Blutholz. Wolfgang Teltscher
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Die Polizei bittet alle Leser, die das auf dem Foto abgebildete Messer wiederzuerkennen glauben, sich zu melden, auch wenn es sich dabei um ein handelsübliches Modell handelt. Alle Informationen werden selbstverständlich vertraulich behandelt. Die Polizei bittet die Mitbürger, die in der letzten Zeit im Wald um die Freilichtbühne unterwegs waren und denen etwas Ungewöhnliches aufgefallen ist, sie zu kontaktieren.
Die nächste Pressekonferenz ist für morgen Vormittag vorgesehen. Wir werden Sie weiterhin über alles Wichtige zu diesem Fall unterrichten.«
|40|10.
»Gute Nacht, Schatz. Schlaf gut. Ich komme morgen früh wieder, um nach dir zu schauen, bis dahin geht es dir bestimmt besser.«
Marder richtete sich auf eine weitere Nacht im Krankenhaus ein. Vor drei Nächten hatte ihn seine Frau um zwei Uhr morgens wegen einer Nierensteinattacke in die Notfall-Aufnahme der Klinik in Gehrden eingeliefert. Nierensteine waren für ihn nichts Neues, nur die heimtückische Geschwindigkeit, mit der ihn der Schmerz dieses Mal überfallen hatte, war unvorhersehbar gewesen. Am Abend, kurz vor dem Schlafengehen, hatte er sich als Hinweis gemeldet, dass es ein Problem in seinem Unterleib gab. Eine Nacht gut schlafen, und die Sache erledigt sich von allein, hatte er sich Mut zugesprochen und ließ Iris nicht in seine Schmerzen ein. Sie schlummerte neben ihm und ahnte nichts von seinem Kampf gegen die Qualen, den er zunehmend verlor. Kurz nach Mitternacht ging es nicht mehr. Er weckte seine Frau, er müsse ins Krankenhaus, er sei sicher, er habe einen eingeklemmten Nierenstein, der ihm großes Unbehagen verursache. Iris war sofort hellwach, sie wusste, dass ihr Mann aus schmerzhafter Erfahrung sprach. Wenn er sie weckte, war es nicht zum Spaß – sie kannte ihn als einen Mann, der Schmerzen lieber verkniff, als andere damit zu belästigen.
Ob sie den Notarzt rufen solle, oder ob er direkt ins Krankenhaus wolle, fragte sie besorgt.
»Wir fahren gleich zur Notfallaufnahme ins Krankenhaus. Wer weiß, wie lange es dauert, bis ein Notarzt kommt, und |41|der wird mich sowieso ins Krankenhaus einweisen. Wenn ein Nierenstein festsitzt, kann eine Stunde unglaublich lang sein.«
Er versuchte zu lächeln. Es misslang.
»Ich weiß, wo das Krankenhaus in Gehrden ist, wir brauchen nur eine knappe Viertelstunde. So lange halte ich es noch aus.«
Iris hatte ähnliche Situationen früher bereits durchgemacht. Sie geriet daher nicht in Panik wie bei seinem ersten Stein, auch wenn sie um ihren Mann besorgt war. Bisher hatten diese Attacken stets gut geendet, und sie wusste, dass sie im Moment nichts tun konnte, außer ihn so schnell wie möglich ins Krankenhaus zu bringen und ihm auf dem Weg dorthin liebevollen Trost zuzusprechen.
Der wachhabende Arzt in der Notfallstation war ein junger Mann, sicherlich ein Assistenzarzt, er machte einen kompetenten und gefassten Eindruck, auch wenn er erst den Schlaf vertreiben musste, dem er sich gerade hingeben wollte. Marder weihte ihn in seinen Verdacht über den festsitzenden Nierenstein ein. Ultraschall und Röntgenaufnahmen bestätigten diese Selbstdiagnose.
»Ich werde Ihnen eine schmerzstillende Spritze geben, damit Sie erst einmal schlafen können. Morgen früh machen wir eine gründliche Untersuchung. Wenn sich Ihre und meine Diagnose als richtig herausstellt, und daran habe ich keinen Zweifel, werden wir den Stein aus der Harnröhre in die Niere zurückschieben und dann einen Katheter einführen, damit sich ihre Niere entwässern kann. Dann schauen wir mal, wie es weitergeht.«
Als Marder in einem Bett auf der urologischen Station lag, |42|war der Schmerz fast verschwunden – die Spritze hatte innerhalb weniger Minuten ihre Arbeit getan. Iris küsste ihn auf die Stirn, hielt seine Hand für eine Weile, gähnte heimlich und hielt mit Anstrengung ihre Augen offen. Während Marder sich langsam in den Schlaf zurückzog, stand sie von seinem Bett auf und sagte, sie würde am nächsten Tag mit frischer Unterwäsche und einem interessanten Krimi wiederkommen, vielleicht fände sie im Bücherladen im Ort etwas neues Skandinavisches von Henning Mankell oder einem seiner nordischen Krimikollegen. Aber da war ihr Mann schon eingeschlafen, sah friedlich und kerngesund aus.
