Wo der Hund begraben liegt. Beate Vera
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»Vielleicht kommt sie ja auch mal zu Ihnen, dann haben Sie was Ordentliches zum Anbieten …« Der Mann nahm die beiden Flaschen und packte sie in eine Papiertüte mit dem Aufdruck des Ladenlogos. »Sagen wir, glatt hundert Euro, dann mache ich heute zwei Menschen eine Freude.«
Glander schaute ihn ein wenig säuerlich an. »Jeden Tag eine gute Tat, was? Sehr löblich. Vielen Dank!«
»Aber gerne.«
Als sich die Tür hinter Glander schloss, fragte sich der Besitzer, ob dieser Vogel bei der Kundin wirklich eine Chance hatte.
Zum selben Zeitpunkt traf Lea mit Talisker auf Höhe des Eupener Wegs auf eine wildgestikulierende Gruppe von Nachbarn. Als sie sich der Gruppe näherte, winkte sie Herr Michalke schon zu sich heran. »Frau Storm, schön, dat Sie jrad vorbeikomm’! Et hat schon wieda een awischt.«
Lea traute ihren Ohren nicht. Noch ein Mord? Das konnte doch nicht sein! »Wen hat es erwischt, Herr Michalke?«, fragte sie vorsichtig.
»Na, den Kalli von die Renners.«
Frau Renner hatte rotgeweinte Augen, wie Lea jetzt bemerkte, und Herr Renner legte den Arm um sie. Kalli war der dauerkläffende Foxterrier der Renners, mit dem sie – zum Leidwesen aller Nachbarn mit einem etwas leichteren Schlaf – immer um Punkt halb sieben das erste Mal am Tag Gassi gingen. Freundliche Hinweise, dass man gerne auch mal ausschlafen würde, wenigstens an den Wochenenden, prallten an den Renners ab. Kalli war ihr Augenstern, im Winter bekam er eine Weste übergestreift, um sich nicht zu erkälten, und gefüttert wurde er mit einer Mischkost, die probiotischen, linksdrehenden Biojoghurt und Beerenmüsli enthielt und gleichermaßen teuer wie unsinnig war. Kalli hinterließ ungeniert Durchfallpfützen mitten auf dem Gehweg, was die Renners komplett ignorierten. Was sollte man da auch aufheben und in einen Beutel tun?
»Frau Renner, Herr Renner, das tut mir sehr leid. Was ist denn passiert?«
»Er wurde ermordet! Das war sicher der Hantschke. Oder die Krahmer. Die mit ihren Katzen, die hat unseren Kalli gehasst, nur weil er mal eins von ihren blasierten Biestern gepackt hat.«
Frau Renner schaute empört in die Runde, die ein bekräftigendes Gemurmel hören ließ. Neben den Renners standen Herr Michalke aus dem Dürener Weg 4, die Ehepaare Schulze und Rohde aus dem Dürener Weg 25 und 39, das Ehepaar Hartmann aus dem Stolberger Ring 39 sowie Carola Sabersky aus dem Dürener Weg 21. Die Saberskys wohnten neben Hantschke.
Fifi, die Pudeldame von Frau Michalke, mit der jetzt immer Herr Michalke unterwegs war, seit er vor einem halben Jahr in den Frühruhestand gegangen war, ließ sich gründlich von Bismut, dem Rüden undefinierbarer Herkunft der Hartmanns, beschnuppern. Die Hartmanns waren beide Chemiker, und ihr Hund Bismut hatte tatsächlich die leicht ins Rosa gehende weiße Färbung, die so typisch für dieses Element gleichen Namens war. Außerdem, so Herr Hartmann, zeichnete den Hund die gleiche schlechte Leitfähigkeit wie das Metall aus: Er zeigte sich generell eher desinteressiert an den Rufen seiner Besitzer, und waren sie ohne Leine unterwegs, konnte es oft Stunden dauern, bis er wiederauftauchte.
