Einfach geh'n: Stefan Wiebels Lebensreise. Hans-Joachim Bittner
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In Skandinavien begegneten ihnen auch Vorschriften, natürlich. Doch nie mit dem erhobenen Zeigefinger. „Es sind eher Verhaltensregeln, die an den gesunden Menschenverstand appellieren – und ihn voraussetzen.“ Am Eingang eines Nationalparks werden die wichtigen Gebote einmal aufgelistet. „Das muss reichen, und es reicht.“ Im Naturschutzgebiet selbst darf der Flora-und-Fauna-Freund verbotsschildfrei wandern und genießen. Ich habe den – freilich keineswegs repräsentativen – Vergleichstest gemacht. Subjektives und unbestätigtes Resultat: Am Thumsee, „Biotop“ und Idyll nur wenige Fahrminuten oberhalb Bad Reichenhalls, meiner Heimatstadt, ein Areal von gerade einem Kilometer Länge und 140 Metern Breite im Schnitt, mit über- und unterirdischen Zuflüssen, begegnen dem aufmerksamen Spaziergänger sage und schreibe 32 verschiedene (!) Verbots- oder Gebots- sowie „Hinweisschilder bezüglich richtigen Verhaltens“ … – ja, sie schlagen ihm förmlich ins Gesicht.
Inspirierende Jugendzeit
Schon als Kind bewunderte Stefan die heimischen Kraxler, wenn sie wieder eine Erstbegehung in den Berchtesgadener Alpen in den hellen Kalkfels zauberten. Seitenweise verschlang er die Geschichten der tollkühnen, mutigen Kletter-Alpinisten, fand so viel Inspiration in den sagenhaften Bergbüchern unzähliger, oft vergessener Pioniere. Menschen mit unermesslichem Tatendrang, Mut, nicht zu bändigender Abenteuerlust. Selbst war er so intensiv mit den Eltern in den Bergen unterwegs, ganz ohne Brechstange lernte er das Leben in Tälern, auf den Almen und Gipfeln kennen. „Diese Zeit hat mich ganz stark geprägt“, weiß er heute. Und er weiß das alles zu schätzen. Papa Willi durfte er oft begleiten. Der arbeitete in einer sozialpädagogischen Erlebnisschule. Sie gingen klettern, absolvierten Kajakkurse, unternahmen mehrtägige Bergtouren, versorgten sich selbst. Hier spürte Stefan früh, welch Eigendynamik eine Gruppe entwickeln kann. Erst zwölf Jahre alt, war er voll und ganz im Teamwork integriert. Er lernte Könner und Laien kennen, echte Freaks, einige Verrückte, doch vor allem viele Bergführer aus der ganzen Welt. Und er eiferte ihnen nach, wusste bald eine Antwort auf die so oft gestellte Frage, was er denn mal werden wolle? Unumstößlich, ja nahezu in Stein gemeißelt: „Bergführer“. So klar wie der soeben beschriebene Thumsee, in dem er sich so oft nach heißen Sommertagen abgekühlt hatte. An späten Nachmittagen, als der Touristentrubel nachließ und die Einheimischen kamen, erfrischte er sich und genoss die lauen Abende am Ufer.
„Ist es egoistisch?“, fragt Stefan. Er meint sein Tun. Und dass er macht, was er sich vornimmt. Macht, was er sich erträumt. So viele schwierige Reisen hat er hinter sich. Alphatiere hatten das Sagen, für ihn so schwierige Charaktere, die ihm das Wegsein erschwerten. Aufgrund diverser persönlicher Aversionen wurden so viele Ziele verfehlt. „Je mehr Leute zusammen unterwegs sind, desto mehr Zu- und Eingeständnisse muss jedes Teammitglied machen.“ Die Reisen avancierten rasch zu dauerhaften Kompromissen. Das war (ihm) zu anstrengend, das Unterwegssein verlor seinen Reiz, den Genuss, das Erleben. Die eigenen Ansprüche, Ziele und Wünsche zurückschrauben, bei einer Expedition, die jeder Einzelne vielleicht nur einmal erlebt, nur einmal erleben darf und kann – das funktionierte zu oft nicht. Bergsteiger-Legende Reinhold Messer rieb sich, ehe er irgendwann allein oder mit Partnern seiner Wahl loszog und sein Tun selbst bestimmte, allzu oft an heroischen Expeditionsleitern auf. Freilich polarisierte er später selbst stark und wurde mitunter für Begleiter anstrengend. Für Stefan ärgerlich: „Ich war damals Landschaftsgärtner, verdiente nicht viel, verlor aber viel Geld bei derart unnützen, weil erfolglosen Unterfangen.“
Frühreif
Die Tendenz ging ganz klar Richtung „allein reisen“. Schon wieder quält Stefan, wenn er erzählt, die Frage, ob er dabei zu sehr an sich denkt, zu egozentrisch handelt. Doch wenn er allein unterwegs war, konnte, durfte und wollte er keinen anderen mit in seine Gefahr ziehen. Das war ihm klar. Und: Er war viel zu lange viel zu risikobereit. Schon mit 16 fuhr Stefan das erste Mal ohne Eltern in den Urlaub, trampte zum Klettern an die französische Adriaküste. Er wusste früh, was er wollte. Die Ziele klar vor Augen, die möglichen Konsequenzen nicht. „Hätte ich die damals einkalkuliert, hätte ich das alles womöglich nie gemacht.“ So ist er froh, bei allem was passiert ist, und das war nicht unbedingt wenig, vorab nicht so sehr daran gedacht zu haben, welchem Wahnsinn er da teilweise frönte. Letztlich machte es einen reifen Mann aus ihm, der heute wieder mit Begleitung reisen kann und auf größtmögliche Sicherheit umfangreichen Wert legt. Die Spannung dennoch nie verlierend.
