Wer mutig ist, der kennt die Angst. Johannes Czwalina
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Angst
Angst ist notwendig, um Gefahren und die eigene Überforderung zu bemerken, aber Angst kann auch sehr negativ sein, weil sie uns dazu verleitet, unsere Identität und Authentizität zu verkaufen und preiszugeben. Das kann die Angst vor dem sein, was andere sagen, die Angst davor, Ruhe und Ruf zu verlieren, Ärger, Schwierigkeiten oder gesellschaftliche Isolierung zu erfahren, und die Angst vor Kollegen: »So etwas tut man nicht.« Weiter ist hier auf die Angst vor dem Vorgesetzten hinzuweisen, der seine Machtposition ausnützt, wenn er erklärt: »Ihr Ton ist unmöglich, Sie sollten die Konsequenzen ziehen.« Die Angst kennt viele Gesichter: Angst, selbst Verantwortung zu übernehmen, Angst vor Nachteilen, Angst vorm Ausgeschlossensein, Angst, die richtigen Worte nicht zu finden, Angst, sich zu blamieren und die Geborgenheit des gewohnten Umfeldes zu verlieren, Angst, den Schutz der Vorgesetzten zu verlieren, Angst, den Arbeitsplatz und die Versorgung der Familie zu gefährden. Jedes Jahr werden Tausende Fälle von schweren Misshandlungen nicht bekannt, weil Nachbarn aus Angst davor, es sich mit den Leuten zu verderben, schweigen.
Undurchschaubarkeit
Das Mitschwimmen im breiten Strom ist sehr bequem. Hier steht der Einzelne nicht mehr vor Herausforderungen, die zu einer klaren Entscheidung zwingen, wie im Dritten Reich zwischen Gehorsam und Gehorsamsverweigerung, zwischen Anpassung und Gefängnis, sondern er findet sich in diffusen Situationen, die schwer abzuschätzen sind, weswegen er sich nicht mehr die Mühe machen will, um den richtigen Weg zu ringen.
Anonymität
Wir kennen weder Opfer noch Täter, noch die übrigen Zeugen. Dadurch ist sich jeder bewusst, dass er nur zufällig am Ort ist. Hätte man die U-Bahn davor erwischt, würde man von dem Verbrechen am nächsten Tag nur in der Zeitung lesen. Wer sich abwendet, muss keine Konsequenzen für seinen Ruf fürchten. Man sieht die Beteiligten höchstwahrscheinlich nie wieder.
Wir haben tausendmal Überfälle und Morde im Fernsehen beobachtet und mussten niemals eingreifen, weil ein Kommissar am Ende den Täter zur Strecke brachte.
Alltäglichkeit
Gewalt in den Medien ist unser Alltag. Die Rolle des Zuschauers ist uns längst vertraut. Wir haben tausendmal Überfälle und Morde im Fernsehen beobachtet und mussten niemals eingreifen, weil ein Kommissar am Ende den Täter zur Strecke brachte.
Beispiel einer Handlungsempfehlung
Wirksame Hilfe ist möglich, wenn sich die Anwesenden im Vorfeld mit dem Opfer solidarisieren.
Wenn Sie beispielsweise eine Gewalttat in der Vorortbahn beobachten, wenden Sie sich an die Leute neben sich und fragen: Gefällt Ihnen das, was sich dort vorbereitet? Wollen wir alle zusammen aufstehen und uns einmischen? Besteht ein begründeter Verdacht auf permanente Gewaltanwendung in der Nachbarschaft, genügt schon ein anonymer Hinweis an das Jugendamt, um die Behörde zum Nachforschen zu veranlassen. Eine offene Zeugenaussage ist natürlich besser. Eine Frau wird bedroht. Sie haben Angst einzugreifen. Es könnte ja sein, dass das Opfer gar keine Hilfe will und sagt, Sie sollen sich zum Teufel scheren. Wenn Sie wissen wollen, ob eine echte Bedrohung vorliegt, fragen Sie: »Brauchen Sie Hilfe?« Oft genügt schon die Drohung, dass Sie die Polizei rufen und als Zeuge aussagen werden.
Was bewirkt die Anpassung gegen die inneren Überzeugungen?
Lieber ein Knick in der Karriere als im Rückgrat.
