Die Welt unter Strom. Arthur Firstenberg

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Die Welt unter Strom - Arthur Firstenberg

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weniger verletzend ist als die Letztere. Es gibt Patienten, bei denen jegliche elektrotherapeutischen Fähigkeiten und Erfahrungen erfolglos sind. Ihre Temperamente sind unvereinbar mit Elektrizität, sie stehen einfach nicht im Einklang mit ihr. Es spielt keine Rolle, welche spezielle Krankheit oder Symptome einer Krankheit sie haben – Lähmungen oder Neuralgien oder Neurasthenien oder Hysterie oder Erkrankungen bestimmter Organe – die unmittelbaren und dauerhaften Auswirkungen einer Galvanisierung oder Faradisierung, ob allgemein oder lokalisiert, sind schlimm – und zwar uneingeschränkt schlimm.“ Die Symptome, auf die man achten sollte, waren die gleichen wie im vorigen Jahrhundert: Kopf- und Rückenschmerzen; Reizbarkeit und Schlaflosigkeit; allgemeines Unwohlsein; Erregung oder Verschlimmerung von Schmerzen; gefährliche Erhöhung des Pulses; Frösteln wie zu Beginn einer Erkältung; Schmerzen, Steifheit und dumpfer Schmerz; starke Schweißausbrüche; Taubheit; Muskelkrämpfe; Licht- oder Geräuschempfindlichkeit; metallischer Geschmack und Ohrengeräusche.

      Die Elektroanfälligkeit komme verstärkt in Familien vor, sagten Beard und Rockwell, und sie machten die gleichen Beobachtungen hinsichtlich Geschlecht und Alter, die die ersten Elektropraktiker gemacht hatten: Frauen waren im Durchschnitt etwas empfänglicher für Elektrizität als Männer und aktive Erwachsene zwischen zwanzig und fünfzig Jahren kamen mit der Elektrizität schlechter zurecht als andere Altersgruppen.

      Wie bereits Humboldt waren auch sie über die Menschen erstaunt, die gegenüber elektrischer Energie unempfindlich waren. „Es sollte hinzugefügt werden“, sagten sie, „dass manche Menschen von Elektrizität unberührt bleiben – sie können sehr häufig und für lange Anwendungen fast jede Stromstärke aushalten, ohne dass dadurch weder eine gute noch eine schlimme Reaktion ausgelöst wird. Sie können der Elektrizität in unbegrenztem Maße ausgesetzt werden. Sie können förmlich damit durchtränkt werden, ohne dass es ihnen nach den Anwendungen in irgendeiner Weise besser oder schlechter geht. Sie waren frustriert darüber, dass es keine Möglichkeit gab, vorherzusagen, ob eine Person mit Elektrizität im Einklang stand oder nicht. „Einige Frauen“, stellten sie fest, „selbst diejenigen, die außerordentlich feingliedrig sind, können enorme Mengen an Elektrizität ertragen, während einige Männer, die sehr robust sind, überhaupt keine ertragen können.“25

      Offensichtlich ist Elektrizität kein gewöhnlicher Stressfaktor, obgleich viele moderne Ärzte – sofern sie überhaupt anerkennen, dass die Elektrizität unsere Gesundheit beeinträchtigt – dies glauben. Wir würden einen Fehler machen, wenn wir von der Anfälligkeit für Elektrizität auf den Gesundheitszustand einer Person schließen würden.

      Beard und Rockwell gaben noch keine Schätzungen über die Anzahl der Menschen ab, die nicht im Einklang mit Elektrizität stehen. Im Jahr 1892 berichtete der Ohrenarzt Auguste Morel jedoch, dass bei zwölf Prozent der gesunden Probanden die Wahrnehmungsschwelle zumindest für den hörbaren Effekt von Elektrizität sehr niedrig wäre. Mit anderen Worten: Zwölf Prozent der Bevölkerung waren und sind vermutlich immer noch in der Lage, ungewöhnlich niedrige elektrische Ströme zu hören.

      Im Gegensatz zur elektrischen Empfindlichkeit an sich, hat die Erforschung der menschlichen Sensitivität gegenüber dem Wetter eine lange und ehrwürdige Tradition. Sie reicht 5.000 Jahre zurück und begann in Mesopotamien sowie vor möglicherweise genauso langer Zeit in China und Ägypten. In seiner Abhandlung Über Luft, Wasser und Orte, die um 400 v. Chr. geschrieben wurde, sagte Hippokrates, dass das menschliche Befinden weitgehend vom Klima des Ortes, an dem man lebt, und seinen Nuancen bestimmt wird. Dieser Fachbereich – obgleich ignoriert und unterfinanziert – hat sich fest etabliert. Allerdings verbirgt der Name dieser Wissenschaft, „Biometeorologie“, ein offenes Geheimnis: Etwa 30 Prozent jeder Bevölkerung, unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft, sind wetterempfindlich. In einigen Lehrbüchern dieses Faches werden sie deshalb als elektrisch empfindlich eingestuft.26

