Einfach geh'n: Stefan Wiebels Lebensreise. Hans-Joachim Bittner

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Einfach geh'n: Stefan Wiebels Lebensreise - Hans-Joachim Bittner

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zum praktischen Handeln verurteilt. Als der Bayer nach drei Tagen wieder ins Dorf seines Aufbruchs humpelte, endlich den Vulkan hinter sich gelassen hatte, empfing ihn die mexikanische Familie, die ihn zuvor bewirtet hatte, im Tal erleichtert, ja überschwänglich.

      Jetzt war Stefan gefesselt. An ein schmales mexikanisches Bett. Zum Arzt wollte er nicht, es würde alles wieder von selbst heilen, war er sich sicher. So oder so: Er musste sich schonen. „Ich hatte keine Wahl.“ Seine Sachen hatte er noch in einer kleinen Pension, doch seine neue Gastfamilie holte ihn zu sich, sie hatte genug Platz. Und einen Stock zum Aufstützen, zum Entlasten des kaputten Fußes. Ihrem Drängen konnte er irgendwann nicht mehr standhalten. Das Mountainbike kam an einen trockenen Platz im Hof, sicher verwahrt. Stefan bezog sein neues Zimmer.

      Er bewies Geduld, schonte sein lädiertes Sprunggelenk, legte es hoch und ließ es dort. Der Plan, Mexiko zu durchradeln, war vorerst auf Eis gelegt. Der Abgestürzte und Durchgekommene wartete auf Besserung. Die Familie „Medico“ besorgte Salben, „mit etwas Kühlem drin“. Weihnachten kam, Silvester und Neujahr gingen. 9.500 Kilometer von daheim, dort wussten sie lange nichts von seinem Tun, seinem Unfall, seiner neuen Bleibe, seinen Plänen. Damals gab es noch keinen Mailverkehr, keine Handys. „Ich hab mal eine Postkarte geschrieben, aber die war wochenlang unterwegs.“ Mit den Eltern hatte er in all den Monaten in Lateinamerika – am Ende sollten es acht sein – höchstens dreimal telefoniert.

      Mexiko begrüßte das Jahr 1992 mit einer großen bunten Feier. Auch das Dorf, in dem Stefan stark lädiert gelandet war. Alle waren auf der Straße, alle jubelten, sangen, tanzten. Es sprach sich rum, dass da ein Gringo, noch so jung und unerfahren, seine Wunden leckte. Alle wollten mit dem Verrückten, der immer besser Spanisch lernte, anstoßen. Trinken mit dem Deutschen, der vom Citlaltépetl gesprungen und von ihm gefallen war. Ohne Rettungsschirm. Weit abseits vom Gringo-Trail, zeigte Mexiko seine ganz andere Seite: „Da ging’s rund, unbeschreiblich.“

       Es wurde ihm zu heiß

      An jeder Ecke dampfte es und roch nach vielerlei. Fremde Gerüche für eine europäische Nase. Er machte seine Runde um den Zócalo, spazierte um den kreisrund angelegten Stadtpark, das Zentrum einer jeden mexikanischen Stadt. Hier, wo die großen und kleinen Metropolen des mittelamerikanischen Staates pulsieren und tausende Dämpfe wabern. Stefan trieb sich am Markt herum, sah sich viel an, war beeindruckt von den tollen Geschäften, die alles und nichts hatten. Und Stefan verliebte sich. Ganz langsam. Ihm selbst war das zunächst noch gar nicht bewusst. Nadia (Name geändert) war es, eine der drei Töchter der Familie, die sich um ihn kümmerte. „Alle drei waren hübsch, sehr hübsch, aber die eine …“. Sie war vergeben, eigentlich. An einen Polizisten, der immer am Wochenende kam. Und sie war schwanger, vom Ordnungshüter, zweifelsfrei. Der Bruder wachte über das Schwestern-Trio, die Mutter durfte von alledem noch nichts wissen. Stefan war das alles zu heiß, er musste weiter. Vorerst.

      Der ursprüngliche Traum war dahin: Radeln ja, vielleicht, fliegen nein, ganz sicher. Er hatte ohnehin keinen Schirm mehr, der war oben, in einem Föhren-Baumstumpf. Gut versteckt, am Pico de Orizaba. Stefan suchte ihn vergeblich, als er später auf seinen Unglücksvulkan zurückkehrte. „Vermutlich haben sie mich dabei beobachtet, die Bauern, wie ich ihn in dieser Stammhöhle versteckte. Ich stand davor, da war ich mir sicher. Es war der richtige Baum.“ Sie konnten ihn gebrauchen, zu was auch immer. Zum Fliegen keinesfalls. Das Material war neu für sie, es hat sie garantiert fasziniert. Das Fluggerät war verschwunden.

