Das Attentat auf die Berliner U-Bahn. Horst Bosetzky

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Das Attentat auf die Berliner U-Bahn - Horst Bosetzky

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Stadt breitete sich ein fürchterlicher Fäulnisgestank aus. Ratten huschten auch am Tage über die Straße. Die Spree, in der sich schließlich alles sammelte, war zu einer großen Kloake geworden, und das Grundwasser war so unrein, dass die Infektionskrankheiten ständig zunahmen und Seuchen wie Typhus und Cholera drohten.

      »Dass die Berliner selber nicht merken, was ihre Stadt für ein Drecknest ist«, sagte James.

      Arthur lachte. »Die sind so, dass sie einen von außerhalb brauchen, der die Dinge wieder in Ordnung bringt.«

      »Ja, dich.«

      »Nein, dich.«

      Schließlich waren sie beide es, die diese Aufgabe übernehmen sollten, der eine, Arthur, als Berliner Oberbürgermeister von 1872 bis 1878, der andere, James, als Stadtbaurat. Eine moderne Kanalisation für Berlin, das war eine Vision von ihm, eine funktionsgerechte und lebenswerte Stadt eine andere.

      Am 1. April 1845, als Zwanzigjähriger also, kam James Hobrecht nach Berlin. Die Primarreife hatte er geschafft und eine Feldmesserausbildung abgeschlossen, nun begann er an der Allgemeinen Baufachschule der Bauakademie sein Studium. 1849 legte er sein Examen als Bauführer ab und trat dem Architektenverein bei. So sehr hing er dann doch nicht an Berlin, dass er seinetwegen eine lukrative Stelle ausgeschlagen hätte, und so zog er nach Stettin, weil man an der Oder jemanden suchte, der eine großstädtische Stadtentwässerung aufbauen sollte. Von 1862 bis 1869 arbeitete er in Stettin und wurde dort zum königlichen Baurat ernannt.

      Auch in Berlin hatte man derweilen nicht geschlafen. Besonders Rudolf Virchow, 1821 in Pommern geboren, hatte die Leute aufgerüttelt. Hauptberuflich als Pathologe an der Charité tätig, war er sowohl Mitbegründer der liberalen Deutschen Fortschrittspartei als auch Mitglied der Berliner Stadtverordnetenversammlung und forderte ständig den Bau von Krankenhäusern für die unteren Stände sowie die Beseitigung der hygienischen Missstände bei der Abwasserentsorgung. Anhand der Erfahrungen, die man in der englischen Stadt Croydon gemacht hatte, wies er den Zusammenhang zwischen der Anzahl von Typhus-Toten und dem Grad der Kanalisierung nach.

      Seine Gedanken brachten den Baumeister Friedrich Eduard Salomon Wiebe dazu, dem Berliner Magistrat einen detaillierten Entwurf für die Planung eines Kanalisationsnetzes vorzulegen. Von Hause aus war Wiebe Mathematiker und Physiker und hatte sich beim Ausbau des Eisenbahnnetzes vom Rhein bis nach Ostpreußen einen Namen gemacht. Die größte Gefahr für die Gesundheit der Berliner sah er in den Abtrittsgruben, die selten und meist nur unzulänglich geleert wurden. Sie waren durch Wasserklosetts zu ersetzen, wie er sie auch in England und Frankreich kennengelernt hatte, und die Entsorgung der Fäkalien wie des Regenwassers sollte nicht mehr mittels der nach oben offenen Rinnsteine erfolgen, sondern durch Rohrleitungen und Kanäle tief unter der Straße. Unterhalb von Charlottenburg sollte dann das angesammelte Abwasser in die Spree abgeleitet werden.

      1860/​61 hatte Wiebe seine Pläne entwickelt, aber das Vorhaben sollte in den nächsten zehn Jahren nicht recht vorankommen, weil zum einen die Berliner nicht willens waren, für die Hausanschlüsse zu zahlen, und zum anderen Stimmen laut wurden, die meinten, dass es nicht anginge, die Spree zum Abwasserkanal zu machen. Viel klüger sei doch die Feldberieselung, also die Abwässer nach mechanischer Grobreinigung auf Felder weit außerhalb der Stadt zu pumpen. Dort konnten Sand und Pflanzen die Schmutz- und Dungstoffe herausfiltern und die im Erdreich befindlichen Mikroorganismen die Abwasser biologisch reinigen.

      Um die Sache voranzutreiben, beauftragten die Berliner Behörden James Hobrecht, der auf einem eigens dafür gepachteten Gelände Feldversuche zur Verrieselung anstellen sollte. Als diese zur Zufriedenheit des Magistrats verliefen, wurde James Hobrecht 1869 zum Chefingenieur der Berliner Kanalisation ernannt. Er übernahm Wiebes Ideen, wobei er jedoch die zentrale Einleitung der Abwässer in die Spree durch ihre Verbringung auf eine Reihe von Rieselfeldern ersetzte. In seinem Gutachten plädierte er für die Einrichtung mehrerer autarker Kanalnetze, sogenannter Radialsysteme. Zwölf dieser Systeme sollten, jeweils mit einem eigenen Pumpwerk versehen, über das Stadtgebiet verteilt installiert werden.

