Die Welt unter Strom. Arthur Firstenberg

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Die Welt unter Strom - Arthur Firstenberg

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Physiker Leopoldo Nobili und Carlo Matteucci und auch ein deutscher Physiologe namens Emil du Bois-Reymond auf der Bildfläche. Wenn wir dem, was wir in den Lehrbüchern lesen, Vertrauen schenken können, dann haben diese drei bewiesen, dass die Elektrizität doch etwas mit dem Leben zu tun hatte und dass Nerven und Muskeln nicht nur feuchte Leiter waren. Aber das mechanistische Dogma war bereits fest verankert und widerstand allen Versuchen, die Verbindung zwischen Leben und Elektrizität wieder gebührend herzustellen. Der Vitalismus wurde dauerhaft in den Bereich der Religion, in das Reich des Unwesentlichen, verbannt und für immer von der Domäne der ernsthaften, aufklärenden Wissenschaft ausgeschlossen. Experimentell nachweisen ließ sich die Kraft, die hinter allem Leben steckt, jedenfalls nicht – sofern es sie überhaupt gab. Keineswegs konnte es sich dabei um dieselbe Substanz handeln, die Elektromotoren drehte, Glühbirnen erleuchten ließ und Tausende von Kilometern auf Kupferdrähten zurücklegte. Ja, man hatte endlich die Elektrizität in den Nerven und Muskeln entdeckt. Aber ihre Aktion war nur ein Signal des transmembranen Transports der Natrium- und Kaliumionen und der Neurotransmitter über den synaptischen Spalt. Die Chemie stand jetzt hoch im Kurs – sie war der fruchtbare, scheinbar endlose wissenschaftliche Boden, der die gesamte Biologie, die gesamte Physiologie nährte. Dass es Kräfte geben könnte, die aus der Ferne auf das Leben einwirkten, dies wurde dabei völlig beiseitegeschoben.

      Eine andere, noch bedeutendere Veränderung, geschah nach 1800: Nach und nach vergaßen die Menschen sogar, sich über die eigentliche Natur der Elektrizität Gedanken zu machen. Man begann nunmehr mit der Errichtung eines permanenten elektrischen Bauwerks, dessen Einflüsse überall schleichend Fuß fassten, ohne dass man die Konsequenzen bemerkte oder darüber nachdachte. Anders ausgedrückt: Obwohl diese Konsequenzen bis ins kleinste Detail aufgezeichnet wurden, fehlte das Verständnis für das, was da eigentlich gebaut wurde.

      KAPITEL 5

      Chronisch krank durch Elektrizität

      Im Jahr 1859 machte die Stadt London eine erstaunliche Metamorphose durch. Die Straßen, Geschäfte und Wohndächer seiner zweieinhalb Millionen Einwohner wurden plötzlich an ein unübersehbares Gewirr von Elektrokabeln angeschlossen. Lassen wir einen der berühmtesten englischen Schriftsteller, der Augenzeuge war, die Geschichte einleiten:

      „Vor ungefähr zwölf Jahren“, schrieb Charles Dickens, „nachdem es in den Tavernen üblich wurde, Bier und belegte Brote zu einem Festpreis anzubieten, führte der Besitzer eines kleinen Vorstadthauses diese Gewohnheit ad absurdum. Er bot nämlich ein Glas Bier und einen elektrischen Schlag für vier Pence an. Dass er mit dieser Kombination aus Wissenschaft und Getränk Geschäfte machen wollte, war natürlich mehr als fraglich. Als Wirtschaftsbesitzer war das Hauptziel seines ungewöhnlichen, wenn auch humorvollen Scharfsinns wohl, sein Geschäft anzukurbeln. Was immer auch der Grund für seinen etwas bizarren Unternehmergeist gewesen sein mag, es ist auf jeden Fall festzuhalten, dass der Wirt seiner Zeit weit voraus war.

      Er war sich wahrscheinlich nicht einmal bewusst, dass sich seine ungewöhnliche Art, Geschäfte zu führen, innerhalb weniger Jahre zu einer ernsthaften Wissenschaft entwickeln würde. Waghalsige Possenreißer gehen ja oft humorvoll mit einem Thema um, von dem sie eigentlich nichts verstehen. Wir sind beispielsweise noch nicht so weit, dass die Leser von Bischof Wilkins berühmtem Diskurs über die Luftfahrt selbst zum Mond fliegen können. Aber die Stunde ist nahe, in der die erfindungsreiche Bekanntmachung des Bierladenbesitzers als selbstverständlich und ganz normal angesehen werden wird. Ein Glas Bier und ein elektrischer Schlag werden tatsächlich in Kürze für vier Pence verkauft werden – und der wissenschaftliche Teil des Geschäftes wird von größerem Nutzen sein als eine bloße Reizung der menschlichen Nerven. Hier geht es nämlich um einen elektrischen Schlag, der eine Nachricht durch ein Drahtgeflecht über die Hausdächer an eine der 120 Bezirkstelegrafenstationen senden wird, die zwischen den Ladenbesitzern in der ganzen Stadt verteilt werden sollen.

