Die Welt unter Strom. Arthur Firstenberg

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Die Welt unter Strom - Arthur Firstenberg

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wenige andere Wissenschaftler haben versucht, diese Unterschiede zu erklären. Sie stellten sie einfach als Tatsache hin. So alltäglich wie die Tatsache, dass manche Menschen dick oder dünn und manche groß oder klein sind – aber dennoch eine Tatsache, die zu berücksichtigen war, wenn man Elektrizität als eine Behandlungsmethode anbieten oder Menschen ihr anderweitig aussetzen wollte.

      Sogar Abbé Nollet, der die menschliche Kette populär machte und einer der wichtigsten Vorreiter auf dem Gebiet der Elektrizität war, berichtete von Beginn seiner Aktionen an über die Unterschiede der menschlichen Verfassung. „Besonders schwangere Frauen und zarte Personen“, schrieb er im Jahr 1746, „sollten der Elektrizität nicht ausgesetzt werden.“ Und später: „Nicht alle Menschen sind gleichermaßen für Experimente mit der Elektrizität geeignet; es bestehen große Unterschiede, sei es, um ihre Kraft auszulösen, sie zu empfangen oder letztendlich ihre Wirkung zu spüren.“8

      Der britische Arzt William Stukeley war bereits 1749 mit den Nebenwirkungen der Elektrizität so vertraut, dass er nach einem Erdbeben in London am 8. März desselben Jahres beobachtete: „Manche Menschen verspürten Gelenkschmerzen, Rheuma, Übelkeit, Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, hysterische und nervöse Störungen … genau wie bei der Elektrifizierung; und für einige war es sogar tödlich.“9 Für ihn war damit klar, dass elektrische Phänomene bei Erdbeben eine wichtige Rolle spielten.

      Und Humboldt war so erstaunt über die außergewöhnlich breite Vielfalt der menschlichen Reaktion, dass er im Jahr 1797 schrieb: „Es wird beobachtet, dass die Empfindlichkeit für elektrische Reizungen und die elektrische Leitfähigkeit individual genauso verschieden ist, wie die Phänomene der lebenden und toten Materie.“10

      Obwohl der heute wieder verwendete Begriff „Elektrosensibilität“ eine glasklare Wahrheit offenbart, verbirgt er gleichzeitig eine andere Realität. Die Wahrheit ist, dass nicht jeder die Elektrizität in gleichem Maße fühlt oder leitet. In der Tat, wenn es allgemein bekannt wäre, wie groß das Spektrum der Empfindlichkeit tatsächlich ist, wären die meisten Menschen genauso erstaunt wie Humboldt seinerzeit und wie ich es heute noch bin. Aber die verborgene Realität ist, dass die Elektrizität, so groß die offensichtlichen Unterschiede zwischen uns auch sein mögen, immer noch ein unentbehrlicher Bestandteil unseres Selbst ist, so notwendig für das Leben wie Luft und Wasser. Der Gedanke, dass eine Person von Elektrizität nicht beeinflusst wird, nur weil sie sich dessen nicht bewusst ist, ist absurd. Genauso unsinnig, als würde man sagen, dass Blut nur dann durch unsere Adern fließt, wenn wir Durst verspüren.

      Elektrisch empfindliche Menschen beschweren sich heutzutage über Stromleitungen, Computer und Mobiltelefone. Die Menge an elektrischer Energie, die durch all diese Technologien nebenbei zusätzlich in unserem Körper abgelagert wird, ist weitaus größer als die, die von den Elektropraktikern mit den Maschinen, die ihnen im 18. und frühen 19. Jahrhundert zur Verfügung standen, absichtlich verabreicht wurde. Das durchschnittliche Mobiltelefon beispielsweise lagert pro Sekunde etwa 0,1 Joule Energie in Ihrem Gehirn ab. Bei einem einstündigen Telefonat sind das 360 Joule. Vergleichen Sie dies mit einem Maximum von nur 0,1 Joule aus der vollständigen Entladung einer Leidener Halbliter-Flasche. Sogar der 30-Element-Elektrostapel, den Volta an seinen Gehörgängen befestigte, hätte in einer Stunde nicht mehr als 150 Joule liefern können, selbst wenn die gesamte Energie von seinem Körper absorbiert worden wäre.

      Bedenken Sie auch, dass sich auf der Oberfläche von Computerbildschirmen – sowohl bei klassischen Desktop-Computern als auch bei drahtlosen Laptops jüngeren Datums – bei jedem Gebrauch eine statische Ladung von Tausenden von Volt ansammelt und sich ein Teil dieser Ladung auf die Oberfläche Ihres Körpers überträgt, wenn Sie davorsitzen. Dies ist wahrscheinlich eine geringere Aufladung als die, die mit dem elektrischen Bad bereitgestellt wurde. Niemand jedoch wurde im 18. Jahrhundert vierzig Stunden pro Woche elektrisch gebadet.

