Die Welt unter Strom. Arthur Firstenberg

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Die Welt unter Strom - Arthur Firstenberg

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      Die Antwort, sagte Bertholon, lag jetzt auf der Hand: „Atmosphärische Elektrizität und künstliche Elektrizität hängen von ein und demselben Fluidum ab, das verschiedene Auswirkungen auf die Tierwirtschaft hat. Eine durch das Bad isolierte und elektrisierte Person ist wie jemand, der auf der Erde steht, wenn diese übermäßig elektrifiziert ist. Beide sind bis an ihre Grenze mit dem elektrischen Fluidum gefüllt. Es sammelt sich auf gleiche Weise um sie herum an.“32 Der von einer Maschine erzeugte Stromkreis war ein Mikrokosmos des von Himmel und der Erde geschaffenen großen Stromkreises.

      Der italienische Physiker Giambatista Beccaria beschrieb den globalen Stromkreis in überraschend moderner Ausdrucksweise (siehe KAPITEL 9). „Vor dem Regen“, schrieb er, „entweicht eine Menge elektrischer Materie an einer Stelle aus der Erde, an dem es eine Redundanz davon gab. Dann steigt sie in die höheren Regionen der Luft auf … Die Regen bringenden Wolken entleeren sich über jene Teile der Erde, die mit dem elektrischen Feuer überfüllt sind, hin zu jenen Teilen, die davon erschöpft sind. Indem sie ihren Regen fallen lassen, stellen sie das Gleichgewicht zwischen ihnen wieder her.“33

      Wissenschaftler des 18. Jahrhunderts waren nicht die ersten, die dies entdeckten. Das chinesische Modell, das im Klassiker des Gelben Kaisers zur Inneren Medizin aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. formuliert wurde, ist ganz ähnlich. Hierzu muss man sich nur vor Augen halten, dass „Qi“ die Elektrizität bedeutet und dass „Yin“ und „Yang“ negativ und positiv meinen – schon ist die Sprache fast identisch: „Das reine Yang bildet den Himmel und das trübe Yin bildet die Erde. Das Qi der Erde steigt auf und verwandelt sich in Wolken, während das Qi des Himmels herabsteigt und sich in Regen verwandelt.“34

      Zu den berühmten wetterempfindlichen – und daher elektrisch empfindlichen Personen – gehörten Lord Byron, Christoph Kolumbus, Dante, Charles Darwin, Benjamin Franklin, Goethe, Victor Hugo, Leonardo da Vinci, Martin Luther, Michelangelo, Mozart, Napoleon, Rousseau und Voltaire.35

      KAPITEL 4

      Die falsche Abzweigung

      Die europäische Wissenschaft sah sich während der 1790er-Jahre mit einer Identitätskrise konfrontiert. Seit Jahrhunderten spekulierten Philosophen über die Natur von vier mysteriösen Substanzen, die die Welt belebten: Licht, Elektrizität, Magnetismus und Wärme. Es wurde allgemein angenommen, dass die vier Fluida irgendwie miteinander in Bezug standen, aber es war die Elektrizität, die am offensichtlichsten mit dem Leben verbunden war. Nur die Elektrizität brachte Bewegung in Nerven und Muskeln und ließ das Herz pulsieren. Die Elektrizität donnerte vom Himmel und sorgte dafür, dass Winde wirbelten, Wolken sich auftürmten und Regen auf die Erde prasselte. Das Leben an sich war Bewegung und die Elektrizität setzte alles in Gang.

      Die Elektrizität war „ein elektrischer und dehnbarer Geist“, durch den „alle Empfindungen erregt werden. Die animalischen Körperglieder bewegen sich nämlich auf Befehl des Willens durch die Schwingungen dieses Geistes. Diese Schwingungen lösen sich gegenseitig entlang der festen Neurofilamente aus und verteilen sich von den äußeren Sinnesorganen zum Gehirn und vom Gehirn in die Muskeln.“1 So Isaac Newton im Jahr 1713. Und im nächsten Jahrhundert waren nur wenige anderer Meinung.