Die negativen Folgen der oft unreflektierten Anpassungsmentalität in unserer westlichen Kultur sind langfristig viel größer als ihr vermeintlicher Nutzen. Die Anpassungsmentalität zerstört lebendigen Menschen machen kann. Die Folge ist, dass uns nichts anderes übrig bleibt, als vorgekautes Leben aus der Konserve zu konsumieren (Filme, Erlebnisparks, Shows etc.), wobei jedes Risiko und jeder überraschende Ausgang ausgeschaltet sind. Aber echtes Leben ist Risiko und nicht bloßes Funktionieren.
Wenn es uns nicht gelingt, unseren persönlichen Überzeugungen entsprechend zu leben, dann wird der Zwiespalt zwischen unserem eigentlich angestrebten Tun und unserem tatsächlichen Handeln immer größer, und unser Selbstwertgefühl geht immer mehr bergab.
Das Unbehagen, das mich bisweilen in der Begegnung mit Menschen beschleicht, ist das Gefühl, dass ich mit Rollenträgern kommuniziere. Ihre eigentliche Persönlichkeit verbergen sie oder kennen sie selbst nicht mehr, weil sie diese zu oft verleugnet haben. Ich fühle mich durch diese Menschen gelangweilt, sie vermitteln nichts Lebendiges. Denn nur Echtheit bewirkt Leben. Diese Menschen machen einsam, denn sie ersticken den Wunsch nach Anteilnahme, etwas, was wir zum Leben so dringend brauchen. Sind wir uns bewusst, wie hoch der Preis ist, wenn wir das Kostbarste, das wir haben, unsere unverwechselbare Persönlichkeit, so unreflektiert aufgeben?
Wie erfrischend war demgegenüber vor einiger Zeit die Begegnung in der Vorortbahn mit einem Kind. Es durchbrach den resignierten Schein auf vielen düsteren, schweigend vor sich hin starrenden Gesichtern für einen Augenblick und bewirkte ein Lächeln. Das Kind fragte seine Mutter: »Mama, warum hat dieser Mann da drüben eine so spitze Nase mit einem roten Pickel obendrauf?« Es ist selten, dass man durch derart geöffnete Fenster für einen Augenblick in die Seele eines Menschen hineinschauen kann. Manchmal geschieht das durch ein schamvolles Erröten oder durch einen »Freud’schen« Versprecher oder durch eine schnell weggewischte Träne. Diese geöffneten Fenster lassen uns mehr pures Leben erkennen als viel Gescheites, Intelligentes und scheinbar Nützliches unserer modernen Gesellschaft, das manchmal nur dazu geeignet ist, die Knochen jeglicher Spontaneität und lebensfroher Unbefangenheit so lange zu brechen, bis sie in den tristen Sarg von organisierten Prozessen passen, die alles nur auf eine utilitaristische Daseinsberechtigung reduzieren.
In den vergangenen Jahren bin ich einigen Menschen begegnet, die im Druck des Berufslebens leichtfertig, ursprünglich auf Langfristigkeit ausgelegte Träume gegen kurzfristigen Erfolg eintauschen. Sie handeln genau so, wie Erich Kästner es formuliert hat: »Die meisten Menschen legen ihre Kindheit ab wie einen alten Hut. Sie vergessen sie wie eine Telefonnummer, die nicht mehr gilt. Früher waren sie Kinder, dann wurden sie Erwachsene, aber was sind sie nun?«
Ich suche immer nach dem Wort hinter dem Wort, nach der Sprache hinter der Sprache. Die Rolle ist wichtiger geworden als das Leben, das nur erhalten bleibt und erneuert wird, wenn Menschen den Mut haben, authentisch zu sein.
Ich werde nicht vergessen, was mir der ehemalige Personalvorstand eines großen Automobilkonzerns rückblickend sagte, als ich ihn fragte, ob es etwas gibt, was er anders machen würde, wenn er noch mal anfangen könnte. »Wenn ich noch einmal leben dürfte, würde ich alle wichtigen geschäftlichen Entscheidungen, die ich selbstständig und in Übereinstimmung mit meinem Gewissen und meiner persönlichen Verantwortung fällen konnte, heute noch einmal so fällen. Von anderen geschäftlichen Entscheidungen jedoch, die ich als Kompromisse fällen musste, wo sich oft mein anfängliches Unbehagen später bestätigt hat, würde ich mich aus heutiger Sicht ohne Rücksicht auf Verluste klar distanzieren.«24
Der andere
Was siehst