      Die Internationale Gesellschaft für Biometeorologie wurde im Jahr 1956 vom niederländischen Geophysiker Solco Tromp mit Sitz in Leiden gegründet. Wie passend! Die Stadt also, die vor über zwei Jahrhunderten das elektrische Zeitalter einleitete. Und für die nächsten 40 Jahre – bis die Mobilfunkunternehmen Druck auf Forscher ausübten, einer gesamten, längst etablierten wissenschaftlichen Disziplin den Rücken zuzukehren27 – waren Bioelektrizität und Biomagnetismus Gegenstand intensiver Forschung. Beide Disziplinen standen im Mittelpunkt von einer der zehn ständigen Forschungsgruppen der Gesellschaft. Im Jahr 1972 fand in den Niederlanden ein internationales Symposium über die „biologischen Auswirkungen natürlicher elektrischer, magnetischer und elektromagnetischer Felder“ statt. Im Jahr 1985 widmete sich die Herbstausgabe des International Journal of Biometeorology ausschließlich den Auswirkungen von Luftionen und atmosphärischer Elektrizität.

      „Wir tun den elektrosensitiven Patienten eine große Ungerechtigkeit an“, schrieb Felix Gad Sulman, „wenn wir sie als psychiatrische Patienten behandeln.“ Sulman war Arzt am Hadassah University Medical Center in Jerusalem und Vorsitzender der Abteilung für Bioklimatologie der Medizinischen Fakultät. Im Jahr 1980 veröffentlichte er eine 400-seitige Monografie über die Auswirkungen von Luftionisation, elektrischen Feldern, atmosphärischen Störungen und anderen elektrischen Phänomenen auf Mensch und Tier (The Effects of Air Ionization, Electric Fields, Atmospherics and Other Electric Phenomena on Man and Animal). Sulman hatte zusammen mit 15 Kollegen aus anderen medizinischen und technischen Bereichen über einen Zeitraum von 15 Jahren 935 wetterempfindliche Patienten untersucht. Eine ihrer faszinierendsten Erkenntnisse war, dass 80 Prozent dieser Patienten Wetteränderungen zwölf bis 48 Stunden vor ihrem Eintritt vorhersagen konnten. „Die ‚prophetischen, Patienten waren alle empfindlich gegenüber den elektrischen Veränderungen, die dem Eintreffen eines Wetterwechsels vorangehen“, schrieb Sulman. „Sie reagierten durch Serotoninfreisetzung auf Ione und atmosphärische Störungen, die von Natur aus mit der Geschwindigkeit von Elektrizität ankommen, und zwar vor dem schleppenden Tempo von Wetterwinden.“28

      Jetzt versteckte sich die Wetterempfindlichkeit nicht mehr hinter der jahrhundertealten Mauer, die aus nebulösem medizinischem Hörensagen gebaut worden war. Sie wurde nunmehr dem Licht strenger Laboranalysen ausgesetzt. Dies brachte das Gebiet der Biometeorologie jedoch auf einen Kollisionskurs mit dem aufkommenden technologischen Fortschritt. Wenn ein Drittel der Weltbevölkerung so empfindlich auf den sanften Ionenfluss und die subtilen elektromagnetischen Launen der Atmosphäre reagiert – was müssen uns dann erst die unaufhörlichen Ionenflüsse unserer Computerbildschirme und die turbulenten Emissionsstürme von unseren Handys, Funktürmen und Stromleitungen antun? Wir weigern uns, den Zusammenhang zu sehen. Der 19. Internationale Kongress für Biometeorologie fand im September 2008 in Tokio statt. Hier teilte Hans Richner, Professor für Physik an der Schweizer Eidgenössischen Technischen Hochschule, seinen Kollegen tatsächlich mit, dass – weil Mobiltelefone nicht gefährlich seien und ihre elektromagnetischen Felder so viel stärker wären als die aus der Atmosphäre – die jahrzehntelange Forschung falsch läge. Biometeorologen sollten die menschlichen Wechselwirkungen mit elektrischen Feldern nicht weiterverfolgen.29 Mit anderen Worten: Da wir alle Mobiltelefone verwenden, müssen wir davon ausgehen, dass sie sicher sind. Ergo konnten alle Wirkungen auf Menschen, Pflanzen und Tiere aus rein atmosphärischen Feldern, über die in Hunderten von Labors berichtet wurde, schlichtweg gar nicht passiert sein! Es ist kein Wunder, dass der langjährige biometeorologische Forscher Michael Persinger, Professor an der Laurentian University in Ontario, sagt, dass man sich offensichtlich von der wissenschaftlichen Methode abgewandt hat.30

      Aber im 18. Jahrhundert stellten Elektropraktiker diesen Zusammenhang durchaus her. Die Reaktionen ihrer Patienten auf die Reibungsmaschine werfen ein neues Licht auf ein uraltes Rätsel. Das Problem wurde von Mauduyt formuliert. „Menschen und Tiere“, erklärte er, „fühlen sich an stürmischen Tagen schwächer und träger. Diese Niedergeschlagenheit erreicht ihren Höhepunkt direkt vor dem Sturm und nimmt kurz nach seinem Ausbruch wieder ab, insbesondere, wenn dabei eine bestimmte Menge Regen gefallen ist; sie löst

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