Tödliche Offenbarung. Cornelia Kuhnert
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»Ab wann dürfen unsere Clubmitglieder wieder Golf spielen?« Goldmann ist zu Borgfeld und Streuwald herangetreten, die immer noch unentschlossen vor dem Absperrband stehen.
»Na ja …« Borgfeld sieht seinen Kollegen an. »Eigentlich hat keiner gesagt, dass der Platz nicht betreten werden darf.«
»Das ist ja schon mal etwas. Kann man auch die Wagen und Bags aus dem Caddyhaus holen?« Goldmann steckt seine Hand in die rechte Hosentasche. »Es ist Wochenende und die Leute wollen auf die Runde. Wir sind ein angesehener Verein, Golfer sind …«
Sein schier endloser Vortrag langweilt Streuwald. Golf. Als wenn das Sport wäre. Bewegung für ältere Herrschaften, vielleicht, aber nicht mehr. Er muss diesen geschniegelten Lackaffen doch nur ansehen, um zu wissen, was das für eine Sportart ist. Kurze rote Hosen mit dunkelblauen Kniestrümpfen, dazu weiße Schuhe mit braunen Litzen. Damit würde keiner seiner Jungs auf den Platz kommen, ohne ausgepfiffen zu werden.
Endlich kommt Goldmann mit seinem Monolog über die Bedeutung des Golfsports zum Ende. Er zieht seine Hand aus der Tasche, darin glänzt etwas Weißes: ein Golfball.
Streuwald erkennt farbige Punkte darauf: grün, weiß, rot.
»Kann ich den mal haben?«
Die Frage überrascht Goldmann, doch er reicht den Golfball Streuwald. Der wendet ihn hin und her und reicht ihn schließlich an Borgfeld weiter.
»Ein Wappen mit gekreuzten Golfschlägern. Erkennst du es?«
|77|»Ist das gleiche Muster.« Borgfeld dreht sich zu Goldmann um. »Hat das eine besondere Bedeutung?«
»Das ist unser Clublogo. Jeder Club, der etwas auf sich hält, hat einen Golfball mit eigenem Logo.«
Borgfelds Augen blitzen bei diesen Worten auf. Ein Toter im Golfclub, im Mund ein Golfball des Clubs. Klare Sache. Er grinst. Von dem Geld, was ihm die Beförderung einbringt, könnte er endlich mal wieder Urlaub an der See machen.
»Wo kann man diese Bälle kaufen?«
»Bei uns im Pro Shop.«
»Ah ja, Pro Shop, wunderbar. Und … wo ist der?«
»Vorne, gleich neben der Station der Greenkeeper.«
Greenkeeper? Borgfeld runzelt die Stirn.
»Zeigen Sie uns am besten mal, wo der Platzwart seine Geräte stehen hat«, hilft Streuwald seinem Kollegen auf die Sprünge.
25
Martha steht an der Spüle und schrubbt ihre Teekanne. Oben am Rand ist ein brauner Belag. Mit einer Zahnbürste schiebt sie Küchenpapier in die Ritze, die sich zwischen dem beweglichen Henkel und dem Kannenkörper bildet. Nach dem dritten Versuch gibt sie auf. Sie braucht etwas Schmaleres. Während sie in der Schublade des Küchentisches sucht, fällt ihr Blick auf die Anrichte. Dort liegt die Fotokopie der Aufzeichnungen, die ihr ein Mann am Freitag in der Redaktion vorbeigebracht hat.
»Gestatten, Julius Trott aus Celle. Ich unterrichte am Kaiserin-Auguste-Viktoria-Gymnasium |78|in Celle«, stellte er sich vor und erzählte von seiner verstorbenen Großmutter und dem Fund dieser alten Aufzeichnungen bei der gerade stattfindenden Wohnungsauflösung.
»Dieses Tagebuch enthält Sprengstoff. Glauben Sie mir. Unangenehme Wahrheiten werden ans Licht gebracht. Dinge, die niemand in Celle wissen will«, sind seine Worte zum Abschied gewesen. »Diese Geschichte muss an die Öffentlichkeit.«
Martha schlägt die erste Seite auf und beginnt noch im Stehen zu lesen.
