Blutholz. Wolfgang Teltscher

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Blutholz - Wolfgang Teltscher

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die Heizung anmachen. Und je höher wir die Temperatur stellen, umso mehr sahnen wir ab.«

      »Schatz, lass das lieber, damit bringst du nur den Weltmarkt durcheinander.«

      Die Erörterung der Neuigkeiten aus der großen Welt war damit abgeschlossen. Das Aroma frischen Kaffees wehte aus der Küche und Marders gute Laune bekam einen Schub.

      »Guck mal«, meinte Iris, als sie die Überschriften auf der ersten Seite des Regionalteils las. »Das Böse in Barsinghausen schläft nicht. Hier steht, dass ein Mann vorgestern ein blutiges Messer im Wald gefunden hat. Es lag bei einem Parkplatz auf der Erde.«

      Marder war sofort bei der Sache. Das hörte sich nach einem Verbrechen an. Kriminalität und deren Aufklärung waren früher der Sinn seines Lebens gewesen. Seit seinem Ruhestand war er nicht länger als Jäger des Bösen unterwegs, den wesentlichen Verbrechen und den damit verbundenen Ermittlungen folgte er in den Medien jedoch mit dem Interesse eines Experten. Gelegentlich behauptete er seiner Frau gegenüber, dass er einen Fall schneller gelöst hätte als die aktive Generation der Kriminalbeamten. Iris lächelte dann nachsichtig und meinte, er könne nur nicht akzeptieren, dass er zum älteren Eisen gehöre, das bei der Bekämpfung der modernen Kriminalität nicht mehr zu gebrauchen sei.

      |30|»Gib doch bitte mal her«, sagte er und nahm seiner Frau die Zeitung aus der Hand, bevor sie die Chance hatte, sie ihm freiwillig zu geben.

      Die Polizei in Barsinghausen hatte gestern die Presse informiert, dass am Nachmittag zuvor, um circa 16 Uhr, ein Jogger ein blutiges Messer im Wald am Rande eines Parkplatzes bei der Freilichtbühne entdeckt hatte. Der Mann rührte das Messer klugerweise nicht an, sondern hatte die Polizei über sein Handy zu dem Parkplatz gerufen. Er erklärte den Beamten, er habe das Messer gesehen, als er sein Auto ganz am hintersten Ende des Platzes abgestellt hatte und ausgestiegen war. Dabei habe er sofort bemerkt, dass es mit Blut beschmiert war. Der Bericht fuhr fort, dass auch an dem Baumstamm, neben dem das Messer gelegen habe, Spuren von Blut gefunden worden seien. Eine erste vorläufige Untersuchung habe ergeben, dass es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um menschliches Blut handele, was man nach dem Abschluss der Tests noch einmal endgültig bestätigen würde. Oder notfalls dementieren, das sei jedoch eher unwahrscheinlich. Die Polizei habe nach den ersten Überprüfungen in der Nähe des Fundortes keine weiteren Spuren finden können, und man hoffe, dass sich die Frage, woher das Messer stamme und wie es in den Wald gelangt war, schnell und undramatisch aufklären würde. Ein Verbrechen lasse sich jedoch nicht ausschließen, und deswegen wende sich die Polizei zu diesem frühen Zeitpunkt der Ermittlungen an die Öffentlichkeit. Wenn jemand eine sachdienliche Mitteilung in dieser Angelegenheit machen könne, solle er sich umgehend bei der Polizei melden.

      Frau Thann erschien mit einem Tablett, auf dem sie eine |31|Kaffeekanne und eine Teekanne balancierte. Beide Gefäße sowie die dazugehörenden Tassen sahen wie wertvolle Museumsstücke aus. Als Iris darauf hinwies, erklärte Frau Thann, sie hätte das Geschirr auf dem Flohmarkt an der Leine in Hannover gekauft, wohin sie, wenn sie keine Gäste habe, am Sonnabendmorgen manchmal gehe, um überflüssige, aber schöne Dinge zu suchen und meistens auch zu finden.

      Marders Gedanken blieben bei dem blutigen Messer hängen. Durch die Erwähnung eines möglichen Verbrechens kehrten seine Erinnerungen zu den Ereignissen um die Familie Matuschek zurück. Der tote Körper seines ehemaligen Kollegen Alfred Matuschek in einem Teich am Rande der Innenstadt hatte ihn vor vier Jahren zum ersten Mal nach Barsinghausen gebracht, das Verschwinden von dessen Ehefrau zwei Jahre später noch einmal. Das Schicksal der Kinder hatte ihn damals bewegt, obwohl sie schon erwachsen waren und seine Hilfe oder seinen Zuspruch offensichtlich nicht wollten. Darüber hatte er sich zuerst gewundert, später verstanden.

