Italien - Gefangen in Land und Liebe. Alexander Frey
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Aber auch die Eltern und Großeltern standen dem in nichts nach.
„Sie müssen unbedingt wieder kommen“, ließ die Mutter in ihrer herzlichen Art nicht locker.
„Ja, danke, gerne!“ antwortete ich.
Nachdem ich vier Wochen auf herrliche Weise meine Freizeit in diesem Hause verbracht hatte, machte mir die Mutter das Angebot, hier bei ihnen zu wohnen.
„Wir haben oben noch ein hübsches Zimmer, das wird Ihnen sicher gefallen. Morgens gehen Sie dann von hier aus zu Ihrem Dienst.“
„Ja, natürlich“, stimmte Flora begeistert zu.
„Ich habe mir schon immer einen Sohn wie Sie gewünscht“, sagte der Vater. „Glauben Sie mir, Sie sind uns allen sehr willkommen.“
Ich war mehr und mehr überrascht. Glücklich, kaum begreifend, nahm ich das großartige Angebot an und zog gleich am nächsten Tag in ein nett eingerichtetes Privatzimmer.
Von diesem Tag an war ich der Sohn des Hauses, mit allen Bequemlichkeiten. Ich habe überhaupt immer sehr schnell auf die Mentalität anderer reagiert. Nun hatte ich neben Eltern und Großeltern auch noch die hübscheste Schwester, die man sich denken konnte. Schon als kleiner Junge hatte ich mir neben meinen vier Brüdern immer eine Schwester gewünscht.
Stefano, der tüchtige Vater, stand meistens in der Backstube.
Bereits nach zwei Uhr stand er auf und steckte seinen Ofen mit Reisig an, um ihn auf die richtige Temperatur zu bringen. Dann bereitete er seinen Teig vor, um pünktlich um sechs Uhr die ersten Brötchen ausliefern zu können.
Emma, seine Frau, war dann die nächste. Sie richtete die anderen Dinge, die zu erledigen waren, her. Noch halb schlafend kroch sie aus dem Bett. Und doch immer munter, lustig und gut aufgelegt.
Sie war eine großartige Frau, gutmütig bis aufs Hemd, von der man alles haben konnte. Sie nahm mich wie ihr leibliches Kind ans Herz.
Um 7.00 Uhr krochen dann auch der Nonno und die Nonna aus den Betten, um am täglichen Familienleben Anteil zu haben.
Nachdem der Nonno zunächst einen tiefen Schluck aus seiner immer in der Nähe stehenden Rotweinflasche genommen hatte, ging er zu Stefano in die Backstube. Trotz seines Alters war er noch sehr rüstig. Die Weinflasche war sein Kompagnon, und vielleicht hatte auch sie ihren Anteil an seinem hohen Alter.
Ich musste pünktlich um acht Uhr meinen Dienst beginnen. So war ich der letzte, der aus den Federn kroch, um mich sogleich, sofern ich keinen Nachtdienst hatte, an den bereits gedeckten Tisch zu setzen.
Die obligatorische Mahlzeit mit viel Milch, wenig Kaffee und reichlich Zucker, man bezeichnet sie als Kaffeelatte, schmeckte mir so schon ganz gut. Ich richtete mich nach meinen Gastgebern und tunkte die alten Brötchen in diese Süßigkeit. Das schmeckte mir ausgezeichnet.
Der Dienst wollte einfach nicht mehr vergehen. Er kam mir von Tag zu Tag länger vor, bis ich endlich wieder zu meiner geliebten Familie gehen konnte. Die Bäckerei war mein Zuhause geworden. Hier gab es jeden Abend etwas anderes, jeden Tag eine neue Überraschung und Abwechslung, ganz gleich, ob es sich nun um das Essen oder um unseren sonstigen Zeitvertreib handelte.
Emma war eine ausgezeichnete Köchin. Sie liebte es, mich zu verwöhnen und empfing mich meistens schon an der Tür.
„Rate mal, was ich Dir heute gekocht habe?“ waren dann immer ihre ersten Worte.
Ich lachte, legte den Arm um ihre Schultern, küsste ihre Wange und versuchte zu raten.
