Novembertod. Iris Leister

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Novembertod - Iris Leister

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ich es vergessen. Ihre Frau bittet Sie, einer gewissen Margarete Bescheid zu geben.»

      Kappe verließ das Krankenhaus. Er war außer sich vor Sorge.

      Kappe rannte zurück zu Wertheim, wo Margarete als Verkäuferin arbeitete. Das Kaufhaus hatte gar nicht erst aufgemacht. Die Belegschaft hatte sich dem Generalstreik angeschlossen und war irgendwo auf den Straßen Berlins unterwegs. Kappe überlegte. Margarete würde auf jeden Fall mit ihren Kollegen umherziehen. Das wird die Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen, dachte er. Er schlug sich zu Fuß in Richtung Mitte durch, immer in der Hoffnung, sie in einem der mit Transparenten gespickten Demonstrationszüge zu finden.

      Die Straßen waren voll, doch Margarete war nicht zu sehen. Immer wieder fragte Kappe, ob jemand die Wertheim-Belegschaft gesehen hätte. Niemand wusste etwas. Er kämpfte sich weiter durch die Streikenden. Plötzlich fand er sich an der Jannowitzbrücke wieder. Ein Jägerbataillon war auf der Brücke postiert. Die Luft vibrierte von Sprechchören. Die Angst der Demonstranten war fast greifbar - aber ebenso auch ihre Entschlossenheit. Und plötzlich fiel Kappe mit ein in den Chor: «Schluss mit dem Krieg!», brüllte er und erschrak gleichzeitig über sich selbst. Er sah einem der Soldaten in die Augen. Die Zeit schien stillzustehen. Kappe fühlte plötzlich, dass sein Schrei aus tiefster Überzeugung kam. Er hasste diese Zeit des Hinschlachtens. Er hasste den ständigen Hunger. Und er hasste, was mit Klara passiert war. Er hielt den Atem an. Er hoffte, dass nicht geschossen würde. Und dann, auf einmal, sah er Verständnis in den Augen des Soldaten. Wie auf ein Kommando bildete das Bataillon eine breite Gasse. Die Offiziere drehten der Menge den Rücken zu. Niemand schoss. Der Zug zog ungestört zwischen den Männern hindurch.

      «Die sind ja wirklich auf unserer Seite.» Die Frau neben ihm strahlte Kappe an.

      «Das will ich meinen, jetzt, wo sogar die Naumburger Jäger sich den revolutionären Soldaten angeschlossen haben», mischte sich ein Mann ein.

      «Der kaisertreue Haufen?» Die Frau konnte es nicht fassen.

      «Wenn ich’s doch sage!»

      «Hoffentlich bleibt das alles auch so.» Kappe drängte sich weiter. Er sah einen Photographen, der mitsamt seinem kiloschweren Apparat auf einen Baum geklettert war, um die Soldaten und die zwischen ihnen hindurchströmenden Menschen zu photographieren. Er schaute sich wieder und wieder nach Margarete um. Vergebens. Ein paar Straßenecken weiter wurden einem Zeitungsjungen die Zeitungen nur so aus der Hand gerissen, und Kappe blieb im allgemeinen Gedränge stecken. «Hast du die Leute von Wertheim gesehen?», fragte er ihn.

      «Meester, ick bin froh, wenn ick meene Zeitungen seh.» Kappe kaufte ihm eine Zeitung ab. Der Junge drückte ihm glücklich grinsend eine Extra-Ausgabe des Vorwärts in die Hand. Es lebe die soziale Republik, stand dort zu lesen. Da Kappe fast am Alex war, beschloss er, sich zu seinem Büro durchzuschlagen. Vielleicht gab es dort Informationen über die einzelnen Demonstrationszüge. Als er endlich am Polizeipräsidium ankam, war das rote Gebäude umlagert. Revolutionäre Soldaten und Zivilisten standen Schulter an Schulter. Die Stimmung war eisig. Die Soldaten hielten die Gewehre im Anschlag. Ihnen gegenüber, hinter den Fenstern, standen die Schutzpolizisten. Ihre Waffen waren auf die Soldaten gerichtet.

      Kappe versuchte, den burgförmigen Bau zu umrunden. Er drückte sich durch die Mauer aus Menschen, bis er zu einem Seiteneingang kam. Die Demonstranten trennte nur noch ein halber Meter von der Tür. In der Hoffnung, sich unauffällig hineinschlängeln zu können, drängte Kappe sich nach vorne. Er war fast an der Tür, da fühlte er einen Griff wie ein Schraubstock an seinem Oberarm. «Na, Bürschchen, du gehörst doch nicht etwa zu dem Adelsclub da drinnen?» Ein massiger Typ mit Boxernase hielt ihn fest. Bevor Kappe antworten konnte, klirrten Scheiben. Der Kampfruf «Nieder mit der Regierung!» brandete auf. Die Masse drängte nach vorne. Die Tür gab nach. Der Typ funkelte Kappe an. «Bist du vielleicht sogar einer von der Politischen?»

      Kappe sah den blanken Hass in den Augen des Mannes. Er überlegte nicht lange. «Los, stürm mit, wenn du einer von uns bist!» Er machte sich los und schob sich nach vorne.

