Anguckallergie und Assoziationskettenrasseln. Inez Maus

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Anguckallergie und Assoziationskettenrasseln - Inez Maus

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des ersten Bettes jahrelang immer wieder die Latten des Lattenrostes zu erneuern und den Rahmen zu stabilisieren.

      Mit neun Jahren brachten wir Conrad auf dessen inständigen Wunsch hin die Regeln des Brettspiels „Die Siedler von Catan“ bei, sodass wir dieses spannende Spiel fortan häufiger am frühen Abend spielten. Mit sieben Jahren verlangte Benjamin, ebenfalls in die Regeln dieses Spiels, welches eine Altersempfehlung ab zehn Jahren trug, eingeweiht zu werden. Ich war sehr skeptisch und fürchtete mich vor allem vor Benjamins Frustrationsreaktionen, falls er den Sinn des Spiels nicht begreifen würde. Leon zweifelte keinen Moment an den Fähigkeiten unseres Sohnes und so machten wir uns sogleich ans Werk. Ich las das komplizierte Regelwerk vor und Leon demonstrierte an einzelnen Spielzügen, was die verschiedenen Regeln bedeuteten. Aber Benjamin war äußerst ungeduldig und wollte endlich „richtig“ spielen. Im richtigen Spiel zeigte sich dann, dass unser Sohn nicht nur die Regeln perfekt beherrschte, sondern dass er auch taktisch klug spielte und vor allem durch sein ausgesprochen gutes Gedächtnis immer genau wusste, welche Rohstoffkarten sich bei welchem Spieler befanden. Er wurde schnell zu einem ernst zu nehmenden Gegner.

      Benjamins gesamte Entwicklung verlief irgendwie disharmonisch. Auf der einen Seite ließ er sich von Conrad dazu anregen, ihm bei einem komplizierten Wikinger-Bastelbogen zu helfen. So erstellten die beiden innerhalb einer Woche ein gesamtes Wikingerdorf mit rustikalen Gebäuden, stabilen Booten, filigranen Figuren und nützlichen Tieren. Damit erreichte Benjamin eine motorische und soziale Meisterleistung. Dann wiederum brachte es unser Sohn fertig, mit unendlicher Geduld an vier aufeinanderfolgenden freien Tagen kleine Monster aus LEGO-Bausteinen zusammenzusetzen. Diese acht Tütchen mit LEGO-Bausteinen hatte Benjamin bei McDonald’s erbeutet und nun war er damit beschäftigt, jedes Monster in allen vier möglichen Variationen wieder und wieder aufzubauen. Außerdem bot das Anleitungsheft Kombinationen aus je zwei, vier und allen acht Monstern an, welche ebenfalls von unserem Sohn auf Reproduzierbarkeit überprüft wurden. Andere Bauvarianten, als die im Anleitungsheft aufgezeigten, probierte er nicht aus. Damals fand ich seine Ausdauer bewundernswert und sah nicht den stereotypen und repetitiven Charakter seiner Handlungen. Stellte das etwa eine Art Auszeit für ihn dar, um für die nächste Meisterleistung genug Kraft zu sammeln?

      Kurz vor Ende seines ersten Schuljahres musste sich Benjamin der jährlichen Routineuntersuchung durch die Schulärztin unterziehen, wobei diese Untersuchungen nur an Sonderschulen, jedoch nicht an Grundschulen durchgeführt wurden. Die Schulärztin stellte bei dieser Untersuchung Folgendes fest: „Bekannte Einschränkungen und Sprachentwicklungsverzögerung“. Aber was verstand sie unter „Bekannte Einschränkungen“? War sie immer noch der Meinung, dass Benjamin eine geistige Behinderung hatte oder war sie nur nicht bereit, ihren Irrtum zuzugeben? Zusätzlich zu dieser Routineuntersuchung wurden von der Klassenlehrerin halbjährlich Berichte über die Entwicklung der Kinder verfasst, so gab es zu den Winterferien den „Entwicklungsbericht unter rehabilitativer Sicht“ und zum Schuljahresende den „Entwicklungsbericht zur Lernentwicklung“. Die Therapeutinnen verfassten außerdem noch einen „Anhang zum Entwicklungsbericht“. In ihrem allerersten Bericht behauptete Frau Ferros, dass Benjamin „ein motorisch sehr unruhiger Junge mit einer gesteigerten Geschäftigkeit“ sei und „autistische Züge“ habe, was interessant war, weil Benjamin bis dahin keine derartige Diagnose bekommen hatte und weil Frau Ferros ein halbes Jahr später unbeirrt die Meinung vertrat, dass alle aufgetretenen Probleme ihre Ursache in unserer nicht konsequenten Erziehung und in Benjamins mangelnder Mühe um gutes Benehmen, nicht aber in möglichen autistischen Zügen, hätten. Laut dem Bericht der Klassenlehrerin löse Benjamin Mathematikaufgaben schon, bevor die Aufgabe erklärt werde, und verfüge über außergewöhnliches naturwissenschaftliches Wissen, wobei er auch die Lehrerin korrigiere. So habe er in einer Sachkundestunde dazwischengerufen, dass Spitzmäuse keine Mäuse sind, sondern Insektenfresser. Sie beklagte, dass er in der Schule keine Wörter mit Silbenkärtchen lege und große Schwierigkeiten beim Erlesen neuer Wörter habe. Zu Hause dagegen konnte ich beobachten, dass Benjamin Worte aus DUPLO-Bausteinen unaufgefordert auf seinem Teppich zusammensetzte. Im Laufe des Schuljahres hatte Benjamin erfreulicherweise begriffen, dass er nicht nur Aufgaben, die an ihn persönlich gerichtet wurden, zu erledigen habe, sondern dass er auch Anforderungen erfüllen muss, die an die Klasse gerichtet werden. Frau Ferros’ Patentrezept zur Sprachentwicklung sah folgendermaßen aus: „Es muss das Anfangsziel aller auf Benjamins Sprache einwirkender Erwachsenen sein, die lautreine Aussprache der für ihn wichtigen und besonders oft benutzten Wörter wie Therapie, Computer, Lego, Namen der Familienmitglieder, der Mitschüler, der Wochentage, Arbeitsmaterialien, lesen, schreiben, rechnen, ausruhen … zu fordern, zu kontrollieren und durchzusetzen. Wir dürfen nicht zufrieden sein mit dem, was er sprachlich anbietet […].“ Mit dieser Aussage hatten wir so einige Probleme, denn lautreine Aussprache zum jetzigen Zeitpunkt zu verlangen, könnte Benjamin wegen drohender Überforderung sehr schnell wieder zum Verstummen bringen. Unserer Meinung nach musste er erst einmal anhaltende Freude an der Kommunikation entwickeln und einen Zustand erreichen, wo er das ständige Bedürfnis nach Mitteilung verspürt. Erst danach sollten phonematische Übungen beginnen. In der Liste der „oft benutzten Wörter“ befanden sich nur zwei Wörter, die unser Sohn mit angenehmen Empfindungen verband, Computer und LEGO, wobei er das Wort LEGO zumindest zu Hause immer korrekt aussprach. Wo sollte also der Anreiz für Benjamin liegen, wenn er ungeliebte oder zurzeit für ihn noch bedeutungslose Wörter üben sollte? Das konnte nur in Frustration enden, aber wir als Nicht-Pädagogen standen mit unserer Meinung auf verlorenem Posten.

