Blutholz. Wolfgang Teltscher

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Blutholz - Wolfgang Teltscher

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sprachen anfangs nur zögernd über ihre Beschwerden – Männer reden nun einmal nicht gern über diese Dinge, auch nicht mit Geschlechtsgenossen. Zu seiner Linken lag ein junger Mann um die fünfundzwanzig, und Marder wunderte sich, dass ein Jüngling bereits an Nierensteinen leiden konnte. Er hieß Murat, arbeitete als Programmierer in der Software-Branche und kannte sich in den tiefsten Geheimnissen der Computer aus, was ihn in Marders Augen auf ein intellektuelles Podest hob. Das Bett des jungen Mannes war ständig von Mitgliedern seiner türkischen Familie umstellt, selbst in den Abendstunden. Wenn Murat einmal allein gelassen wurde, schob er Marder einen Teil der |45|Süßigkeiten zu, die man ihm mitgebracht hatte – er brauchte in seinem Nachtschrank Platz für die nächsten Anlieferungen.

      Das Personal wechselte je nach Tageszeit. Bei der Abendvisite schaute ein Arzt nach ihm, der ihn weder in der Notfall-Station betreut hatte noch die Stoßwellentherapie vorgenommen hatte. Er kam Marder nicht so locker vor wie die anderen Ärzte, er schien an der Verantwortung für die Patienten schwerer zu tragen als die meisten seiner Kollegen. Die Krankenschwestern der neuen Generation schienen wahre Schönheiten zu sein. Vielleicht empfinde ich das nur, weil ich inzwischen ein fast alter Mann bin und mir alle junge Frauen attraktiv vorkommen, dachte Marder. Am besten gefielen ihm Schwester Johanna und Schwester Sonja, beide um die dreißig, ausgesprochen attraktiv, die mit ihren appetitlichen Formen eine unerreichbare Versuchung für einen bettlägerigen älteren Herrn darstellten. Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden war, dass Sonja immer fröhlich dreinschaute, während Johanna meistens einen traurigen Eindruck machte. Auch wenn Johanna sich stets korrekt und professionell verhielt, hatte Marder den Eindruck, dass sie eine unglückliche Frau war. Das war bei ihrem blendenden Aussehen verwunderlich. Die Männerwelt würde ihr sicherlich zu Füßen liegen, und war das nicht für eine junge Frau Grund genug, glücklich zu sein? Bin doch ein Macho der alten Schule, dachte Marder. Natürlich weiß ich, dass im Leben das Aussehen nicht alles ist. Vielleicht war der Charakter von Johanna nicht so schön wie ihr Äußeres. Sie kam zur Vormittagsschicht, und Marder hatte nichts dagegen, dass sie nach dem Mittagessen nach Hause ging. Sonja kam am |46|Nachmittag und wünschte Marder abends als Letzte eine gute Nacht und schöne Träume. Er nahm sich dann vor, von ihr zu träumen, aber es gelang ihm nicht – so konnte er ruhig und erholsam schlafen.

      Nachdem es am zweiten Tag nach der Operation beim Wasserlassen zweimal gekitzelt und danach leise ›klick‹ im Sieb gemacht hatte, sagte der Doktor ihm, dass er am nächsten Tag nach Hause gehen dürfe. Um sich auf das Leben in Freiheit vorzubereiten, machte Marder einen längeren Spaziergang auf dem Gang der Station, er wanderte auf und ab, auf und ab, auf und ab. Während seines Aufenthaltes war Marder bisher mit seinen eigenen Problemen zu beschäftigt gewesen, um an Anja Matuschek zu denken, von der Frau Thann gesagt hatte, dass sie vermutlich noch im Gehrdener Krankenhaus arbeitete. Nun kam sie ihm in den Sinn. Er glaubte sich zu erinnern, dass sie in der urologischen Station gearbeitet hatte, allerdings hatte er sie bisher noch nie gesehen. Vielleicht trog ihn aber auch seine Erinnerung. Als er das vierte oder fünfte Mal während seiner Wanderung am Stationsbüro vorbeikam, lächelte ihn die ältere Krankenschwester an, die offensichtlich die Chefin der Schwesternschar auf der Station war, sie tauchte nie in den Krankenzimmern auf, sondern schien stets mit administrativen Aufgaben an ihrem Schreibtisch beschäftigt. Er sprach sie an.

      »Entschuldigung, wenn ich störe. Darf ich Ihnen eine Frage stellen?«

      »Sie stören nicht, machen Sie sich keine Sorgen, wir sind ja für unsere Patienten da. Was möchten Sie denn wissen, Herr Marder?«

      Sie kannte also seinen Namen. Das fand er bemerkenswert |47|und bestärkte seinen guten Eindruck vom Personal dieses Krankenhauses.

