, er glaubte, dass die Katze seine Abreise bedauere.
|51|11.
›25km/h max‹ sagte das Schild an der Hinterseite des Anhängers, der von einem Traktor gemächlich über die Landstraße gezogen wurde. Marder hatte die Lehne seines Sitzes auf ›zehn nach‹ gestellt und in den letzten Minuten dreimal sein Gewicht von der linken auf die rechte Seite und wieder zurück umgelagert. Ein unangenehmer Nachschmerz erinnerte ihn daran, dass noch vor wenigen Tagen ein Katheter in seinem Körper gesteckt hatte. Iris hatte darauf bestanden, zu chauffieren. Er blinzelte seine Frau durch halb geöffnete Augen von schräg hinten an, während sie sich auf das Bauerngefährt vor sich konzentrierte. Sie hatte zwei Gelegenheiten verpasst, den Traktor zu überholen, er unterließ es, sie darauf hinzuweisen, es schien, als genieße sie das langsame Tempo, das der Traktor ihr aufzwang. Sie überholte ungern auf Landstraßen, was ihr den gelegentlichen »Scheibenwischer« eines ungeduldigen Fahrers einbrachte. Sie sagte dann eher belustigt als verärgert: »Lieber langsam auf der Erde als schnell in den Himmel – oder in die Hölle.«
Er stellte mit Stolz fest, dass seine Frau für ihr Alter jugendlich und unverbraucht aussah. Andere Männer schätzten sie sicherlich zehn Jahre jünger ein, als sie es tatsächlich war, und beneideten ihn um seine jugendliche Frau. Sie hatte in der letzten halben Stunde geschwiegen und über etwas nachgedacht, ohne ihre Gedanken mit Marder zu teilen.
Sie fuhren hinter Nienburg durch eine Allee aus ehrwürdigen Bäumen. Eichen, Buchen, Kastanien oder Linden – die Bäume trugen keine Blätter, an denen er sie erkannt hätte. Außerdem blendete ihn die Sonne. Links und rechts der Straße |52|erstreckten sich sandige Ackerflächen, auf denen das erste Grün aus der Erde schaute, aus dem sich im Sommer Weizen, Kartoffeln oder Mais entwickeln würde. Dazwischen Spargelfelder mit schnurgeraden Furchen, wie Wellpappe unter einem Vergrößerungsglas. Zwischen den Feldern Kiefern und Fichten in Zweierreihen, die den Wind brachen.
»Iris, weißt du eigentlich, dass im alten China die Ärzte nicht dafür bezahlt wurden, dass sie ihre Patienten von Krankheiten heilten, sondern dafür, dass sie gar nicht erst krank wurden?«
»Das hast du mir neulich schon mal erzählt.«
»Tut mir leid, das hatte ich ganz vergessen.«
»Das macht nix, obwohl ich mir langsam Sorgen mache, dass du immer öfter Sachen vergisst. Aber abgesehen von deinen Problemen mit dem Gedächtnis kann ich mir das mit den chinesischen Ärzten nicht vorstellen. Wie kommst du gerade jetzt darauf?«
»Wenn man so nutzlos im Krankenhaus herumliegt, kommen einem seltsame Gedanken. Man muss sich ja irgendwie beschäftigen, während man wartet, bis wieder ein Tag rum ist. Übrigens glaube ich genau wie du, dass die Sache mit den chinesischen Ärzten nur eine Geschichte ist, die sich jemand ausgedacht hat, um die fernöstliche Medizin zu romantisieren.«
»Du kannst dich doch nicht die ganze Zeit im Krankenhaus solchen Grübeleien hingeben. Es gibt bestimmt schönere Dinge, mit denen man sich beschäftigen kann.«
»Was meinst du damit?«
»Nichts Besonderes. Aber da sind zum Beispiel die Krankenschwestern, die euch Männer ablenken. Manche von den Schwestern sahen richtig gut aus, fand ich.«
|53|»Vergiss nicht, dass in der Urologie für einen Mann alles ein bisschen peinlich ist, vor allem fremden Frauen gegenüber. Aber du hast trotzdem recht. Wenn man da so herumlungert, guckt man sich die Schwestern aus lauter Langeweile ein bisschen näher an. Manchmal freut man sich über das, was man sieht, und Freude soll ja angeblich den Heilungsprozess beschleunigen. Mit einem Katheter in den betroffenen Körperteilen ist das alles aber nicht so auf- oder erregend.«
Im nächsten Dorf bog der Trecker vor ihnen in einen Bauernhof ab, ein typischer Heidehof mit einem massigen Gebäude aus roten Backsteinen. Der imposante Innenhof war zur Straße hin offen, vor einem Seitengebäude waren drei Pferde angeleint, denen ein junger Mann mit einem Wasserschlauch die Beine abspritzte. Als der Traktor sich zur Seite drehte, stellte Marder fest, dass er von einem Mädchen gelenkt wurde, das nicht älter als achtzehn Jahre alt sein konnte. Das imponierte ihm, die jungen Leute auf dem Land waren anderen Anforderungen ausgesetzt als die verweichlichte Jugend in den Städten. Wahrscheinlich wurden sie auch seltener krank, weil sie durch die güllige Landluft und die Bakterien in den Ställen abgehärtet waren.
Iris unterbrach seine Betrachtungen.
»Ich will ja nicht, dass du denkst, ich wäre eifersüchtig auf die Schwestern oder so was … ich gönne dir ja deine kleinen Freuden … ich habe mir nur Sorgen gemacht, dass du dich vielleicht im Krankenhaus gelangweilt hast.«
»Das verstehe ich, mein Schatz. Übrigens zwei von den Schwestern sind mir tatsächlich aufgefallen.«
|54|»Das waren wahrscheinlich die mit den großen Oberweite. Bei denen hat die Schwesterntracht ganz schön gespannt.«
»Das kann schon sein. Aber darum geht es nicht.«
»Das wundert mich. Bei euch Männer geht es doch immer um den Busen.«
»Das ist überhaupt nicht wahr, manchmal geht es auch um den Hintern.«
Iris verriss das Steuerrad, konnte sich aber wieder korrigieren. Marder versuchte es ebenfalls.
»Hör zu, das war nur ein Scherz, das mit dem Hintern. Du kennst doch meinen Humor.«
Um Iris’ Mund zuckte ein winziges Lächeln.
»Also, was war nun mit den Schwestern?«
»Das waren die Schwestern Sonja und Johanna. Wie gesagt, beide sehen