Einfach geh'n: Stefan Wiebels Lebensreise. Hans-Joachim Bittner

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Einfach geh'n: Stefan Wiebels Lebensreise - Hans-Joachim Bittner

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den so oft Übergewichtigen. Irgendwann verschwanden sie. In geheimen Zimmern der Lodges. Immer zwei, mal drei. Abgeschlossen. Die braven Ehefrauen warteten daheim, hielten Haus und Hof in Schuss, zogen die meist recht umfangreiche Kinderschar groß – und ahnten bestenfalls, was bei den Partys so alles vor sich ging.

      „Die waren nur noch deppert“, erinnert sich Stefan. Die Aktionen „J.R.’s“, der schon mal mit einer Cessna zum Kaffeetrinken an den Golfplatz flog, hielt er für „voll banana“. Wie die Feten am Pool. Er hatte bislang nur den (oberflächlichen) Straßeneinblick bekommen, ahnte nicht, was sich in einigen Gassen und vor allem hinter den Fassaden so alles abspielte. Jetzt erlebte er einmal kurz diese Glitzerwelt und wusste sofort, dass er weg musste. Mal wieder. Mal wieder schnell. Wie hätte er reagieren sollen, fragte er sich, auf den Umgang mit Alkohol und Mädchen, auf die sinnlose Ballerei auf Palmen, das sorglose Hantieren mit Waffen, als wäre es Spielzeug – er, der Kriegsdienstverweigerer.

       Cowboystiefelzeit

       Hand aufs Herz, Stefan: Wehrdienstverweigerer, da gab es zu Hause, beim Papa, dem Heeresbergführer, schon so manche Diskussion, oder?

      Erstaunlicherweise nicht im Geringsten. Ich war bei der Musterung in Traunstein. Es waren die 80er-Jahre, Cowboystiefelzeit. Wir saßen im Flur, in Unterhosen (!) und unseren Angeber-Schuhen. Verrückt. Und ich wurde als „Zweier“ mit sage und schreibe elf Einschränkungen eingestuft. Das Kreiswehrersatzamt diagnostizierte krumme Beine und ein schiefes Kreuz bei mir. Da musste ich lachen. Ich kletterte im 8. Grad – und die bewerteten mich als gebirgsuntauglich (Stefan schüttelt noch heute den Kopf darüber/​Anmerkung des Autors).

       Sie bescheinigten dir tatsächlich Gebirgsuntauglichkeit?

      Ja, das muss man sich mal vorstellen. Und Höhenuntauglichkeit obendrein. Obwohl ich schon mit 17 Gleitschirmflieger war. Ich gebe zu: Da war ich eingeschnappt und habe prompt verweigert. Eigentlich hatte ich mich bereits mit dem Gedanken angefreundet, in den Skizug zu gehen: Bergsteigen, Skitouren gehen, Skifahren, eine richtig gute Gebirgsausbildung, draußen sein. Der Dienst an der Waffe war für mich nie ein Thema, darum dachte ich mir: Wenn schon Bundeswehr, dann in einer Gebirgstruppe, die kraxelt, Ski fährt, in Bewegung ist. Das war nun schlagartig erledigt, aber in Ordnung. Ich musste mich nicht besonders damit abfinden. Ich machte Zivildienst bei den Sanitätern, das ebnete mir meinen späteren beruflichen Weg. Heute habe ich eine noch viel klarere Vorstellung von der Bundeswehr und würde auf jeden Fall verweigern.

      In einem Dorf mit ausnahmslos dunkelhäutigen Bewohnern kauften Stefan und Georg einen Einbaum und stachen ohne Vorbereitung kurze Zeit drauf unbedarft in „See“ – die Mangrovensümpfe zwischen dem Rio Dulce („Süßer Fluss“) und dem Lago de Izabal, dem größten See Guatemalas, südlich von Livingston am Golf von Honduras, lagen vor ihnen. Nach wenigen Metern ging das Ding unter, es war viel zu klein, trug die beiden nicht. Stefan schaute seinen Spezl, den selbsternannten Einbaum-Spezialisten, fragend an. Der war verdutzt. Ein neuer, größerer Einbaum musste her. Er wurde geschnitzt, von Einheimischen, extra für sie, die beiden Oberbayern. „Ein echtes Gringo-Boot“, erinnert sich Stefan lebhaft.

       Verpaddelt

      Langsam tasteten sie sich vor, auf der spiegelglatt gespannten Oberfläche. Einer riesigen Glasscheibe gleich. Eine dünne Spur zeugte hinter ihnen von den bedächtigen Paddelzügen. Ist es so ruhig, wird auch der Reisende ganz still, bedächtig fast. Mückenalarm hin und wieder, drückende Schwüle, gewaltige Schweißperlen auf der schon sonnengegerbten Haut, sie tropften ihnen in die Augen. Übernachten in Hängematten, einmal ohne festes Land, zwischen zwei Bäumen, die im Wasser wachsen. Selbstverpflegung, kein Mensch weit und breit. Das Ziel: El Estor im Westen des 48 Kilometer langen und 20 Kilometer breiten, mächtigen und doch so friedlichen Gewässers.

