Hannah und die Anderen. Adriana Stern

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Hannah und die Anderen - Adriana Stern

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ich fühle das einfach nicht. Mama sagt, dass ich vom Leben zu viel erwarte und dass man mich nie zufrieden stellen könne, egal, was auch immer man Tolles für mich tut. Dann kriege ich richtig Schuldgefühle, wenn ich mich so schlecht fühle, und fühle mich noch viel schlechter als vorher sowieso schon. Das ist wie ein Hamsterrad. Manchmal kann ich aus dem überhaupt nicht mehr aussteigen, dann wird es manchmal so schlimm, dass ich am liebsten sterben würde. Oh bitte, Klara, das darfst du niemandem weitersagen. Versprich es mir! Aber natürlich, du bist ja meine Freundin und du hilfst mir ja auch. Auch wenn ich dir nicht genau sagen kann wie, kannst du mir ja vielleicht trotzdem helfen.

      Vor zwei Wochen habe ich mal in der Kirche gebeichtet, weil ich mit diesen ganzen schrecklichen Gedanken überhaupt nicht mehr fertig geworden bin. Aber der Pastor meinte, das wäre in meinem Alter ganz normal. Er meinte, ich müsste den Sinn in meinem Leben erst noch finden und alle Jugendlichen würden sich mal eine Zeit lang so schlecht fühlen. Und dass es eine Sünde wäre, an Selbstmord zu denken. Da habe ich dann lieber nichts mehr gesagt. Aber warum, warum fühle ich mich so dreckig und schlecht und nutzlos? Ach Klara, ich will doch lieber bald erwachsen sein. Wenn dann diese Gefühle endlich aufhören. Oh, jetzt fällt mir schon eine erste Hilfe ein. Schreib mir doch bitte auf, wo ich das Buch am sichersten verstecken kann? Ach Mann, ich hab manchmal schon komische Ideen. Na ja, ich hoffe du verzeihst mir. Ich wünschte so sehr, dass es dich wirklich gäbe.

      Oh je, ich glaube, Papa ruft mich.

      Komisch, ich bekomme dann manchmal richtiges Herzrasen und mir wird ganz schummrig und ich kann gar nicht mehr richtig gucken.

      Ich habe schon mal überlegt, ob ich vielleicht eine unheilbare Krankheit im Gehirn habe. Komisch, das will ich auf keinen Fall. Ich glaube, in Wirklichkeit will ich gar nicht sterben, sondern mich einfach nur nicht so schlecht und sinnlos fühlen. Und siehst du, kaum schreibe ich an dich, schon fühle ich mich wieder viel besser.

      Oh Gott, Papa ruft schon wieder. Klara, mir ist so schlecht auf einmal …

       Sonntag, 5. Juni 1994

       Vielleicht als Schulbuch tarnen, eins, wo eine Mutter niemals reinguckt, zum Beispiel Geschichte oder Erdkunde oder Biologie. Gut, oder?

       2. Kapitel, in dem Janne sich erschreckt und eine richtig gute Idee hat

      Janne sah erschrocken auf das Mädchen hinunter. Tausend Gedanken überschlugen sich in ihrem Kopf.

      Scheiße, was mache ich denn jetzt … Wie alt sie wohl ist … Hätte ich doch letzten Herbst bloß diesen Erste-Hilfe-Kurs gemacht … Ich weiß nicht mal, wie sie heißt … Wovor hat sie so eine schreckliche Angst? … Ob sie wohl gesucht wird? … Ich weiß nicht mal, wo sie herkommt … Ich weiß überhaupt gar nichts von ihr … Verdammt, ich muss den Laden abschließen … Ich bin um acht mit Noa verabredet … Noa! Ich kann nicht schon wieder einen Termin verbauen … Ob das Mädchen ohnmächtig ist? … Ich muss irgendwas tun.

      Janne versuchte sich zu beruhigen. Ihr Herz raste. Sie sah das Mädchen am Boden liegen und fühlte einen Schmerz, sehr, sehr weit weg … so weit, dass sie sich kaum noch daran erinnern konnte und das Gefühl von Unwirklichkeit sie unwillkürlich zusammenzucken ließ. Sie sah sich selbst mit fünfzehn verzweifelt in ihrem Zimmer hocken und die Wände anstarren. Sie schob die Erinnerung zur Seite. Bloß nicht. Nicht jetzt. Sie beugte sich zu dem Mädchen hinunter und setzte sich dann neben sie auf den Boden.

      »Hey, du. Hallo. Bitte, sag doch etwas. Komm, bitte, mach die Augen auf.«

      Sie versuchte sich daran zu erinnern, welche Augenfarbe das Mädchen hatte, aber es fiel ihr nicht ein. Sie nahm ihre Hand und suchte hektisch nach ihrem Puls. Dann atmete sie erleichtert auf. Ein regelmäßiges Pochen war deutlich zu fühlen.

