Die Welt unter Strom. Arthur Firstenberg

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Die Welt unter Strom - Arthur Firstenberg

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Jetzt konnten auch mehrere Nachrichten gleichzeitig über denselben Draht geschickt werden – und das mit immer schnellerer Geschwindigkeit.

      Fast von Anfang an war die Elektrizität im Leben eines durchschnittlichen Stadtbewohners präsent. Der Telegraf war dabei von Anfang an mehr als nur eine nebensächliche Ergänzung zu den Eisenbahnen und Zeitungen. Bevor es Telefone gab, wurden Telegrafenmaschinen zuerst in Feuerwehr- und Polizeistationen, dann an Börsen und in den Büros von Kurierdiensten und bald auch in Hotels, Privatunternehmen und Privathaushalten installiert. Das erste kommunale Telegrafensystem in New York City wurde 1855 von Henry Bentley gebaut und verband 15 Büros in Manhattan und Brooklyn. Die 1867 gegründete Gold and Stock Telegraph Company lieferte telegrafisch und unverzüglich Hunderten von Abonnenten Preisnotierungen von den Aktien-, Gold- und anderen Börsen. Im Jahr 1869 wurde die American Printing Telegraph Company gegründet, um Unternehmen und Privatpersonen private Telegrafenleitungen zur Verfügung zu stellen. Die Manhattan Telegraph Company wurde zwei Jahre später in Konkurrenz dazu aufgebaut. Bis 1877 hatte die Gold and Stock Telegraph Company beide Unternehmen erworben und bediente fast 2.000 Kilometer Draht. Bis 1885 verbanden die Netze der fleißigen Spinnen fast 30.000 Häuser und Geschäfte miteinander. Diese Netze über New York waren noch komplexer als die in London, die Dickens beschrieben hatte.

      Im Verlauf dieser Transformation schrieb der Sohn eines schmächtigen, etwas schwerhörigen Geistlichen die ersten klinischen Aufzeichnungen einer bisher unbekannten Krankheit, die er in seiner neurologischen Praxis in New York City beobachtete. Obgleich Dr. George Miller Beard sein Studium an der medizinischen Fakultät erst vor drei Jahren beendet hatte, wurde seine Arbeit dennoch im Jahr 1869 von dem renommierten wissenschaftlichen Magazin Boston Medical and Surgical Journal – später umbenannt in New England Journal of Medicine – angenommen und veröffentlicht.

      Beard war ein selbstbewusster junger Mann, der eine Gelassenheit und einen versteckten, charismatischen Sinn für Humor besaß. Er war ein scharfer Beobachter, der schon zu Beginn seiner Karriere keine Angst hatte, medizinisches Neuland zu betreten. Obwohl er manchmal von erfahreneren Medizinern wegen seiner neuartigen Ideen verspottet wurde, sagte einer seiner Kollegen viele Jahre nach seinem Tod, dass Beard „nie ein unfreundliches Wort gegen irgendjemanden geäußert hat“.3 Neben dieser neuartigen Krankheit spezialisierte er sich auch auf die Elektro- und Hypnotherapie. Er hatte maßgeblich daran teil, dass der gute Ruf beider Disziplinen ein halbes Jahrhundert nach dem Tod von Mesmer wiederhergestellt wurde. Darüber hinaus trug Beard zur Erkenntnis der Ursachen und Behandlung von Heuschnupfen und der Seekrankheit bei. Und im Jahr 1875 untersuchte er gemeinsam mit Thomas Edison die von Edison entdeckte „Ätherkraft“, die sich durch die Luft übertrug und ohne einen Kabelstromkreis Funken in nahe gelegenen Objekten erzeugte. Beard hatte richtig vermutet – ein Jahrzehnt vor Hertz und zwei Jahrzehnte vor Marconi –, dass es sich hier um Hochfrequenzstrom handelte, der eines Tages die Telegrafie revolutionieren sollte.4

      Dr. George Miller Beard (1839–1883)

      Was die neuartige Krankheit betrifft, die er 1869 beschrieb, so erahnte Beard ihre Ursache nicht. Er nahm einfach an, es sei eine Krankheit der modernen Zivilisation, die durch Stress verursacht wurde und bisher selten aufgetreten war. Der Name, den er ihr gab, „Neurasthenie“, bedeutet lediglich „schwache Nerven“. Obwohl einige der Symptome anderen Krankheiten ähnelten, schien die Neurasthenie wahl- und grundlos zuzuschlagen. Es war auch nicht zu erwarten, dass jemand daran sterben würde. Auf keinen Fall verband Beard die Krankheit mit der Elektrizität; sie war sogar seine bevorzugte Behandlungsweise für Neurasthenie – sofern der Patient dies tolerieren konnte. Als er 1883 starb, war die Ursache für Neurasthenie zu jedermanns Enttäuschung immer noch nicht bekannt. Aber in weiten Teilen der Welt, in denen der Begriff „Neurasthenie“ bei Ärzten nach wie vor üblich ist – und das ist fast überall außerhalb der Vereinigten Staaten der Fall – wird die Elektrizität heute als eine der Ursachen dafür anerkannt. Und die Elektrifizierung der Welt war zweifellos dafür verantwortlich, dass die Krankheit in den 1860er-Jahren aus dem Nichts erschien und sich in den folgenden Jahrzehnten zu einer Pandemie entwickeln sollte.