      «Du jefällst ma.» Der Mann griff Kappe erneut und zog ihn hinter sich. «Lass mir ma machen. Bin ja viel jrößa.» Er stampfte vorwärts. Kappe hing an ihm wie ein Fisch an der Angel. Er wurde durch den Seiteneingang geschleift. Soldaten und Zivile, alle drängten durch die Tür. Die bewaffneten Schutzpolizisten, die den Eingang bewacht hatten, flohen. «Dit macht Laune, wa?» Der Boxernasige lachte. Kappe grinste gezwungen.

      Die Schutzleute stoben vor ihnen her. Die Revolutionäre verfolgten sie. Der Boxernasige hatte Kappe immer noch fürsorglich umklammert. Gemeinsam rannten sie hinter den Schutzpolizisten her durch die Gänge bis fast zum Vordereingang. Dort standen die anderen Schutzpolizisten mit erhobenen Händen. Jäger und Gejagte prallten mit ihnen zusammen. In dem Durcheinander gelang es Kappe, sich von dem Mann mit der Boxernase loszumachen. Er zog sich vorsichtig zurück. Kappe wusste, dass auf dem Flur eine Kammer war, in der der Hausmeister seine Utensilien aufbewahrte. Schritt für Schritt näherte er sich der schmalen Tür. Immer wieder kamen Männer den Gang entlang und trieben Schutzleute vor sich her. Endlich hatte er es geschafft. Er öffnete die Tür und schlüpfte hinein. Der Geruch von Bohnerwachs schlug ihm entgegen. Gerade als er die Tür zuziehen wollte, spürte er einen Blick auf sich. Böhlke, einer der Schutzmänner seiner Abteilung, den sie nur «Die Bulldogge» nannten, hatte ihn gesehen. Die Bulldogge ging mit erhobenen Händen vor einem Revolutionär her. Seine Pickelhaube saß schief auf dem Schädel, und sein Gesicht, das wie bei jedem Choleriker sowieso immer leicht rötlich angelaufen war, pulsierte in dunklem Rot. Ihre Augen trafen sich. Böhlkes Ausdruck war reglos, aber sein Blick sprach Bände.

      Kappe drückte die Tür zu. Bleierne Schwere überkam ihn.

      «Bitte nicht jetzt», dachte er noch, bevor die Bewusstlosigkeit über ihm zusammenschlug wie eine Welle aus Öl.

      Kappe kam inmitten von Eimern, Schrubbern und Lumpen zu sich. Das Erste, was ihm auffiel, war die unheimliche Stille im Haus. Er öffnete vorsichtig die Tür. Die Gänge waren leer. Kappe ging zu seinem Büro. Niemand war da. Er ging zum Telefon und wählte die Nummer des Kaufhauses Wertheim. Es klingelte endlos. Kappe fluchte und legte auf. Er sah gedankenverloren aus dem Fenster. Unten stand die gesamte Mannschaft der Schutzleute und wurde entwaffnet. Alles ging ruhig vor sich, nur ab und an pöbelte jemand herum. Eine Frau spuckte einen der Polizisten an. Die Männer, die die Polizisten entwaffneten, redeten beruhigend auf sie ein. Kappe wusste, dass die Schutzmänner als Büttel des Kaiserregimes verhasst waren. Es überraschte ihn, wie respektvoll die Revolutionäre mit ihnen umgingen. Er versuchte es noch mal mit dem Telefon. Wieder vergeblich. Er überlegte. Der Boxernasige und seine Bemerkung über die Politische Polizei kamen ihm in den Sinn. Die Spitzel der «Politischen» wussten sicher etwas. Kappe verwarf den Gedanken. Es war zu riskant, in der Abteilung zu fragen. Selbst wenn er äußerst geschickt vorging: Wenn die Revolution sich nicht durchsetzte, würde das Margaretes Fahrkarte ins Gefängnis bedeuten. Er musste wieder hinaus, sie suchen. Er riss die Bürotür auf. Vor ihm stand Galgenberg.

      «Kommissar Kappe, wie schön, Sie zu sehen! Ick bin sicher, Sie hatten wat Wichtijet zu tun, während wir unsere politische Integrität bewiesen haben.» Galgenberg schaute ihn aus zusammengekniffenen Augen an. Seitdem er aus dem Krieg zurückgekommen war und entdecken musste, dass Kappe an ihm vorbei Kommissar geworden war, hatte sich ihr Verhältnis merklich abgekühlt. Von dem fröhlichen Kollegen und Freund, der ihn oft mit seinen «Ein Satz mit …?»-Sprüchen gepiesackt hatte, war nicht mehr viel übriggeblieben. Besonders in den letzten drei Wochen schien Galgenbergs Laune noch weiter gesunken zu sein. Kappe hatte sich jedoch angesichts des ohnehin angespannten Verhältnisses nicht getraut, den Kollegen darauf anzusprechen.

      «Galgenberg, ich muss los.»

      «Freun Se sich, Herr Kommissar, gerade könnse ma Pause machen von Ihren unermüdlichen Bemühungen

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