      Sie verpaddelten sich recht ordentlich, in der Einsamkeit, und gerieten in arge Not. Kein Land mehr in Sicht, geschweige unter den Füßen, kein Feuer mehr, kein warmes Essen. Die Hängematten hingen sie zwischen instabile Sträucher, das „war alles andere als beruhigend“. Stefan war schon wieder in eine Lage geraten, die sein Leben massiv bedrohte. So kurz nach seinem Absturz am Vulkan. Sie kamen wieder raus, aber Stefan weiß: „Wir wären heute noch drin, in den Sümpfen, hätten uns die Indios nicht wieder rausgeführt, zum rettenden Hauptfluss.“

      Mit ihrem Einbaum kamen sie direkt zu einem Waisenhaus: „Hier hätte ich gern gejobbt.“ Es wurde nichts draus. Obwohl er es gut kann, mit Kindern. Touristen kommen hier nur sehr selten vorbei. Und wenn, erhalten sie keinen Einblick. Die Kinder sollen ihre Privatsphäre behalten. Sehr viel später war Stefan nochmal dort, mit seiner Irmi. Wieder kam er super bei den Kindern an. Doch er konnte nicht bleiben, wie schon 1992. Daheim wartete eine andere Arbeit, zumindest auch eine soziale.

      Damals ging auch sein Geld langsam zu Ende. Ein Job hätte für weiteres Reisekapital gesorgt. Mit dem Schorsch ging es noch ein wenig durchs korrupte Land mit Orten im Hochsicherheitslook, streng bewacht. Militär allerorten. Die Reichen bewegten sich außerhalb ihrer Wohnungen lediglich mit gepanzerten Autos, und „wir fuhren dort mit dem Fahrrad rum und dachten uns nichts dabei“. Aus heutiger Sicht ein Himmelfahrtskommando. Sie sind einfach weitergereist. Rein nach Honduras.

       Der Sohn von Hitler?

      In einem anderen Dorf am Lago de Atitlán, in San Pedro La Laguna, verkrümelte sich Stefan, als er allein unterwegs war. Er wollte einer wilden Schießerei entfliehen. Unbedarft radelte er ins Dorf, fast wie in Trance. Plötzlich der Weckruf. In einem Gefängnis brach eine Rebellion aus. Es gab mehrere Tote, noch mehr Verletzte – wie meist in solch sinnlosen Auseinandersetzungen gerade unter völlig unbeteiligten Bürgern. Irgendwann wusste keiner mehr, wer hier eigentlich gegen wen kämpfte. Das Militär machte Hatz auf die Guerilla, die Guerilla auf die Einheimischen, die Einheimischen schoben alles aufs Militär. Alle wollten das Sagen haben, niemand hatte wirklich etwas zu sagen, es war ein wildes Durcheinander. Bürgerkriegsnah bereits. Und er, der Wiebei aus Bad Reichenhall, mittendrin.

      Von Touristen hatte er von solch unfassbaren Geschichten gehört und fragte sich, wie er wohl reagieren würde, käme er in die brenzlige Lage eines Überfalls. Sein gutes Spanisch beruhigte Stefan: „Ich wollte damit imponieren.“ Eigentlich war er hier, um Land und Leute kennenzulernen. Diese Intensität konnte er nicht erwarten und war ihm zu viel. Später, auf einer Bergstraße, begegneten ihm Zahnlücken-Jungs auf einem rostigen Pick-up, vier Reifen ohne Profil, wie seine Insassen. Fünf Zwielichtige mit Mundgeruch. Sie betrachteten es als Gag, den deutschen Gringo zu ärgern und ihre Pistolen zu präsentieren, zielten aber nicht auf ihn. Sie „empfingen“ ihn, in einer Parkbucht, er hatte keine Chance, um auszuweichen. „Ich musste an ihnen vorbei. Hätte ich umgedreht, wären sie mir so oder so gefolgt.“ Er wusste sofort: „Brotzeit werden die nicht mit mir machen wollen.“ Sie fuchtelten mit ihren Knarren herum und zeigten ihm einen Vogel, weil er es „wagte“ bergauf zu radeln. Sie verstanden nicht, dass jemand „so etwas Verrücktes“ tut. „Wo fährst du hin?“, löcherten sie ihn. „Wo kommst du her?“ Deutschland? Ost oder West? Und: „Bist du der Sohn von Hitler?“ Die Wende war zwei Jahre her. Stefan konnte so wenig Bildung auf so „viel“ Hirn nicht fassen.

      Griffbereit verweilten – für exakt solche Situationen – ein paar Scheine, Cash, Bares, in seiner Hosentasche. Sie sprachen Slang mit ihm, absichtlich, damit er sie nicht verstehen konnte. Denn Spanisch konnte er mittlerweile, sehr gut sogar. Und wieder war das Hauptaugenmerk auf die Schuhe gerichtet. Hinten am Gepäckträger hatte Stefan richtig feine Camel Boots dabei. Schuhe bedeuten in Lateinamerika puren Reichtum. Natürlich nahmen sie ihm diese, plus seine Kamera. Die Rollei war denen wichtiger als das Fahrrad – letztlich war’s Stefan so herum lieber. Ab jetzt gab es allerdings keine Fotos mehr … – weil er keinen vernünftigen Apparat mehr in den schlecht ausgerüsteten Läden fand. Die Gehäuse dort

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