Anguckallergie und Assoziationskettenrasseln. Inez Maus
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Bereits in den Osterferien hatte Benjamin den Wunsch geäußert, verreisen zu wollen, was für uns völlig überraschend kam. Bis jetzt war jeder Versuch einer Fremdübernachtung mit unserem Sohn kläglich gescheitert, sodass hinterher niemand erholt war und nicht nur Benjamin unter den Nachwirkungen der traumatischen Erlebnisse litt. Wir beschlossen daraufhin, auf gemeinsame Urlaube mit Benjamin zu verzichten, bis er dazu bereit sein würde. Meistens verreiste ich mit unseren anderen beiden Kindern oder auch mit nur einem Kind, wobei Benjamin bei jeder Abreise froh zu sein schien, weil er nicht mitkommen musste. Nun wusste unser Sohn aber nicht nur ganz sicher, dass er verreisen wollte, sondern auch wohin: „LEGOLAND“, was uns wiederum nicht so sehr überraschte. Benjamins erste Reise wurde von uns penibel vorbereitet. Da ich mit Conrad bereits zwei Jahre zuvor das LEGOLAND in Dänemark besucht hatte, verfügte ich über reichliches Anschauungsmaterial. Ich las Benjamin meine Tagebuchaufzeichnungen vor, wir ließen Conrad seine Geschichten zu unseren Fotos erzählen und wir gaben Benjamin die alten Prospekte zum Studieren, was er immer wieder tat. Wir übten Abläufe und Verhaltensregeln im Hotel ein und Benjamin war eifrig bei der Sache und versicherte uns immer wieder, dass wir uns keine Sorgen machen mussten: „Keine Angs, ie schaff das.“ Er schien wirklich reif zu sein für seine erste Reise.
LEGO-Figuren in der Größe von Grundschulkindern taten ihren Dienst auf allen Fluren des Hotels und berühmte Gemälde aus LEGO-Bausteinen wie beispielsweise Da Vincis „Mona Lisa“ zierten die in warmen Farbtönen gehaltenen Wände. Benjamin erkundete das gesamte Hotel jeden Morgen sowie jeden Abend und begrüßte alle Figuren oder wünschte ihnen eine gute Nacht. Ich musste ihn mit jedem Plastik-Hotelangestellten fotografieren, erst dann war er zufrieden. Am ersten Abend im Hotelrestaurant riss sich mein Sohn schmerzhaft von meiner Hand los, noch bevor wir einen abgelegenen Tisch ausmachen konnten. Sofort befürchtete ich, er könnte jetzt die Flucht ergreifen oder eine aufsehenerregende Plünderung des Abendbrot-Büfetts durchführen, aber Benjamin stürzte zu einem niedrigen Fensterbrett, welches mit bunten Stofffähnchen auf Holzsockeln geschmückt war. Unbeirrt und zielsicher ergriff er ein Deutschlandfähnchen, rannte mit seiner Beute laut polternd quer durch den gesamten Gastraum und stellte es mit einem harten Aufprall auf einem unbesetzten Tisch am Fenster ab, um sich dann selber auf einen dunkelgrün bezogenen Stuhl erschöpft fallen zu lassen. Glücklicherweise überlebte das zierliche Fähnchen die Attacke, denn schon beim stürmischen Losrennen hatte Benjamin die skeptische Aufmerksamkeit der anderen Gäste auf sich gezogen. Sprachlos stand ich noch immer am Eingang und die inzwischen eingetroffene Bedienung führte uns langsam zu unserem Tisch, zu Benjamins Tisch. Jetzt konnte ich im üppigen Garten vor dem riesigen Fenster ein hübsches Wasserspiel erblicken, welches die komplette Aufmerksamkeit unseres Sohnes beanspruchte. Ich hätte keinen besseren Platz für ihn auswählen können. Benjamin hatte im Bruchteil einer Sekunde den ganzen Raum überblickt und auch den Sinn der Fähnchen sofort durchschaut, die ich im ersten Moment nur für eine interessante Dekoration hielt, weil sie extrem ordentlich auf dem Fensterbrett aufgereiht waren. Aber sie dienten dazu, dem Personal anzuzeigen, welche Sprache die Gäste beherrschen. Auf dem üppigen Büfett fanden wir knusprige Fischstäbchen und zur übergroßen Freude der Kinder Pommes frites in der Form von LEGO-Bausteinen. Damit war zumindest das Abendbrot für Benjamin gesichert, denn bei seinen Allergien und Überempfindlichkeiten gab es nicht viele Gerichte, die in Gaststätten für ihn genießbar waren.