      Heute ziehen sich Millionen-Volt-Stromleitungen durch die Landschaft, 12.000-Volt-Leitungen zerteilen die Wohngegenden und 30-Ampere-Leistungsschalter wachen über jedes Haus – da fällt es leicht zu vergessen, wie sehr diese Situation eigentlich wider die Natur ist. Keiner von uns kann sich vorstellen, wie es sich anfühlen würde, auf einer nicht verdrahteten Erde zu leben. Seit der Präsidentschaft von James Polk (Anm. d. Verlags: 1845–1849) haben unsere Zellen, die in dieser Hinsicht wie Marionetten an unsichtbaren Fäden hängen, keine Sekunde Pause von den elektrischen Vibrationen gehabt. Der allmähliche Spannungsanstieg in den letzten anderthalb Jahrhunderten war nur graduell. Die schlagartige Überwältigung der Nährböden der Erde in den ersten Jahrzehnten dieser ungezügelten technologischen Entwicklung, an der sich alle beteiligten, hatte auf die Natur und den Charakter des Lebens drastische Auswirkungen.

      Zu Beginn errichteten Telegrafenfirmen auf dem Land und in Städten ihre Leitungen mit nur einem Draht, wobei die Erde selbst den Stromkreis vervollständigte. Keiner der Rückströme floss entlang eines Drahtes, wie dies heute in elektrischen Systemen der Fall ist, sondern sie bewegten sich auf unberechenbaren Pfaden durch den Erdboden.

      Siebeneinhalb Meter hohe Holzmasten stützten die Drähte auf ihren Wegen zwischen den Ortschaften. In Städten, in denen mehrere Telegrafenfirmen um Kunden konkurrierten und Platz Mangelware war, verhedderte sich ein Gewirr aus oberirdischen Drähten zwischen Hausdächern, Kirchtürmen und Kaminen, die sie wie Kletterpflanzen umschlungen. Und von diesen Kletterpflanzen breiteten sich elektrische Felder aus, die die Straßen, Seitenwege und Räume der Häuser, die sie umwickelten, durchdrangen.

      Die historischen Zahlen geben einen Hinweis darauf, was da eigentlich passiert ist. Laut Electric Telegraph, George Prescotts Buch von 1860 über den elektrischen Telegrafen, lieferte eine typische Batterie, die in den Vereinigten Staaten für eine Drahtlänge von 160 Kilometern verwendet wurde, ein elektrisches Potenzial von ungefähr 80 Volt. Das entsprach „einer 12-Liter-Grove-Batterie“ bzw. einer 12-Liter-Nasszellenbatterie oder einem Stapel von 50 Paaren Zink- und Platinplatten.5 In den frühesten Systemen floss der Strom nur, wenn der Telegrafist die Sendetaste drückte. Es wurden fünf Buchstaben pro Wort angesetzt, und im Morse-Alphabet galten durchschnittlich drei Punkte oder Striche pro Buchstabe. Wenn der Telegrafist kompetent war, konnten im Durchschnitt 30 Wörter pro Minute gesendet und die Taste im Takt von 7,5 Anschlägen pro Sekunde gedrückt werden. Das entspricht fast der Grundresonanzfrequenz (7,8 Hz) der Biosphäre, auf die alle Lebewesen abgestimmt sind und deren durchschnittliche Stärke in den Lehrbüchern mit etwa einem Drittel eines Millivolt pro Meter angegeben wird. Wir werden das in Kapitel 9 näher beleuchten. Basierend auf dieser einfachen Annahme lässt sich leicht berechnen, dass die elektrischen Felder, die von den frühesten Telegrafendrähten ausgestrahlt wurden, bei dieser Frequenz bis zu 30-mal stärker waren als das natürliche elektrische Feld der Erde. In Wirklichkeit erzeugten die schnellen Unterbrechungen bei der Telegrafenverschlüsselung auch eine breite Palette von Hochfrequenzoberwellen, die sich ebenfalls entlang der Drähte bewegten und durch die Luft strahlten.

      Die Magnetfelder können ebenfalls geschätzt werden. Basierend auf den von Samuel Morse selbst angegebenen Werten für den elektrischen Widerstand von Drähten und Isolatoren6 variierte die Strommenge eines typischen Fernkabels je nach Länge der Leitung und den Wetterverhältnissen zwischen etwa 0,015 Ampere und 0,1 Ampere. Da die Isolierung nicht perfekt war, floss etwas Strom an jedem Telegrafenmast in die Erde ab. Dieser Fluss war bei Regen sogar noch stärker. Nun lässt sich unter Verwendung des veröffentlichten Wertes von 10-8 Gauß für das Magnetfeld der Erde bei 8 Hz eine interessante Rechnung durchführen: Bei dieser Frequenz überschießt das Magnetfeld eines einzelnen frühen Telegrafendrahts das natürliche Magnetfeld der Erde um drei bis zu fast 20 Kilometer auf beiden

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