      Der Vulkan, der ihn einfach liegenließ, brachte Stefan schon wieder kein Glück. Nicht einmal danach.

      Unterwegs in Lateinamerika.

       Kapitel IV: Schon wieder ein Leben kaputt

      Er wollte Spanisch lernen. So richtig, mit allem drum und dran. Jetzt, auf der Stelle. In Guatemala, einem landschaftlich einzigartigen Land, das nach vielen Bürgerkriegen in Korruption und Armut versank. Die Sprachschule war in Quetzaltenango, auf 2.234 Meereshöhenmetern. Für einen Monat schrieb sich Stefan ein. Er wohnte drei Wochen bei einer Familie, und er lernte Spanisch, in einer Stadt, die für ihre Sprachschulen bekannt ist und eine Partnerschaft mit dem norwegischen Tromsø pflegt, der nördlichsten Universitätsstadt der Welt. Jener Metropole im so weit entfernt liegenden Europa, etwas nördlich des Polarkreises, zu der Stefan sehr viel später ebenfalls eine Verbindung aufbauen sollte. Heute spricht er fließend Castellano. Es hat sich gelohnt, die Mühe in Lateinamerika. Manchmal fallen ihm die deutschen Begriffe für spanische nicht ein, wenn er erzählt.

      Nach seinem Sprachkurs wollte Stefan wieder „rumdeifen“ (rumteufeln“ – eine hochdeutsche Erklärung für „rumdeifen“ ist schwierig. Ich beschreibe es mal mit „frei und ungezwungen umherreisen und bleiben wo man will“, also sowohl spontan, am Ende aber auch durchaus zielgerichtet/​Anmerkung des Autors). Er spürte es ja schon lange, dass das Reisen „sein Ding“ ist. Er ging durchs Dorf, abends, ging spazieren. Voller Gedanken, voller Pläne und Träume, Gefühlswirrwarr durch und durch. Plötzlich eine leichte Berührung, im Gesicht, von hinten: „Es war der Schorsch“. Unglaublich, ein alter Bekannter aus Bad Reichenhall, sie kannten sich vom Gleitschirmfliegen. „Georg?“ Tatsächlich, der Schorsch. „Wahnsinn …“. Stefan war platt, sprachlos zuerst, so ein Zufall. Der BWL-Student, fünf Jahre älter als der Wiebei, wusste, dass der gerade in Lateinamerika unterwegs war. In seinen Semesterferien flog er einfach hin. Die Wahrscheinlichkeit, den Stefan tatsächlich zu finden, in einem riesigen Gebiet, tendierte gegen Null – wenngleich nahezu alle Gringos auf dem gleichen Trail unterwegs waren. Er traf ihn, seinen „alten“ Spezl, das Unmögliche klappte.

      Der Schorsch hatte sechs Wochen Zeit zum „rumdeifen“. Aber Stefan musste noch seine Schule abschließen. Da lieh sich Georg Wiebels Rad und fuhr los. Beide hatte längst die Reiseleidenschaft gepackt. Am Lago di Atitlán trafen sie sich wieder, dem zweitgrößten See Guatemalas auf 1.560 Metern. Sie reisten weiter, radelten in den Norden, sahen das Land, fühlten es, erlebten es. Sie schauten sich Ruinen an. Tikal beispielsweise, eine antike Stadt der Maya in den Regenwäldern des gleichnamigen Nationalparks mit bemerkenswerten Stufentempeln. Sie war eine der bedeutendsten Städte der klassischen Maya-Periode (3. bis 9. Jahrhundert) und ist eine der am besten erforschten. In diesem kleinen mittelamerikanischen Land gefiel es Stefan. Mit allen Sinnen bereicherten die beiden ihr Empfinden. Sie reisten viel und intensiv, der Georg und der Stefan. Unter anderem mit dem Bus. Und sie besuchten einen Ausgewanderten aus der Heimat …

      Guatemala: Warnung vor einer 200 Meter langen Glatteiszone – bei über 30 Grad im Schatten.

      Stefan nannte ihn den „J.R. von Guatemala City“, der dort mit seiner Frau lebte, die ebenfalls aus seiner Heimat stammte. Die feierten, feierten feudal, feierten viel, fast unentwegt. Und wenn der Alkoholpegel einen gewissen Grad erreicht und/​oder überschritten hatte, fingen sie an, mit ihren Karabinern und Westernpistolen auf die Palmen im Garten zu schießen, die Reichen der Stadt, der kleine Prozentsatz der Bevölkerung mit Geld. Jene also, die das Land regieren, anschaffen, sich aushalten lassen. Sie stachelten sich in ihrer gegenseitigen Arroganz an, wer die größeren Kugeln hätte und rissen riesige Löcher in die dicken, knallgrünen

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