„Pasta a la Bolognese?“
„No, heute bekommst Du Hühnchen. Salvatore war heute bei uns und hat einige mitgebracht. Viele Grüße soll ich Dir von ihm bestellen, er mag Dich.“
„Danke Emma“, sagte ich, „Du bist großartig!“
„Und hinterher bekommst Du noch einen Vino buono, molto buono, Du hast nie einen besseren getrunken.“
„Komm, gehen wir rein, jetzt hast Du mich richtig neugierig gemacht, außerdem habe ich einen Mordshunger.“
Emma verstand es, ihre Kochkunst anzubieten und sie hatte wahrlich ein unheimliches Geschick darin, den richtigen Geschmack zu treffen.
Dann, nach dem ausgedehnten Mahl, es handelte sich dabei immer um eine längere Sitzung, die über eine oder sogar mehrere Stunden ging, widmete ich mich der Tochter des Hauses, Flora.
„Hast Du heute keine Lust, italienisch zu lernen?“ fragte sie vorsichtig, wenn ich dann meist vom Essen derart mitgenommen war, dass ich träge auf dem Stuhl saß und mich kaum rühren konnte.
„Nonna, mach dem Rudi schnell einen Espresso“, sagte sie dann zur Oma. Alle Achtung, der Kaffee hatte es in sich und half mir auch gleich wieder auf die Beine.
Dann begann Floras große Stunde: „Das ist eine Gabel. Das ist ein Löffel. Ich wohne hier im Haus.“ usw. Bis tief in die Nacht ging das so.
Die Eltern dagegen zogen sich meist früh zurück. Nonna lag müde auf der Tischkante und Nonno hatte seine Weinmenge intus und war schon lange zuvor in tiefen Schlaf versunken. Nur wir zwei waren noch wach, redeten miteinander, so gut einer den anderen verstehen konnte und fanden uns mehr und mehr in inniger Verbundenheit.
Nein, es war nicht nur die Sprache, das Erlernen der Sprache, das uns miteinander verband. Es war mehr, allein das Beisammensein! Das Erkennen des anderen Menschen, einer anderen Mentalität, die Art und die Sitten des Südländers, wie nur er es versteht, sich zu geben und zu unterhalten. Bei einer so hübschen und liebenswerten Lehrerin machte natürlich das Lernen auch Spaß. Es fiel mir leicht. Ich las in den Illustrierten, sie verbesserte, brachte den richtigen Tonfall hinein und las vor. Dann tobten wir wie kleine Kinder. Balgten in der Küche wie übermütige Jungen. Ich half beim Abwasch, spionierte in den Kochtöpfen und naschte aus der Speisekammer.
Wenn ich Sonntags im Hause war, legte ich leichte Tanzmusik auf. In der Küche, in der wir uns meist aufhielten, stand ein alter Plattenspieler. Dann tanzten wir nach den einschmeichelnden Melodien und vergaßen die Küche, den Kampf und den Krieg, waren nur noch wir selbst, ganz einfach wir selbst, unbeschwert und glücklich.
Mir gefielen die schönen italienischen Melodien. Ich konnte ihnen stundenlang zuhören und mit meiner schönen Gesellschafterin träumen.
Die Oma war besessen von Caruso und Gigli. Sie schwärmte von ihnen wie ein junges Mädchen. Ich mochte sie auch. Sie wirkten herrlich beruhigend, romantisch, südländisch. Aber ich mochte auch besonders gern Glenn Miller, der gerade sehr modern war und überall gespielt wurde. Leider war das Anhören dieser Musik für uns streng verboten.
Mitten im Krieg erlebte ich innerhalb dieser Familie unvergleichlich schöne Wochen friedlichster Harmonie.
Am 3.1.1945 hieß es plötzlich beim Appell: „Die Kompanie wird heute Abend um 22.00 Uhr verlegt.“
Ich war wie erstarrt. Das kam einfach zu überraschend, zu schnell, zu hart und zu plötzlich. Mir blieb nach meinem Dienst kaum Zeit, um Abschied zu nehmen.
Und wieder war ich zutiefst von meinen Gastgebern überrascht. Auch sie berührte diese Nachricht wie ein Schock. Emma lag im Bett. Als sie