      Die Elektrizität war

      „ein Element, das für uns inniger ist als die Luft, die wir atmen.“

      Abbé Nollet, 1746 2

      „das Prinzip der animalischen Funktionen, das Instrument des Willens und das Vehikel der Empfindungen.“

      Marcelin Ducarla-Bonifas, französischer Physiker, 17793

      „das Feuer, das alle Körper brauchen und das ihnen Leben gibt … das sowohl an bekannte Materie gebunden als auch von ihr getrennt ist.“

      Voltaire, 17724

      „eines der Prinzipien der Vegetation; sie befruchtet unsere Felder, unsere Reben, unsere Obstgärten und bringt Fruchtbarkeit in die Tiefen der Gewässer.“

      Dr. Jean-Paul Marat, 17825

      „die Seele des Universums“, die „das Leben in der ganzen Natur erzeugt und erhält, sowohl bei Tieren als auch bei Pflanzen.“

      John Wesley, Gründer der Methodistenkirche, 17606

      Dann kam Luigi Galvanis atemberaubende Bekanntmachung, dass das bloße Berühren eines Eisendrahtes mit einem Messinghaken dazu führte, dass sich das Bein eines Frosches zusammenzog. Galvani, ein bis dahin eher unauffälliger Professor für Geburtshilfe am Institut der Wissenschaften von Bologna, war der Meinung, dass sich hier ein interessantes physiologisches Phänomen zeigte: Jede Muskelfaser musste wohl selbst so etwas wie eine organische Leidener Flasche sein und Elektrizität besitzen. Der in seinen Experimenten erzeugte metallische Stromkreislauf, so argumentierte er, setzte diese „animalische Elektrizität“, die vom Gehirn erzeugt und in den Muskeln gespeichert wurde, nur noch frei. Die Funktion der Nerven bestand folglich darin, diese gespeicherte Elektrizität zu entladen. Die unterschiedlichen Metalle, die in direktem Kontakt mit dem Muskel standen, ahmten dabei auf irgendeine Weise die natürliche Funktion der eigenen Nerven des Tieres nach.

      Aber Galvanis Landsmann Alessandro Volta vertrat eine entgegengesetzte und zu dieser Zeit ketzerische Meinung. Der elektrische Strom ging seiner Meinung nach nicht vom Tier aus, sondern von den unterschiedlichen Metallen selbst. Die Zuckungen waren laut Volta ausschließlich auf den äußeren Reiz zurückzuführen. Darüber hinaus, verkündete er, existiere die „animalische Elektrizität“ nicht einmal. Den Beweis hierfür erbrachte er mit seiner bedeutsamen Demonstration, dass der elektrische Strom durch den Kontakt verschiedener Metalle allein erzeugt werden konnte – ohne das Mitwirken eines Tieres.

      Die beiden Kontrahenten repräsentierten offensichtlich zwei verschiedene Weltanschauungen: Der als Arzt ausgebildete Galvani verankerte seine Erklärungen in der Biologie. Seiner Meinung nach waren die Metalle mit einem lebenden Organismus verbunden. Volta, der autodidaktische Physiker, sah genau das Gegenteil: Der Frosch war lediglich eine Erweiterung des unbelebten metallischen Stromkreislaufs. Für Volta war der Kontakt eines Leiters mit einem anderen ausschlaggebend, und zwar sogar für die Elektrizität, die sich im Tier zeigte: Muskeln und Nerven waren praktisch nur feuchte Leiter und somit lediglich eine andere Art elektrischer Batterie.

      Ihr Streit war nicht nur ein Beispiel für einen Konflikt zwischen Wissenschaftlern oder zwischen Theorien. Hier prallten die Jahrhunderte aufeinander, der Mechanismus auf der einen Seite und der menschliche Geist auf der anderen Seite gerieten in Konflikt miteinander – ein existenzieller Kampf, der Ende der 1790er-Jahre das Grundgerüst der westlichen Zivilisation ins Wanken brachte. Kurz darauf sollten sich Handweber gegen mechanische Webstühle auflehnen, aber ihr Aufstand war zum Scheitern verurteilt. In der Wissenschaft wie im Alltag verdrängten und verschleierten materielle Interessen immer mehr die realen Lebensbedingungen der Menschen.

      Natürlich gewann Volta den Kampf. Seine Erfindung der elektrischen Batterie gab der industriellen Revolution einen enormen Auftrieb. Sein Beharren darauf, dass Elektrizität nichts mit einem belebten Körper an sich zu tun hatte, trug auch dazu bei, dass Elektrizität fortan in eine andere Richtung gelenkt wurde. Diese Fehlentscheidung ermöglichte es der Gesellschaft, Elektrizität auf industrieller Ebene zu nutzen – die Welt zu verdrahten, wie Nollet es sich vorgestellt hatte –, ohne sich über die Auswirkungen eines solchen Unterfangens auf Biologie und Leben, Gedanken zu machen. Und das war auch der Freifahrtschein, um das gesammelte

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