Anguckallergie und Assoziationskettenrasseln. Inez Maus

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Anguckallergie und Assoziationskettenrasseln - Inez Maus

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verlangt wurde. Später kam uns der Gedanke, dass eine alte Fußballweisheit, welche unseren anderen beiden Jungen mehrfach im Sportunterricht mitgeteilt wurde, Benjamins Spielverhalten wahrscheinlich beeinflusste. „Wenn man selbst den Ball hat, kann der Gegner kein Tor schießen“, bedeutete in seiner Logik, den Ball unbedingt behalten zu müssen.

      Genau eine Woche stand Benjamin und seinen Mitschülern zur Verfügung, um ein nettes, kleines Herbstgedicht auswendig zu lernen, für unseren Sohn war dies sein erstes Gedicht. Die anderen Kinder hatten schon früher im Kindergarten oder in der Vorschule kurze Reime auswendig gelernt, aber Benjamin war dazu aufgrund seiner arg verzögerten Sprachentwicklung nicht in der Lage gewesen. Mit viel Geduld, Fleiß und Zeitaufwand trichterten wir unserem Sohn die folgenden Zeilen ein:

       (Hermann Siegmann)1

       Herbsträtsel

       Ein Igel saß auf einem Blatt,

       das wie die Hand fünf Finger hat,

       auf einem Baum.

       Du glaubst es kaum!

       Der grüne Igel, stachelspitz,

       fiel auf den Kopf dem kleinen Fritz,

       von seiner Mütze

       in die Pfütze.

       Da war es mit dem Igel aus.

       Er platzte, und was sprang heraus

       mit einem Hops?

       Ein brauner Mops!

      Die erste Hürde, die es dabei zu nehmen gab, bestand darin, Benjamin zu erklären, dass dieses Gedicht nicht von einem Igel handelte. Er konnte einfach nicht verstehen, warum der Igel auf einem Baum saß und warum er grün und nicht graubraun sein sollte. Nachdem unser Sohn mithilfe von Leons Erklärungskünsten und einer Reihe Zeichnungen, die ich zur visuellen Unterstützung angefertigt hatte, akzeptierte, dass der grüne Igel eine poetische Umschreibung für eine stachelige Kastanie darstellte, folgte in der Mitte des Gedichtes die komplette Verwirrung. Warum wandelte sich denn nun die Kastanie, die als grüner Igel umschrieben wurde, plötzlich in einen braunen Mops und was war überhaupt ein brauner Mops? Und wer war der kleine Fritz und wo kam der eigentlich plötzlich her? Fragen über Fragen und am Ende unseres Erklärungsmarathons wussten wir nicht, wie viel Benjamin nun wirklich verinnerlicht hatte und zu wie viel Prozent er sich einfach in sein Schicksal fügte und dieses Wortwirrwarr zu behalten versuchte. Aufgrund seiner schwerwiegenden Artikulationsprobleme waren Worte wie „stachelspitz“, „Fritz“, „Mütze“ und „Pfütze“ für unseren Sohn nahezu unaussprechbar. Schließlich vermochte er aber dank seines Ehrgeizes das gesamte Gedicht einigermaßen verständlich zu rezitieren und wir waren wieder einmal stolz auf Benjamin. Pascal, der häufig um uns wuselte, wenn wir mit Benjamin irgendetwas übten, zeichnete nicht nur seinen eigenen, entzückenden Bilderzyklus zu den Versen, sondern lernte das gesamte Gedicht fehlerfrei einfach so nebenbei. Frau Ferros beurteilte Benjamins Leistung deutlich weniger euphorisch als wir, wertete seinen Vortrag mit einem „ganz gut“, bemängelte seine Undeutlichkeiten und trug ihm deshalb auf, das Gedicht abermals zu lernen. Für uns alle war dies ein herber Rückschlag, welcher sich noch zweimal wiederholte und im Mitteilungsheft wie folgt kommentiert wurde: „Benjamin hat Schwierigkeiten, das Z zu sprechen. Er verwechselt es mit sch oder ch. Bitte achten Sie auch zu Hause auf die korrekte Aussprache.“ Vielleicht waren wir inzwischen ein wenig dünnhäutig und überempfindlich geworden, aber bei all den Hinweisen oder auch Anweisungen, die uns Frau Ferros gab, beschlich uns das unangenehme Gefühl, dass sie uns für faule Eltern hielt und dass sie glaubte, unsere scheinbaren Versäumnisse oder unsere angebliche Inkonsequenz oder unser vermeintliches Desinteresse würden Benjamins Schwierigkeiten verursachen.