      Das nahende Ende jedes Schulhalbjahres bedeutete für uns auch, dass wir die Schulwegbeförderung für Benjamin aufs Neue beantragen mussten. Nach dem ersten Schuljahr bekamen wir jahrelang einen abschlägigen Bescheid, obwohl unser Sohn vom Versorgungsamt als hilfsbedürftig eingeschätzt wurde und die Notwendigkeit einer ständigen Begleitung nachgewiesen war. Nur mit Widersprüchen und ärztlichen Gutachten gelang es uns dann doch immer wieder, eine Beförderung durchzusetzen. Erst kurz bevor Benjamin die Schule verließ, fand ich heraus, warum dies so war. Da auch die Schule eine Stellungnahme zur Schulwegbeförderung abgeben musste, schrieb Frau Ferros jedes Mal, Benjamin könne den Schulweg allein zu Fuß zurücklegen oder mit dem Rad fahren. Das war kompletter Unsinn, denn unser Sohn beherrschte zwar die Regeln zum Überqueren einer Straße in der Theorie, in der Praxis hatte er jedoch keinen Plan zum Überqueren einer Straße und war auch nicht in der Lage, Fahrrädern auszuweichen. An einer Straße stehend konnte Benjamin nicht entscheiden, welche Informationen wichtig und welche unwichtig waren, und er vermochte keineswegs die Geschwindigkeit herannahender Fahrzeuge einzuschätzen, sodass er die Straße überhaupt nicht überquerte oder einfach drauflos lief. Radfahren zu erlernen, war zu dieser Zeit noch völlig undenkbar. Ich hatte gerade damit begonnen, ihm das Rollerfahren beizubringen.

      Das am vorletzten Schultag stattfindende Schulsportfest beendete Benjamins erstes Schuljahr. Eltern waren herzlich eingeladen und so begab ich mich voller freudiger Erwartung zusammen mit Pascal in die Schule. Kurz nach der Eröffnung des ersten Wettbewerbs, dem Korbzielwerfen, setzte strömender Regen ein, sodass alle Stationen panikartig ins Innere des Schulgebäudes verlegt werden mussten. Trotz dieser plötzlichen Änderung behielt Benjamin seine starke Motivation und gab sich unglaubliche Mühe, was dazu führte, dass er in der Hälfte der Übungen als Klassenbester abschnitt und viele Punkte für die Mannschaftswertung ergattern konnte. Diese traumhaften Leistungen verdankten wir in erster Linie der Sensorischen Integrationstherapie, denn da es sich um eine Schule für Körperbehinderte handelte, hatten die meisten Wettbewerbe einen physiotherapeutischen Hintergrund. Disziplinen, in denen Benjamin besonders erfolgreich abschnitt, wie Streichholzschachtel-Weitpusten (97 cm!), Slalomlauf mit Ball oder Rollbrettfahren, stellten wichtige Bestandteile seiner Therapie dar. Im Zusammensetzen eines Riesenpuzzles auf Zeit war er sogar auf Schulebene unschlagbar. Dinge aus einer Fühlkiste zu identifizieren und Kegeln, beides feste Bestandteile unseres häuslichen Trainingsprogramms, erfüllte er mit großem Eifer und es war eine ungetrübte Freude, ihm dabei zuzusehen. Pascal durfte alle Übungen außerhalb der Wertung durchführen und so war dieser Tag auch für meinen Jüngsten sehr aufregend. Benjamins Erfolge stärkten sein Selbstbewusstsein von Station zu Station ein bisschen mehr. Aber als die Endwertung bekannt gegeben wurde und seine Klasse nur den dritten Platz unter den Grundschulklassen belegte, was aber für eine erste Klasse

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