      Berlin stand ein gewaltiger Kraftakt bevor, und nach langen politischen Diskussionen bildete die Stadt Berlin 1873 eine Baukommission, deren Leitung Rudolf Virchow und James Hobrecht übertragen wurde. Im selben Jahr noch begann man, Hobrechts Pläne umzusetzen. Die Stadt Berlin kaufte die Güter Osdorf und Friederikenhof, um dort Rieselfelder anzulegen. Ende 1878 wurde das erste Radialsystem mit 2415 angeschlossenen Grundstücken und einer Fläche von rund 390 Hektar in Betrieb genommen, und bis 1881 sollte die gesamte Berliner Innenstadt mit knapp 10 000 Hausanschlüssen kanalisiert sein.

      Aber nicht nur die Berliner Kanalisation lag James Hobrecht am Herzen, sondern auch die sinnvolle Strukturierung der wild wuchernden Stadt und der ringsum liegenden selbständigen Gemeinden, deren Größe vom vergleichsweise riesigen Charlottenburg bis zum kleinsten Dörfchen reichte. Berlin war ein Flickenteppich. Fabriken wie die von August Borsig oder Louis Schwartzkopff wurden gegründet, aber es gab für sie keine richtige Infrastruktur. Sandwege, Stadtmauer und fehlende Bahnanschlüsse verhinderten eine weitere Expansion. Und wenn die Arbeitskräfte von den Feldern in die Werkhallen abwanderten, dann mussten sie einigermaßen menschenwürdig untergebracht und in die Lage versetzt werden, in annehmbarer Zeit ihren Arbeitsplatz zu erreichen. Straßen waren zu bauen, Bauordnungen mussten erlassen werden, und nach einem vernünftigen Gleichgewicht zwischen Wohnen, Gewerbe, Erholung und Verkehr war zu suchen. Dieses Werk sollte nun James Hobrecht in Angriff nehmen.

      »Ich will keine große, zentrale Stadt, bei der alles auf das Schloss ausgerichtet ist«, erklärte er seinem Bruder. »Mein Ziel sind einzelne Stadtteile, in denen sich ein Mensch heimisch fühlen kann. Kleine Straßen und Plätze sollen das Leben bestimmen, und ein Karree soll für einen Park freigehalten werden.«

      Arthur Hobrecht war nicht ganz so begeistert von dieser kleinteiligen Lösung. »Wie sollen wir da mit Paris konkurrieren können? Wo sind die Champs-Élysées?«

      »Magistralen brauchen wir auch, die den Verkehr aufnehmen, da muss ich dir recht geben. Die sollen dann durch breite, ringförmig angelegte Straßen miteinander verbunden werden.«

      »Und die Industrie?«, fragte der Bruder.

      James Hobrecht hatte da seine Vision. »Die großen Fabriken gehören vor die Stadt, sonst setze ich aber auf die Berliner Mischung.«

      Arthur lachte. »Hört sich nach Bonbons an.«

      »Gemeint ist: Keine Separation der einzelnen Lebensbereiche, sondern Arbeiten und Wohnen an einem Ort – und dies in einer echten Gemeinschaft.« James Hobrecht wollte mit seiner Idee die Klassengegensätze aufheben, zumindest aber die sozialen Spannungen mindern. »In der Mietskaserne gehen die Kinder aus den Kellerwohnungen über denselben Hausflur in die Freischule wie die Rats- oder Kaufmannskinder, die auf dem Weg ins Gymnasium sind. Schusters Wilhelm aus der Mansarde und die bettlägerige Frau Schulz im Hinterhaus, deren Tochter durch Nähen oder Putzarbeiten den notdürftigen Unterhalt besorgt, werden im ersten Stock bekannte Persönlichkeiten. Hier gibt es einen Teller Suppe zur Stärkung, da ein Kleidungsstück, dort die wirksame Hilfe zur Erlangung freien Unterrichts oder dergleichen und alles das, was sich als Resultat der gemütlichen Beziehungen zwischen den gleichgearteten – wenn auch noch so verschieden situierten – Bewohnern herausstellt, eine Hilfe, welche ihren veredelnden Einfluss auf den Geber ausübt. Und zwischen diesen extremen Gesellschaftsklassen bewegen sich die Ärmeren aus dem zweiten oder vierten Stock, Gesellschaftsklassen von höchster Bedeutung für unser Kulturleben, der Beamte, der Künstler, der Gelehrte, der Lehrer und so weiter, und wirken fördernd, anregend und somit für die Gesellschaft nützlich. Und wenn es nur ihr Dasein und stummes Beispiel für diejenigen wäre, die neben ihnen und mit ihnen untermischt wohnen.«

      Der Bruder lächelte. »Du mit deiner Sozialromantik.«

      »Nenne

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