      Anderes Lehrpersonal schätzte unseren Sohn und seine Leistungen völlig anders ein. Eine Vertretungslehrerin, welche die Klasse während einer zweiwöchigen Krankheit von Frau Ferros unterrichtete, lobte Benjamin in den höchsten Tönen und verlor kein negatives Wort über unseren Sohn. Und auch Benjamins Sprachtherapeutin hob immer wieder hervor, dass sich unser kleiner Schüler in ihren Therapiestunden sehr viel Mühe gebe. Die Sprachtherapeutin nutzte sehr geschickt Benjamins Interessen aus, um ihm kleine Erfolge abzutrotzen. Sie ließ ihn zu Beginn jeder Stunde erzählen, was er wollte, völlig egal, ob er dabei nur von LEGO-Bausätzen oder von Computerspielen redete. Manchmal berichtete Benjamin aber auch von anderen Dingen wie beispielsweise unseren Ferienbildern. In den vergangenen Sommerferien hatte ich die Idee gehabt, unsere Kinder Bilder von wichtigen Ereignissen zeichnen zu lassen und am Ende der Ferien eine kleine Galerie zu gestalten, um die besten Kunstwerke zu prämieren. Das half vor allem Benjamin dabei, sich an seine Ferienerlebnisse zu erinnern, und es gab den weniger angefüllten Tagen eine Struktur. Diese Idee kam bei meinen Kindern so gut an, dass sich das Zeichnen von Ferienbildern zu einer langjährigen Tradition entwickelte und von meinen Söhnen immer weiter ausgebaut wurde, was die verwendeten Techniken und die Themenwahl betraf. Nachdem Benjamin seiner Sprachtherapeutin mit Begeisterung von seinen Zeichnungen berichtet hatte, bat sie ihn, die Bilder zur Therapie mitzubringen. Alle Blätter waren auf der Rückseite mit Datum, Ort und eventuellen Anmerkungen zum besseren Verständnis des Dargestellten versehen und boten somit eine ideale Kommunikationsgrundlage. Da die Sprachtherapeutin direkt an Benjamins Interessen anknüpfte und ihn damit fast unmerklich auf Dinge lenkte, die sie mit ihm üben wollte oder musste, hatte sie bedeutend mehr Erfolg in der Förderung unseres Sohnes als Frau Ferros. So arbeitete sie in wochenlanger Kleinarbeit einen kurzen Vortrag über unseren spannenden Besuch im Filmpark Babelsberg aus, welchen Benjamin dann vor seiner Klasse hielt.

      Die Sprachtherapeutin schien unsere Sorgen und Benjamins Probleme bedeutend besser zu verstehen als Frau Ferros und so fragte ich sie in einem Elterngespräch nach einer alternativen Fibel und anderem Übungsmaterial für den Deutschunterricht. Ich hatte beobachtet, dass Benjamin eine tiefe Abneigung gegen seine Fibel hegte und sich nur Seiten gern anschaute, auf denen keine Menschen, sondern lediglich Pflanzen, Tiere, Häuser, Landschaften … abgebildet waren. Unserer Meinung nach benötigte Benjamin Lernmaterial, was ihn mehr ansprach, denn Geschichten wie „Wo ist Moni?“, „Moni und Nina sind am Ofen.“ sagten ihm gar nichts und er konnte damit nichts anfangen. Die Sprachtherapeutin bestätigte meine Beobachtung aus ihrer eigenen Erfahrung mit unserem Sohn, konnte uns aber nicht helfen und gab mein Anliegen an Frau Ferros weiter. Frau Ferros’ Reaktion darauf bestand in einem Sturm der Entrüstung, den sie über mir toben ließ: Benjamin sei nur zu faul zum Üben und zu träge zum Lesen. Und Frau Ferros war verärgert, weil ich

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