Horst, der Basset von den Saberskys, lag von allem unbeeindruckt im Schatten eines geparkten Autos. Carola Sabersky und ihr Mann Arne hatten vier Kinder, die alle extrem sportlich waren. Carola hetzte ständig hin und her, um sie zu diversen Trainingsorten zu fahren, nachdem sie sie von zwei verschiedenen Schulen eingesammelt hatte. Lea dachte wie immer, wenn sie Carola sah, an Berge von Wäsche, die dort täglich durch die Maschine laufen mussten. Alle Kinder spielten Hockey, dazu kam noch Tennis bei Nicole, der Mittleren, Fußball bei Marcel, dem Kleinen, und Baseball bei den Zwillingen Yannick und Noah, den Ältesten. Carola Sabersky hatte das Gemüt einer Holsteiner Stute und leider auch deren Statur, wie sie selbst sagte. Ohne diese beiden Eigenschaften würde sie vermutlich in der Klapse enden, betonte sie ebenfalls recht regelmäßig, bevor sie wieder mindestens fünf Einkaufstüten vom Auto ins Haus schleppte. Carola und Arne schliefen im ausgebauten Keller, damit die Kinder jeder ein Zimmer für sich im Obergeschoss hatten, die Zwillinge teilten sich das größte. Sie hatten eine zweite Garage angemietet, um ihre Sportgeräte und Kisten voller Kleidung, Bücher und Kinderspielzeug unterzubringen, die Carola seit Jahren sichten und ausrangieren wollte. Es konnte einem schwindlig werden, wenn man die sechs zusammen sah, aber die Sabersky-Kinder waren offen und freundlich und ausgesprochen hilfsbereit. Sie mähten Rasen bei einigen Nachbarn, wuschen deren Autos oder erledigten kleinere Besorgungen. Gut in der Schule waren die vier ebenfalls.
Frau Renner nahm Fahrt auf. »Wir sind gestern Abend mit ihm wie üblich um zehn Uhr die letzte Runde Gassi gegangen. Da laufen wir immer in Richtung Supermarkt und dann durch die Eschweiler zurück. Als wir wieder in unsere Straße eingebogen sind, sahen wir den Hantschke am Straßenrand, er sah aus, als wartete er auf jemanden, und hat uns auch nicht gegrüßt. Da war mit Kalli noch alles in Ordnung, aber als wir dann zu Hause waren, fing er an zu würgen und sich zu erbrechen, und er hatte Schaum vorm Mund, und Blut kam ihm aus den Augen. Es war ganz furchtbar mitanzusehen …« Wieder brach sie in Tränen aus.
An einer Vergiftung einzugehen war ein grausamer Tod für einen Hund, das wusste Lea. Um solche Köder auszulegen, musste man diese Tiere wirklich hassen und ein komplett mitleidsloser Mensch sein. Das war jetzt der fünfte Hund innerhalb von drei Monaten, der an Giftködern verendet war. Dagegen musste man wirklich etwas tun. »Frau Renner, haben Sie Anzeige erstattet?« Die Renners schauten Lea erstaunt an. »Geht denn das, Frau Storm? So ein Hund interessiert doch bei der Polizei keinen.«
»Herr Renner, hier greift das Tierschutzgesetz.« Lea zitierte: »Paragraph 17: Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer erstens ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet oder zweitens einem Wirbeltier aus Rohheit erhebliche Schmerzen oder Leiden oder länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zufügt. Das heißt, auch wenn ein Hund den Anschlag überlebt, sollte man Anzeige erstatten, damit solche Hundehasser auch bestraft werden können. Die Polizei nimmt solche Fälle recht ernst, denn schließlich kann so ein Giftköder auch in die Hände von kleinen Kindern gelangen, oder es kommen Tiere um, die unter Artenschutz stehen.«
Carola Sabersky warf ein: »Da gab es doch so eine Serie im April, dreißig vergiftete Hunde in der Innenstadt, und einer ist gestorben. Stand in der Zeitung.«
Dass die Frau bei ihrem täglichen Programm noch zum Zeitunglesen kam, war in Leas Augen eine logistische Meisterleistung. »Ja, ich habe davon gehört, denke aber nicht, dass es sich hier bei uns um denselben Irren handelt. Ich kann Ihnen nur raten, Ihre Hunde bis auf weiteres an die Leine zu nehmen oder ihnen einen Maulkorb anzulegen. So können die Tiere nichts fressen, was irgendwo herumliegt. Bleiben Sie alle aufmerksam, und gehen Sie beim ersten Anzeichen von Übelkeit oder anderen Symptomen direkt zum Tierarzt! Rattengift wirkt erst nach drei Tagen, es ist also wirklich besser, die Hunde gar nicht erst etwas fressen zu lassen, was nicht von Ihnen kommt.«
Michalke nickte anerkennend. »Mönsch, Sie sind aber juht informiat!«
»Herr Michalke, schauen Sie sich meinen Hund an! Was meinen Sie, was ich mir schon alles anhören musste? Dass er an die Leine gehöre und es asozial sei, überhaupt so einen großen Hund zu haben, und andere, weniger nette Kommentare. Früher habe ich noch versucht, die Leute davon zu überzeugen, dass er aufs Wort pariert. Manche haben aber auch einfach Angst vor Hunden, und andere sind – oft zu Recht – von rücksichtslosen Hundebesitzern genervt. Da kann man dann argumentieren bis zum Umfallen.«
Die Runde nickte zustimmend. Von Horst waren leise Schnarchgeräusche zu vernehmen.
Lea fügte hinzu: »Vielleicht sagen Sie auch den anderen Hundebesitzern Bescheid, dass sie unbedingt aufpassen sollen.