1952
Am Ende der Straße steht ein Haus. Fachwerk in bester Zimmermannsarbeit. Bunt bemalte Balkenköpfe, goldene Schriftzüge über den Türen. Alles heimelig und gemütlich. Spitzengardinen in den Fenstern verhindern die Sicht hinter die liebliche Fassade. Tante Ida hat ihr Elternhaus damals bestimmt nicht gern verlassen, genauso wenig wie Mama.
Am Alten Marstall werfe ich einen Blick nach links. Verträumt thront das Celler Schloss im cremigweißen Zuckerbäckerstil auf einem kleinen Hügel, umgeben von Wassergräben, die schon viel gesehen haben. Mittelalterlich verschlafen wirkt es hier, ganz anders als im quirligen New York, das es noch nicht einmal gab, als Celle bereits Residenzstadt war.
Sprengstoff? Unangenehme Wahrheiten? Martha schüttelt den Kopf. Manche Menschen überschätzen die eigene Biografie und die ihrer Mitmenschen enorm. Eine junge Frau aus New York hat Beobachtungen in einer idyllischen Kleinstadt |79|in Norddeutschland aufgeschrieben. Bestimmt kommen gleich Kochrezepte und eine Liste damals aktueller Schlager. Martha blättert die Seite um und liest gelangweilt die nächste Eintragung.
Elfriede Trott, Jahrgang 1916, 36 Jahre alt, Bäckereiverkäuferin, wohnhaft Riemannstraße
So, Fräulein Clara, setzen Sie sich dort aufs Sofa. Muss eine anstrengende Reise für Sie gewesen sein. Amerika ist schließlich weit weg. Die schlafen doch jetzt sogar, wo wir miteinander reden.
Was hat Sie denn hierher verschlagen in unsere alte Residenzstadt? Das Schloss? Das ist wirklich wunderschön.
Ach, Sie möchten wissen, was in den letzten Tagen des Krieges passiert ist. Sie schreiben für eine Zeitung? Für die New York Times? Donnerwetter, und da wollen die da drüben auf der anderen Seite des Ozeans hören, was in Celle los war. Haben die etwa ein schlechtes Gewissen?
Der 8. April 1945 – Mädchen, das sind Tage, die alle vergessen wollen. Wir hatten genug auszustehen nach dem Krieg. Das wollte zum Ende keiner mehr haben. Das müssen Sie mir glauben.
Nein, es gab hier nicht viele Nazis. Ich weiß nicht, wer Ihnen das erzählt hat. Die Ida? Stimmt, die ist rüber nach Amerika. Das ist schon ewig her. Die weiß gar nicht, was hier los war, was das zum Schluss für ein Elend war.
Wollen Sie noch eine Tasse Kaffee? Echter Bohnenkaffee ist das, den habe ich gerade aufgebrüht.
Der 8. April 1945 – war das nicht ein Sonntag? Ja, richtig, jetzt erinnere ich mich. Herrliches Wetter, der Himmel ganz |80|blau und strahlender Sonnenschein. Morgens war es kühl, aber der Frühling kam mit Macht, die Luft erwärmte sich schnell. Es lag ein besonderer Duft über allem, die Vögel zwitscherten. Amseln, Drosseln. Alles erwachte nach dem Winter. An der Aller wuchsen die ersten Butterblumen, überall leuchteten die Forsythien.
Am Sonntagvormittag fuhr ich mit dem Fahrrad ins Zentrum. Es hieß, das Proviantlager wird aufgelöst, es sollte Sonderrationen geben, damit sie nicht in die Hände des Feindes fallen. Nicht mehr lange und er würde vor den Toren der Stadt stehen.
Schon früh waren alle auf den Beinen und versuchten, Lebensmittel zu ergattern. Vor den Geschäften bildeten sich Schlangen. Ich selbst stand ewig in der Zöllnerstraße an. Mein Mann hatte keine Zeit, mitzukommen, der arbeitete ja als Bäckermeister in der Keksfabrik. Der war verantwortlich für die Bärentatzen, aber in jenen Tagen wurde nicht mehr viel gebacken. Da wurden nur