      Die fleißigen Spinnen haben sich längst zu einer Handelsfirma namens London District Telegraph Company (Limited) zusammengeschlossen und ihr Handelsnetz lautlos, aber effektiv, gesponnen. Rund 250 Kilometer Draht sind jetzt entlang Brüstungen, durch Bäume, über Mansarden, um Schornsteinaufsätze und quer über Straßen auf der Südseite des Flusses angebracht. Die noch ausstehenden 190 Kilometer Draht auf der Nordseite werden bald in gleicher Weise gespannt. Die Arbeit geht immer schneller voran. Außerdem ist selbst der starrköpfigste Engländer bereit, das Dach seiner sprichwörtlichen Burg im Interesse der Wissenschaft und des Gemeinwohls aufzugeben, wenn er sieht, dass seine Nachbarn zu Hunderten hier bereits den Weg gewiesen haben.“

      Die englischen Bürger begrüßten nicht unbedingt die Aussicht, dass elektrische Leitungen an ihren Häusern angebracht werden sollten. „Der britische Hausbesitzer hat noch nie eine voltaische Batterie eine Kuh töten sehen“, schrieb Dickens, „aber er hat gehört, dass so ein Kraftakt durchaus möglich sei. Der Telegraf wird in den meisten Fällen von einer starken voltaischen Batterie betrieben, und daher hält sich der britische Hausbesitzer, der generell Angst vor Blitzen hat, logischerweise von all diesen Maschinen fern.“ Laut Dickens gelang es Vertretern der London District Telegraph Company trotzdem, fast 3.500 Hausbesitzer zu überreden, ihre Dächer für die 450 Kilometer Draht zur Verfügung zu stellen. Ganz London war von ihnen übersät, und es sollte nun nicht mehr lange dauern, bis die Geschäfte von Lebensmittelhändlern, Apothekern und Wirten in der ganzen Stadt an das Netz angeschlossen wurden.1

      Ein Jahr später, als die Universal Private Telegraph Company ihre Türen öffnete, wurde das Stromnetz über den Häusern von London noch dichter gewebt. Im Gegensatz zur ersten Firma, deren Stationen nur öffentliche Dienstleistungsunternehmen akzeptierten, vermietete Universal Telegrafenanlagen an Unternehmen und Einzelpersonen für den Privatgebrauch. Kabel mit jeweils bis zu 100 Drähten bildeten das Rückgrat des Systems. Jeder Draht verließ dabei das Gewirr der restlichen Drähte und zweigte sich ab, sobald er sich seinem Ziel näherte. Bis 1869 hatte diese zweite Firma mehr als 4.000 Kilometer Kabel und ein Vielfaches davon an Drähten über den Köpfen der Londoner gespannt und unter den Füßen verlegt.1.500 Abonnenten, verstreut über die die ganze Stadt, waren somit versorgt.

      Eine ähnliche Transformation fand mehr oder weniger überall auf der Welt statt. Die Tragweite der Geschwindigkeit und der Intensität jedoch, mit der dies geschah, wird heute nicht richtig eingeschätzt.

      Die systematische Elektrifizierung Europas hatte 1839 mit der Eröffnung des magnetischen Telegrafen auf der Great Western Railway zwischen West Drayton und London begonnen. Die Elektrifizierung Amerikas begann einige Jahre später: Samuel Morse errichtete 1844 entlang der Eisenbahnstrecke Baltimore–Ohio die erste Telegrafenlinie zwischen Baltimore und Washington. Davor wurden jedoch bereits Häuser, Büros und Hotels mit elektrischen Türklingeln und Meldern ausgestattet. Das erste vollständige System wurde im Jahr 1829 im Tremont House in Boston installiert, in dem alle 170 Gästezimmer über elektrische Leitungen mit einem Glockensystem im Hauptbüro verbunden waren.

      Elektrische Alarmanlagen waren 1847 in England und bald darauf in den Vereinigten Staaten und in Deutschland erhältlich.

      Im Jahr 1850 wurden auf allen Kontinenten, mit Ausnahme der Antarktis, Telegrafenleitungen aufgebaut. Über 35.000 Kilometer Draht wurden in den Vereinigten Staaten unter Strom gesetzt; fast 6.500 Kilometer rückten in Indien vor, wo sich „Affen und Schwärme großer Vögel“ auf ihnen niederließen.“2 1.600 Kilometer Draht breiteten sich in drei Richtungen von Mexiko-Stadt aus. Bis 1860 waren Australien, Java, Singapur und Indien miteinander durch Seekabel verbunden. Bis 1875 wurden die ozeanischen Kommunikationsbarrieren durch fast 50.000 Kilometer Unterseekabel aufgehoben. Jetzt hatten die unermüdlichen „Netzweber“ schon ein Kupfernetz von 1,1 Millionen Kilometer Länge auf der Erde unter Strom gesetzt – genug Draht, um den Globus fast 30 Mal zu umwickeln.

      Der Stromverkehr nahm noch stärker zu als die reine Anzahl der Drähte. Zunächst das Duplexing,

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