Eine verglaste Röhre verband das Hotel mit dem LEGOLAND-Park und da der Parkeintritt für die Dauer des Aufenthaltes im Hotelpreis inbegriffen war, vermochten wir nach Belieben zwischen Hotel, Park und Umgebung zu wechseln, was uns den Aufenthalt erheblich erleichterte. Da Conrad vor ein paar Jahren schon einmal mit mir den Park erkundet hatte, konnten wir Benjamin die Auswahl der Aktivitäten überlassen. Wie nicht anders zu erwarten war, ließ er kein Fahrgeschäft aus und musste alles in unzähliger Wiederholung ausprobieren, wofür er vier Aufenthaltstage Zeit hatte. Mittags ernährte er sich ausschließlich von frisch gebackenen Waffeln. Beim spannenden Goldwaschen, wo experimentierfreudige Kinder in der Westernstadt in einer nachgebauten Goldwaschanlage kleine Pyrit-Stückchen, also sogenanntes Katzengold, mittels flacher Schalen aus einem hölzernen Flussbett waschen müssen, zeigte sich deutlich Benjamins visuelle Überlegenheit. Wir konnten gar nicht so schnell gucken, wie er die winzigen Goldstückchen aus dem feuchten Sand pickte. Das erregte sofort die Aufmerksamkeit und wohl auch den Neid der anderen Kinder, welche sich daraufhin dicht um unseren Sohn drängten, weil sie wahrscheinlich hofften, hinter sein Geheimnis zu kommen oder aber in seiner Nähe mehr Schätze zu finden. Benjamin war so fieberhaft mit seiner Tätigkeit beschäftigt, dass er scheinbar nichts davon mitbekam. In kürzester Zeit hatte er genug Goldstücke erbeutet, um dann die begehrte LEGOLAND-Münze daraus pressen zu können.
Ein ähnliches Erlebnis hatte ich ein halbes Jahr später, als ich mit Benjamin zum ersten Mal die „Grüne Woche“ in Berlin besuchte, welche die international wichtigste Messe für Ernährungswirtschaft, Landwirtschaft und Gartenbau ist und traditionell in den Messehallen am Funkturm stattfindet. An einem Messestand einer Ostseeregion befand sich ein verwittertes Holzboot, welches mit gelblichem Sand gefüllt war. Während die Eltern über attraktive Urlaubsangebote informiert werden sollten, durften ihre Kinder in diesem Boot nach winzig kleinen Bernsteinstückchen suchen. Das war so mühsam, dass die anderen kleinen Besucher froh waren, wenn sie ein oder zwei Stückchen gefunden hatten, und zufrieden weiterzogen. Benjamin dagegen fischte absolut zielsicher ein Stück nach dem anderen heraus und war sofort wieder die unfreiwillige Attraktion an diesem Stand, weil keiner der Umstehenden wusste, wie das denn funktionierte. Als sich seine kleine Hand sichtbar mit den honiggelben Schätzen füllte, kam eine üppige Frau im Trachtenkostüm vom Stand ziemlich wütend zu uns herüber und beschimpfte Benjamin, dass dies so nicht gedacht sei und dass er gefälligst auch noch etwas für die anderen Kinder übrig lassen solle. An mich gewendet, meckerte sie, ich solle meinem „Buben mal Anstand“ beibringen. Eine ältere, rothaarige Frau, die neben mir stand und Benjamin äußerst amüsiert und wohlwollend zugeschaut hatte, entgegnete: „Dann hängen Sie doch ein Schild auf: Nur einen Stein nehmen!“ Das ließ das Gemecker verstummen und ich war dieser Frau dankbar, denn es kam nicht oft vor, dass fremde Personen meinen Sohn spontan in Schutz nahmen. Trotzdem war es unendlich schwer, Benjamin aus dieser faszinierenden Tätigkeit zu reißen, denn im Gegensatz zum LEGOLAND, wo er zum Abschluss eine Münze prägen konnte, hatte diese Beschäftigung keinen Endpunkt, der ihm einen Ausstieg erlaubt hätte. Andere Kinder verließen diese Beschäftigung schnell wieder, weil sie so beschwerlich war oder weil der nächste Stand auch interessante Dinge zu bieten hatte. Aber für Benjamin war hier alles perfekt: Er konnte weichen Sand durch seine kleinen Finger rieseln lassen und wurde dafür noch mit kleinen Schätzen belohnt, die er wohlig in seiner rechten Hand zusammenpresste.
Für die Teilnahme an der LEGO-Fahrschule im LEGOLAND war Benjamin noch zu jung, was beinahe zu einer Krise geführt hätte, denn kleinere Kinder, die aber älter als Benjamin waren, durften daran teilnehmen und das verstand unser Sohn nicht. Ich zog Benjamin erst einmal weg und ließ ihn in einer kleinen Grünanlage zur Ruhe kommen. Conrad, der bei unserem ersten Besuch noch zu jung gewesen war, aber jetzt das erforderliche Alter erreicht hatte, wollte unbedingt die LEGOLAND-Fahrprüfung absolvieren, aber wie sollte das funktionieren? Ich versprach Benjamin eine LEGO-Schachtel und schlug ihm vor, Conrad mit seiner neuen Kamera in der Fahrschule zu fotografieren. Viel versprach ich mir nicht von diesem Angebot, aber ich bemerkte, wie mein Sohn ruhiger wurde und vielleicht über meinen Vorschlag nachdachte. Trotzdem blieb er einfach auf dieser Bank in der Sonne sitzen, während Conrad langsam ungeduldig wurde. Mein letzter Versuch bestand in dem Versprechen, hierher zurückzukommen, wenn Benjamin für die Fahrschule alt genug ist, und ich wusste genau, dass mein Sohn dies nicht vergessen würde. Ohne eine Antwort zu geben, marschierte Benjamin zur Fahrschule zurück, packte seine Kamera aus und stellte sich aufnahmebereit an den Besucherzaun. Natürlich haben wir dieses Versprechen eingelöst, allerdings nicht hier in Dänemark, sondern in dem damals neu eröffneten LEGOLAND Deutschland, weil dies Benjamins Wunsch war.
Der absolute Höhepunkt unserer Reise ereignete sich am letzten Abend. Am Morgen hatten die Kinder am täglichen Bauwettbewerb