      So gesehen ist die Elektrotherapie in der Tat ein Anachronismus. Im 21. Jahrhundert sind wir alle betroffen, ob es uns gefällt oder nicht. Selbst wenn der gelegentliche Gebrauch für einige einstmals von Vorteil war, ist es unwahrscheinlich, dass ein ständiges Bombardement dies auch ist. Und moderne Forscher, die bestrebt sind, die biologischen Auswirkungen von Elektrizität zu ermitteln, sind in gewisser Weise wie Fische, die die Effekte von Wasser bestimmen wollen. Ihre Vorgänger im 18. Jahrhundert waren in einer viel besseren Position, die Wirkungen aufzuzeichnen, weil damals die Welt noch nicht davon überflutet war.

      Das zweite von Humboldt aufgezeigte Phänomen hat tiefgreifende Auswirkungen sowohl auf die moderne Technologie als auch auf die moderne Medizin: Einige Menschen waren gegenüber der Auswirkung der Elektrizität empfindlicher als andere. Aber das war nicht alles. Sie unterschieden sich auch individuell extrem stark in ihrer Fähigkeit, diese zu leiten, und auch in ihrer Tendenz, eine Ladung auf der Oberfläche ihres Körpers anzusammeln. Für manche Menschen war es sogar unvermeidbar, überall eine Ladung aufzunehmen – allein schon dadurch, dass sie sich bewegten und atmeten. Sie waren sprichwörtliche Funkenerzeuger, wie jene Frau aus der Schweiz, von der der schottische Schriftsteller Patrick Brydone auf seinen Reisen hörte. Ihre Funken und Stromschläge, schrieb er, waren „an einem klaren Tag oder während des Durchzugs von Gewitterwolken am stärksten, wenn die Luft bekanntermaßen mit diesem Fluidum angereichert ist“.11 Solche Personen unterschieden sich physiologisch von anderen.

      Und umgekehrt wurden menschliche Nichtleiter entdeckt, d. h. Menschen, die auch bei angefeuchteten Händen die Elektrizität so schlecht leiteten, dass ihre Anwesenheit in einer Menschenkette den Stromfluss regelrecht unterbrach. Humboldt führte viele Experimente dieser Art mit sogenannten „präparierten Fröschen“ durch. In einer Kette aus acht Personen ergriff die Person an einem Ende einen Draht, der mit dem Ischiasnerv eines Frosches verbunden war. Gleichzeitig ergriff die Person am anderen Ende den Draht, der mit dem Oberschenkelmuskel des Frosches verbunden war. Damit war der Schaltkreis geschlossen und brachte den Muskel zum Zucken. Das geschah jedoch nicht, wenn eine der Personen in der Kette ein menschlicher Nichtleiter war. Humboldt selbst unterbrach eines Tages die Kette, als er Fieber hatte und so vorübergehend ein Nichtleiter war. Er konnte an diesem Tag auch nicht den Lichtblitz in seinen Augen mit Strom auslösen.12

      Die Transactions of the American Philosophical Society für das Jahr 1786 enthalten einen ähnlich lautenden Bericht von Henry Flagg über Experimente in Rio Essequibo (heute Guyana). Hier ergriff eine aus vielen Personen bestehende Kette die beiden Enden eines elektrischen Aals. „Wenn jemand anwesend war, der grundsätzlich körperlich nicht dazu geeignet war, die Wirkung des elektrischen Fluidums zu empfangen“, schrieb Flagg, „so bekam diese Person im Moment des Kontakts mit dem Fisch keinen Stromschlag.“ In diesem Zusammenhang erwähnte Flagg eine Frau, die genau wie Humboldt zum Zeitpunkt des Experiments leichtes Fieber hatte.

      Dies veranlasste einige Wissenschaftler des 18. Jahrhunderts zu der Annahme, dass sowohl die elektrische Empfindlichkeit als auch die elektrische Leitfähigkeit Indikatoren für den allgemeinen Gesundheitszustand eines Menschen sind. Bertholon beobachtete, dass eine Leidener Flasche bei einem Patienten mit Fieber, schwächere Funken langsamer erzeugte als eine identische Flasche bei einer gesunden Person. Bei Schüttelfrost-Anfällen war genau das Gegenteil der Fall: Der Patient schien dann eine Art Supraleiter zu sein und die von ihm oder ihr erzeugten Funken waren stärker als normal.

      Laut Benjamin Martin kann „eine Person, die Pocken hat, kein bisschen elektrifiziert werden“.13

      Trotz der obigen Beobachtungen waren weder die elektrische Empfindlichkeit noch die elektrische Leitfähigkeit zuverlässige Indikatoren für eine gute oder schlechte Gesundheit. Meistens schien es sich hierbei um willkürliche Eigenschaften zu handeln. Musschenbroek beispielsweise erwähnte in seinem Cours de Physique drei Personen, bei denen es ihm niemals gelang, egal wann, sie zu elektrifizieren. Dabei handelte es sich um einen kräftigen, gesunden 50-jährigen Mann; eine gesunde, gut aussehende 40-jährige Mutter von zwei Kindern und einen 23-jährigen

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