Frau Thann wird sich wundern, wenn ich allein zum Frühstück auftauche, dachte sie.
Am Morgen tat der ältere Stationsarzt genau das, was der junge Arzt in der Nacht vorausgesagt hatte. Es war eine unangenehme Prozedur, als er den Stein mit einer Sonde durch den Penis, die Blase und den Harnleiter in die Niere zurückschob. Es tat weh und war Marder obendrein peinlich, weil zwei junge Krankenschwestern sowie eine Reihe von Studenten und Studentinnen im Praktikum um ihn herumstanden und alles interessiert beobachteten.
»Jetzt geben wir Ihnen zwei Tage Ruhe und ein Medikament, das mit etwas Glück den Stein auf natürliche Art abgehen lässt. Sollte das nicht der Fall sein, was ich leider als wahrscheinlicher betrachte, werden wir übermorgen zur Steinbruchmethode greifen. Das heißt, wir werden den Stein mit Stoßwellen in kleine Teile zertrümmern, die dann hoffentlich von selbst herausgespült werden. Ich vermute, das kennen Sie schon von Ihren früheren Attacken. Sie müssen danach für ein paar Tage in ein Sieb pinkeln und darauf |43|achten, ob es ›klick‹ macht und kleine Felsbrocken hinein poltern.«
Die lockere Art des Arztes, über medizinische Angelegenheiten zu plaudern, gefiel Marder. Er sah sich nicht gern als tragische Person, auch nicht, wenn er sich wegen einer Krise im Unterleib im Krankenhaus aufhielt. Er fühlte sich inzwischen als Experte in Nierensteinen, er hatte diese Behandlung in Stade zweimal erfolgreich hinter sich gebracht – beim ersten Mal war er dreiundfünfzig gewesen, beim zweiten Mal kurz vor sechzig, jetzt war er in der Mitte der Sechziger. Ein Rhythmus schien sich einzupendeln.
Die Vermutung des Arztes, dass der Nierenstein nicht freiwillig aufgeben würde, erwies sich als korrekt. Erst die Stoßwellentherapie hatte den gewünschten Erfolg. Sie verursachte kaum Schmerzen, was vor allem daran lag, dass Marder vorher eine Spritze bekommen hatte, die ihn nach der Behandlung in einen langen Schlaf fallen ließ. Als er aufwachte, hatte er das Schlimmste überstanden, aber wegen einer nachhängenden Müdigkeit fühlte er sich noch längst nicht wie der Alte. Er würde noch zwei Tage, höchstens drei, im Krankenhaus bleiben müssen, bis sich seine Nierenfunktionen normalisierten und er mit Erfolg nach kleinen Hardwarebrocken in seinem Urin gefahndet hatte.
Marder fühlte sich auf der Station gut aufgehoben. Er war nicht sicher, ob diese Klinik eine Ausnahme war oder ob sich in den letzten Jahren generell die Atmosphäre in Krankenhäusern geändert hatte. Früher hatte er bei seinen Aufenthalten manchmal das Gefühl gehabt, er störe durch seine Anwesenheit den normalen Tagesablauf des Personals. Hier behandelte man ihn eher wie einen Gast. Er wurde nicht um |44|fünf Uhr morgens aus dem Schlaf gerissen, weil die Nachtschicht noch das Bettenmachen zu erledigen hatte. Er durfte bis sieben Uhr schlafen, bevor man ihm die Federn aufschüttelte. Die Mahlzeiten waren nicht länger die Einheitsverpflegung, wie er sie von früheren Krankenhausaufenthalten oder seiner Zeit bei der Bundeswehr kannte. Er konnte es kaum glauben, als ein freundlicher Sozialarbeiter mit einer Menükarte im Zimmer aufkreuzte und ihn nach seiner Wahl der Speisen für den nächsten Tag fragte.
Weil er spät nachts im Krankenhaus eingetroffen war, hatte man ihn nicht gefragt, ob er ein Einzelzimmer wolle oder mit einem Mehrbettzimmer zufrieden sei – man hatte ihn in das nächste freie Bett in der urologischen Station gelegt. Hätte man ihm die Wahl gelassen, hätte er sich wahrscheinlich trotz des Aufschlags für ein Einzelzimmer entschieden, jetzt war er froh, dass er diese Wahl nicht gehabt