Das war alles: Nur mit einem Rucksack und seinem Fahrrad, zerlegt in einem Karton, brach Stefan nach Mexiko auf.
Mit VHS-Spanisch – also nicht mehr als ein paar Brocken – ging es 1991 nach Mexiko. Da war er gerade 21. Allein, das Rad zerlegt in einer großen Schachtel. „Eigentlich mein bester Trip“, sagt Stefan heute. Er wollte radeln, im Land der Tortillas, Sombreros und des Tequilas sowie der Vulkane. Wollte von einem Feuerberg zum nächsten rollen und von ihnen springen. Und rein ins arme Guatemala, vielleicht runter bis in das so farbenfrohe Costa Rica. Nach dem Zivildienst, als Rettungssanitäter, hatte er Zeit und Möglichkeit aus- und aufzubrechen. Zurück in den Beruf, als Landschaftsgärtner, wollte er längst nicht mehr.
Im Moloch Mexiko Citys trat Stefan vor den riesigen Airport-Komplex. Staub, Smog und Lärm dominierten und erschlugen ihn im ersten Moment. Der immer gleichmäßige Rhythmus, der immer gleiche Takt, Motoren- und Maschinen-Monotonie tagein, tagaus. Ohne Pause. Ohne Durchatmen. Er, der Takt, bebte in seinen Ohren.
„Hinterm Flughafen hab ich mein Rad zusammengebaut, warf die Satteltaschen drüber und bin losgeradelt.“ Den Gleitschirm der Mutter im Rucksack. Mit 17, also vier Jahre zuvor, hatte er begonnen zu fliegen. Ohne Schein, schwarz, verjährte „Sünden“. Stefan wusste ein 10.000-D-Mark-Budget im Rücken, das durfte er selbstauferlegt verprassen. „Das musste weg.“ Er wollte es nicht aufheben. „Wozu“? Bei der Bank brachte es ihm nichts, so dachte er damals. Und so denkt er irgendwie noch heute.
Porentief rein
Naiv radelte Stefan dahin, zu wenig Flüssigkeit dabei. Er trocknete aus. Ein netter Lkw-Chauffeur hatte Cola geladen. Der war mit seinem Gefährt im Graben gelandet und half dem jungen Deutschen: „Da hab ich fünf bis sechs Flaschen auf einmal ausgetrunken.“ Danach hatte er noch mehr Durst.
Mit dem Rad allein in Mexiko unterwegs: Am Paso de Cortés, 3.700 Meter über dem Meer.
Bei Bauern fand er Unterschlupf, in Hütten Möglichkeiten zum Übernachten. Auch mal in einem billigen Hostel, so oft verdreckt, versifft regelrecht. Deshalb mal im Freien, weil sauberer, ruhiger und erholsamer als mit Dach überm Kopf. Nicht nur einmal landete Stefan unbewusst in einem Stundenhotel. „Von außen erkannte ich das nicht.“ Erstmal drin war rasch klar, was hier „gespielt“ wurde. Irgendwann war’s ihm egal. Es sind die „besseren Unterkünfte“: porentief rein, weil desinfiziert.
Mit dem Mountainbike, einem Shimano Longus Competition 2000, ging’s zum ersten Vulkan. Den ist er einfach raufgestiegen, kerzengerade da kein Weg, und wieder runtergeflogen. Er tat das, was er wollte. Ohne Fragen zu stellen, ohne sich irgendetwas dabei zu denken. So frei, so 100 Prozent Leben, so mittendrin im Leben statt nur dabei.
Und doch kam für den Wegbleiber so schnell und so unvermittelt alles wieder ganz anders …
Kapitel III: Der unfreundliche Vulkan – Absturz I – Mexiko