Einfach geh'n: Stefan Wiebels Lebensreise. Hans-Joachim Bittner
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Aufklärende Lieder
Als 14-Jähriger einen Sommer am Berg.
Die kompletten Sommerferien 1984 verbrachte Stefan in primitivsten Verhältnissen: Ferienjob auf 2.941 Metern, in einer Biwakschachtel am Hochkönig. Das heutige Franz-Eduard-Matras-Haus wurde gebaut, denn das Schutzhaus, bereits 1898 errichtet, fiel am 4. Mai 1982 einem Brand zum Opfer. Das Wiedereröffnungsfest stieg am 1. September 1985. Stefan half Hüttenwirt Hermann Hinterhölzl und den Handwerkern, die sich die Bergklinke in die Hand gaben: Maurer, Installateure, Dachdecker, Maler. Er kochte: „Na ja, ich wärmte Dosenfutter auf, jeden Tag die gleiche Pampe mit Tomaten, Reis, Paprika und Hackfleisch“, schmunzelt er heute. Es gab eine spezielle Dosenpresse, das erleichterte die Sache ein wenig. Stefan putzte die Unterkunft und wusch die Wäsche der Arbeiter. Erstaunliches Selbstbewusstsein, erstaunliche Selbstständigkeit, erstaunliches Durchsetzungs- und Durchhaltevermögen eines Jungen, der schon immer wusste, was er wollte, was er tat, und der seine Ziele anpackte ohne vorab großartig zu lamentieren. Am Hochkönig genoss Stefan schon damals, als Heranwachsender, den Ausblick auf über 200 Dreitausender, vom Toten Gebirge über den Großglockner bis zur Zugspitze, erlebte sagenhafte Sonnenauf- und -untergänge. Er fühlte sich von Anfang an gut dort oben aufgehoben. Am Abend sangen sie Lieder, die handwerkenden Feuchtfröhlichen. Keineswegs jugendfreie Songs. „Da ging’s irgendwie immer um Frauen und ihre ‚Ausstattung‘ – das war ziemlich heftig“, lacht Stefan heute. „Ich glaube, ich wurde damals aufgeklärt, ziemlich unbewusst“.
Ein anderer Ferienjob brachte das Kontrastprogramm: Jeden Samstag um halb drei Uhr nachts aufstehen, um eine halbe Stunde später bei einem Bäcker ganz in der Nähe auszuhelfen: Semmeln und Brezen sortieren und fürs Liefern herrichten, ausfahren, putzen und was sonst noch so alles anfiel. Am Abend stand er dann auf einer großen Matte in Gelb, Rot und Blau und hat gekämpft. Beim Athletikclub Bad Reichenhall, als Schüler- und später als Jugend-Ringer. Einmal, da war er erst 14 oder 15, sogar gegen Olympia-Medaillengewinner Markus Scherer: „Der hat sich in der ersten Runde mit mir gespielt, danach hob er mich aus und feierte seinen üblichen Schultersieg. Der hatte wenig Fingerspitzengefühl, gegen einen Grünschnabel wie mich“, ärgert sich der Wiebei noch heute darüber, wenn er sich erinnert. Er musste aushelfen, weil die leichteste Gewichtsklasse bis 48 Kilogramm für die meisten Erwachsenen „zu leicht“ war. Nach zehn Jahren war Schluss, mit dem Ringsport, Mama Germana atmete durch: „Das gefiel mir gar nicht, das mit dem Rangeln“.
Noch kein Auswanderer
„Das Zelt war schon immer irgendwie meins“, sagt Stefan. Heute am liebsten im Schnee.
Heimat ist Stefan wichtig. Bei all dem Drang, raus zu müssen, in die Welt, weiß er sein Zuhause zu schätzen. In der Ferne daheim, daheim zu Hause. Abfahren, ankommen, dortbleiben, abfahren, ankommen, daheim sein, bleiben, … – das immer gleiche Spiel. Für immer weg bleiben? Noch nicht sein Ding. „Ich bin kein Auswanderer.“ Lange wegbleiben ja, vielleicht sogar mal ein ganzes Jahr, das schon. Aber für immer? Noch nicht. Die Träumereien von einer Blockhütte aus massiven Alaska-Stämmen im rauen Norden Nordamerikas sind legitim. Autark als Selbstversorger, Jäger und Fischer leben, eins mit der Natur werden, sein und bleiben. Jene Träume, niemand kann sie rauben.
Mit einer guten Freundin aus Zivi-Sani-Zeiten bestieg er Ende der 1980er-Jahre zum ersten Mal ein Flugzeug. Es brachte sie nach Zentralamerika. Die erste große Reise, sein Knackpunkt. Costa Rica und Guatemala infizierten ihn, mit einem Fieber der besonderen Art: Fernweh, dafür gibt es kein Rezept, dagegen keine Pillen. Bus und Bahn beförderten den Gringo und die Blonde („blonder geht’s nicht“), durchs Land. „Da bekamen die Latinos große Augen, mein lieber Mann.“
Dort, wo Stefan wohnt, ist zu erkennen, welche Länder er bereits bereist hat.