      Ob Noa schon zu Hause ist?, überlegte sie. Ich würde sie so gerne fragen, was ich machen soll. Noa hat immer gute Ideen, gerade in Krisensituationen. Und mit Mädchen sowieso. Ach, fiel ihr dann ein, ich kann sie überhaupt nicht anrufen. Immerhin arbeitet sie im Mädchenhaus, und wenn ich jetzt eine Mitarbeiterin des Mädchenhauses anriefe, wäre das für die Kleine bestimmt ein Vertrauensbruch. Vielleicht hole ich lieber eine Decke. Im Büro müsste eigentlich eine sein.

      »Du, ich hole mal eine Decke für dich. Ich komme sofort zurück, okay?«

      Das Mädchen reagierte nicht und Janne stand auf, lief die wenigen Schritte an den Bücherregalen vorbei auf das winzige Büro zu, in dem gerade genug Platz war für einen Computer, einen Stuhl und zwei lange, schmale, bis zur Decke reichende Regale, in denen sich Buchhaltungsordner und Leseexemplare stapelten.

      Janne bemerkte, dass sie den Computer noch nicht ausgemacht hatte, und die Hälfte der zu erledigenden Tagespost sprang sie regelrecht vorwurfsvoll an.

      »Immer mir muss so was passieren«, seufzte sie. Immer bin ich diejenige, der Hunde zulaufen oder Mädchen, die nicht wissen wohin, oder Migranten, die vor der Hetze durch Rechtsradikale in den Laden flüchten, so wie vor einem halben Jahr Lois. Komisch, dass den anderen so was nie zu passieren scheint. Sie werden mir meine Geschichten bald überhaupt nicht mehr glauben.

      Janne seufzte erneut und sah sich stirnrunzelnd in dem kleinen Büro um. Ihr fiel ihre Schulzeit wieder ein. Die Lehrer hatten auch immer geglaubt, sie hätte einfach nur eine sehr ausgeprägte Phantasie und einen besonderen Sinn für die originellsten Ausreden, wenn sie zu spät kam oder mal wieder die Hausaufgaben nicht gemacht hatte, was zugegebenermaßen ziemlich häufig vorgekommen war …

      In der hintersten Büroecke sah Janne die rote Plüschdecke fein säuberlich zusammengefaltet liegen. Sie nahm sie und ging zum Verkaufsraum zurück. Das Mädchen lag immer noch genauso da, und Janne sah mehr als besorgt zu ihr hinunter.

      Ich muss sie irgendwie wach kriegen. Ich kann sie unmöglich hier liegen lassen. Sie ist ja regelrecht umgefallen. Vielleicht ist sie krank und ich sollte eine Ärztin rufen.

      Ihr fiel ein, dass sie es in alten Filmen immer mit Riechsalz lösten, wenn eine Frau in Ohnmacht gefallen war. Und dass überhaupt in allen Filmen ausschließlich Frauen in Ohnmacht fielen. Natürlich, dachte sie höhnisch.

      Sie hatte sich noch nie überlegt, was in diesem Riechsalz genau drin war, und das bereute sie jetzt. Ihre Interessen waren weiß Gott vielfältig, aber Riechsalz hatte bislang nicht dazugehört.

      Musik! Das ist es. Ich mach Musik. Irgendwas Lautes, Fetziges. Vielleicht Pur oder so. Das könnte ihr gefallen. Janne deckte das Mädchen zu und strich ihr leicht über die Hand. »Ich helfe dir. Du bist nicht allein. Hab keine Angst. Wie wär’s mit ein bisschen Musik?«

      Hatte sich im Gesicht des Mädchens nicht gerade etwas bewegt? Hatte sie nicht ganz schwach gelächelt? Janne war sich nicht sicher, aber sie redete weiter in der Hoffnung, dass die Jugendliche sie hörte.

      »Ich leg mal Pur auf. Kennst du die? Ist echt eine ziemlich coole Gruppe. Ich kenne viele Mädchen, die diese Musik total klasse finden. Eigentlich habe ich sie durch die Mädchen kennen gelernt und jetzt höre ich sie selber ständig.«

      Janne hatte mit ihr gesprochen, als wäre sie wach und würde ihr auf jede Frage ganz selbstverständlich antworten. Und weil sie immer noch das Gefühl hatte, wirklich von dem Mädchen gehört zu werden, sprach sie weiter.

      »Ich mache Kurse für Mädchen. Selbstbehauptungskurse nennen sich die. Dort spielen die Mädchen ganz viel und

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