      Frau Thann begann, über ihre Sehnsucht nach ihren Kindern und Enkeln zu sprechen. Sie plane, das Haus im nächsten Frühjahr zu verkaufen, um nach Süddeutschland zu ziehen, wo ihre Familie inzwischen zum größten Teil lebe. Außerdem liebe sie die Alpen, wo sie früher oft mit ihrem Mann gewandert sei. Marder unterbrach sie, trotz eines tadelnden Blicks seiner Frau. Seine Gedanken kreisten noch um die Familie Matuschek. Er fragte Frau Thann, was sie über das jetzige Leben von Bertram und Anja, den Kindern der Matuscheks, wisse. Die gleiche Frage hatte er Frau Thann schon einmal vor zwei Jahren gestellt. Damals war er von |32|Erich Falkenberg beauftragt worden, herauszufinden, warum Vera Matuschek plötzlich aus Barsinghausen verschwunden war. Frau Thann ließ eine weitere Mitteilung über ihre eigene Familie unausgesprochen. Sie schaute ihren Gast irritiert an, verzieh ihm jedoch die Unhöflichkeit, da sie sich daran erinnerte, dass Marder in die Geschehen um die Matuscheks und deren Aufklärung dienstlich verwickelt war.

      »Eigentlich weiß ich kaum etwas über die Matuscheks. Beide Kinder leben wohl noch in Barsinghausen. Bei Bertram bin ich mir ganz sicher, den habe ich erst in der letzten Woche bei einem Spaziergang getroffen. Er wohnt ja am Ende dieser Straße, ganz oben beim Wald. Wir haben uns aber nicht unterhalten, weil wir uns nicht persönlich kennen. Mir fiel trotzdem auf, dass seine Haare sehr schütter geworden sind und er ein unglückliches Gesicht machte. Aber das ist wohl der Normalzustand bei ihm, wenn ich mich korrekt daran erinnere, was Sie mir einmal erzählt haben.«

      Sydney hatte sich an seine Herrin herangeschmust, war auf ihren Schoß gesprungen und hatte sich schnurrend eingerichtet. Frau Thann streichelte ihn geistesabwesend.

      »Und was ist mit Anja?«, fasste Marder nach.

      »Keine Ahnung. Soweit ich mich entsinne, war sie Krankenschwester in Gehrden, das wird sie wohl noch sein, aber garantieren kann ich das nicht. Sie wohnt wahrscheinlich nach wie vor in Barsinghausen. Vor ungefähr einem halben Jahr habe ich ihr Bild in der Zeitung gesehen. Da war ein Open House bei der Polizei und die Presse hat davon Fotos gemacht. Auf einem dieser Bilder war Anja. War sie nicht mit einem der Beamten von der Kripo befreundet?«

      »Ja, ja, das war Kommissar Brenner. Ich glaube, sein Vorname |33|ist Burt, aber ich kann mich auch täuschen. Jedenfalls war er früher Assistent von Matuschek und wurde später sein Nachfolger. Aber das sind alte Geschichten. Wo, sagten Sie, möchten Sie gern hinziehen, wenn Sie die Pension geschlossen haben?«

      Frau Thann nutzte die Gelegenheit, ausführlich über ihre Pläne für die Zeit nach der Schließung von Marianne zu berichten. Nachdem sie mehr darüber erzählt hatte, als Marder sich merken konnte, sagte sie, dass sie nun zum Einkaufen in die Stadt müsse, selbstverständlich seien die Marders heute ihre Gäste beim Abendessen.

      »Inzwischen können Sie ein bisschen im Ort oder im Wald spazieren gehen. Schauen Sie sich einmal die Verwüstungen an, die der große Orkan angerichtet hat. Den werde ich nie vergessen, ich habe an dem Abend und in der Nacht voller Angst im Wohnzimmer gesessen, während draußen ein Höllenlärm tobte. Wie durch ein Wunder war am Haus und im Garten alles heil geblieben, aber nur wenige Meter dahinter im Wald hat der Orkan alles flachgelegt. Sie brauchen nicht weit zu gehen, die größten Schäden gab es direkt am Ortsrand.«

      Marder überlegte.

      »Ach ja, das war doch dieser riesige Sturm mit dem russischen Namen, irgendwas mit B… Bertil, oder so.«

      »Nicht mit B, sondern mit K. K wie Kyrill«, korrigierte Frau Thann nachsichtig.

      »Wenn sich dieser Sturm vor 20 Jahren ereignet hätte, wüsstest du heute noch genau, wie er geheißen hat«, meinte Iris, als sie die Pension verließen. »Komm, wir machen mal Katastrophentourismus.«

      |34|Viele Wege führen in Barsinghausen in den Wald, jedenfalls alle, die aufwärts gehen. Marder und seine Frau kamen wieder am Ziegenteich vorbei. Jedes Mal, wenn er hier vorbeischaute, hatte Marder das Gefühl, dass er seinem toten Kollegen Referenz erwies. Sie setzten sich auf eine Bank und blickten schweigend auf das dunkle Wasser. In der Mitte des kleinen Sees war eine winzige Insel mit einem Holzverschlag, in dem

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