Voller Erinnerungen kommt er heim, von seinen Reisen, einige Mitbringsel im Gepäck. Das ist Usus. „Die will ich daheim aufhängen, um mich zu erinnern und noch so lange wie möglich vom Unterwegssein zu zehren.“ Doch allzu schnell, zu rasant für ihn, überholt Stefan der routinierte Alltag. „Daheim wird das lockere, beschwingte, ja befreite und total relaxte Schlendern durch die Straßen, die Fußgängerzone oft schnell ausgebremst.“ Die Gegenwart – der Stress und die Hektik der Menschen, das geschäftige Treiben, die teils schlechte Stimmung, hervorgerufen durch Negativ-Nachrichten in den Medien – greift nach ihm. Schneller als ihm lieb ist. „Arbeit ist auch wichtig, klar.“ Die Vorfreude auf das Zuhause, die selbst er, der Wegbleiber, stark in sich trägt, verpufft zu rasch: „Weil man wieder von all dem Wahnsinn in der Welt hört, vom Wahnsinn daheim, den Nachbarschaftsstreitereien, den lokalen Schwierigkeiten, Unfällen, Neid und Missgunst, Lug und Betrug – so viele Verrückte laufen bei uns rum.“ Die Mordnacht von Bad Reichenhall, kurz nachdem Deutschland zum vierten Mal Fußball-Weltmeister geworden war, ist ein trauriges Beispiel. Ein älterer Mann starb, ein 17-jähriges Mädchen wurde schwer verletzt.
Das Elchgeweih über der Eingangstür, der skandinavische Grill oder die echt-nordländischen Gartenmöbel können das unvermeidliche „ins normale Leben driften“ auf Dauer nicht kompensieren. Nicht für Stefan. Das Land „drumrum“ ist ein anderes, in Good Old Germany, in dem weder alles golden glänzt noch alles schlecht ist, beileibe nicht.
Zwei Bayern auf Rügen
Als Stefan und Irmi – sie war fünf Wochen später nach Norwegen geflogen und Stefan Wörz bereits zurück in Bayern, da sein Urlaub zu Ende war – wieder in Deutschland ankamen und die Fähre sie vom schwedischen Trelleborg in gut vier Stunden nach Sassnitz auf der größten deutschen Insel brachte, fanden sie einen nahe gelegenen Pinienwald. In einer kleinen Rügener Parkbucht wurde ihnen das Verweilen mit dem Wohnmobil per Tafel mit rotem Rand verweigert. Erst recht das Übernachten. Sie machten es trotzdem, waren müde, wollten einfach nur schlafen, und Stefan, vor allem er, war Verbotsschilder nicht mehr gewöhnt. Er wollte und will sich wehren, gegen ein durch und durch „vorgeschriebenes Leben“. Es war bereits Nacht. Sie blieben, ruhten gut, und brunchten noch besser am nächsten Morgen am menschenleeren, flach in die Ostsee abtauchenden Sandstrand, nur ein paar Meter von der Parkbucht. Prompt klemmte bei ihrer Rückkehr zum Fahrzeug ein kleiner weißer Strafzettel unterm Scheibenwischer. „Deutschland hatte uns wieder, willkommen daheim.“ Sie hatten niemanden gestört, die Umwelt in keinerlei Weise belastet, und hatten nun, nach nur wenigen Stunden, einen ersten unguten Heimat-Groll. „Natürlich leben wir hier sehr gut und wir dürfen nicht alles verteufeln. Wir haben alles, wir jammern auf hohem Niveau, logisch. Aber wir ersticken halt auch in Verboten, Vorschriften und Regeln.“ Der Strafzettel kam ihnen vor wie eine saftige Watsch’n, die sie – kaum zurück – unsanft und schmerzhaft empfing.
Sie blieben immer noch, auf diesem Parkplatz, hier war es gemütlich, hier war es ruhig, hier dufteten die Pinien und die Kiefern und vermittelten noch ein wenig Urlaubsstimmung, so kurz vor dem Wiederein- und Abtauchen in den (deutschen) Alltag. Und Stefan hatte so überhaupt keine Lust, sich unmittelbar wieder verbiegen zu lassen. Der Ordnungshüter schaute erneut vorbei, zur Mittagsstund schlug’s bereits, das silbergraue Wohnmobil mit dem BGL-Kennzeichen stand immer noch da. Er klopfte vehement an die Campingtür und drohte unbarmherzig mit dem zweiten Knöllchen, Zornesröte im schwitzenden Antlitz. Sie verstrickten sich, viele Worte, wenig Ertrag, kein Ergebnis. Der Uniformierte beharrte auf „seinem Recht“ und der Wiebei verschaffte „seinem Unmut“ darüber Luft. „Irrsinnige Schilder mit rotem Rand.“ Es ging hin und her. Ungut zuerst, auf einmal sachlicher, ruhiger, besser. Sie versprachen, bald zu fahren,