      »Ich würde gern wissen, ob eine Anja Matuschek auf dieser Station arbeitet.«

      »Die Anja, ja, die kenne ich, die hat hier gearbeitet, vor einem Vierteljahr hat sie die Versetzung auf eine andere Station beantragt. Jetzt arbeitet sie, wenn ich mich nicht irre, wieder auf der Hals-Nasen-Station, wo sie früher schon mal war.«

      »Schade, ich hätte gern mal mit ihr gesprochen. Aber es ist nicht so wichtig. Ich hoffe, es geht ihr gut und bitte grüßen Sie sie von mir, wenn Sie sie sehen sollten.«

      »Das mache ich gern. Ich habe Anja schon eine Weile nicht gesehen und hoffe auch, dass es ihr jetzt gut geht.«

      Das jetzt hatte die Oberschwester nur so dahingesagt, sicherlich ohne sich etwas dabei zu denken, aber Marder wurde hellhörig.

      »Was meinen Sie mit jetzt? Ging es ihr vorher nicht gut.«

      »Wissen Sie, es steht mir eigentlich nicht zu, über meine Kolleginnen zu tratschen, aber da Sie Anja ja kennen, kann ich Ihnen sagen, dass ich mir in der letzten Zeit, in der sie hier gearbeitet hat, gelegentlich Sorgen um sie gemacht habe. Sie war nicht mehr die freundliche, ausgeglichene Person, die sie früher meistens war.«

      »Meinen Sie mit letzter Zeit, die Zeit seit dem Selbstmord ihrer Mutter.«

      »Ach, darüber wissen Sie auch Bescheid. Sind Sie ein Verwandter von ihr?«

      »Nein. Ich war damals noch bei der Polizei und war dienstlich in die Angelegenheit verwickelt.«

      |48|»Na, ich hoffe jedenfalls, Anja fängt sich wieder.«

      Die Frau schob einen Stapel Papiere auf dem Schreibtisch zusammen, stand auf und zog ihren Schwesternkittel zurecht.

      »So, jetzt müssen wir Schluss machen. In ein paar Minuten kommt der Chef, unser Oberarzt, zur Visite, da muss ich mich noch ein bisschen vorbereiten, und Sie sollten dann auch in ihrem Körbchen liegen, sonst gibt es einen Eintrag ins Klassenbuch.«

      Iris holte ihn am nächsten Morgen erleichtert aus der Klinik ab und brachte ihn in die Pension Marianne, wo er eine ruhige Nacht und ein reichliches Frühstück genoss.

      »Es tut mir leid, dass Sie ein paar Tage im Krankenhaus herumliegen mussten. Ich hoffe, es war nicht zu schlimm. Das Wichtigste ist, dass es Ihnen wieder gut geht«, tröstete ihn die freundliche Wirtin, als die Marders sich anschickten, von ihr Abschied zu nehmen.

      »Ich will Ihnen die Details der Behandlung lieber ersparen, die finden Sie vielleicht unappetitlich, aber ansonsten war es auszuhalten. Ich habe das Gefühl, die Krankenschwestern werden immer jünger und schöner, aber vielleicht kommt es mir nur so vor, weil ich älter und hässlicher werde.«

      Iris war gerade nicht in Hörweite, sonst hätte er von seiner Liebsten sicherlich eine Rüge für diese Bemerkung eingefangen. Schlimmer wäre es noch, wenn sie ihm zustimmen würde.

      »Mir tut es natürlich leid, dass ich ein paar Tage auf Ihr köstliches Frühstück verzichten musste.«

      Marder sagte auch das leise, das musste Iris nicht unbedingt mitbekommen. Sie servierte ihm zu Hause als Frühstück |49|meistens nur Vollwertmüsli. Das war gut gemeint und stellte eine gesunde Grundlage für das zweite Frühstück dar, das er im Laufe des Vormittags gelegentlich in seinem bevorzugten Stehcafé in der Stadt zu sich nahm.

      »Kommen Sie doch einmal zu uns nach Stade, Frau Thann. Wenn die Pension geschlossen ist, nehmen Sie sich hoffentlich Zeit, Ihre Freunde zu besuchen.«

      Frau Thann bedankte sich mit einem Lächeln, das sagte, dass sie unter Umständen auf diese Einladung zurückkommen würde, sich heute aber nicht festlegen wolle. Sie antwortete unverbindlich.

      »Das wäre durchaus möglich. Wundern Sie sich nicht, wenn ich eines Tages mit drei Koffern für einen mehrwöchigen Aufenthalt vor Ihrer Haustür stehe.«

      »Das meinen Sie wahrscheinlich als Drohung, ich betrachte

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