Das Attentat auf die Berliner U-Bahn. Horst Bosetzky
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»Meister Halske, wir haben schon oft darüber gesprochen, dass wir gemeinsam eine Telegraphenfabrik aufmachen wollen. Ich muss aber erst für den Generalstab die Telegraphenlinien fertigstellen, ich bin kein Deserteur. Doch als stiller Teilhaber kann ich jetzt schon mitmachen. Mein Vetter, der Justizrat Siemens, will uns sechstausend Taler borgen. Schlagen Sie ein!«
Johann Georg Halske tat es, und am 12. Oktober 1847 gründeten die beiden die Telegraphen-Bauanstalt von Siemens & Halske. Das Gründungskapital bestand aus einem Darlehen von 6842 Talern, das Werner Siemens von seinem Vetter Johann Georg erhalten hatte. Der Firmensitz war Berlin, wo man in einem Hinterhaus in der Schöneberger Straße 19 eine Werkstatt für zehn Mitarbeiter angemietet hatte.
Der erste große Auftrag für Siemens & Halske kam 1848 von der preußischen Regierung, die so schnell wie möglich darüber informiert werden wollte, was in der Paulskirche von der Deutschen Nationalversammlung diskutiert und beschlossen wurde. In kürzester Zeit sollte eine Telegraphenlinie von Berlin nach Frankfurt/Main verlegt werden. Rund fünfhundert Kilometer mussten hierzu überbrückt werden, was zur einen Hälfte mit Kabeln, zur anderen mit Freileitungen geschah. Am 28. März 1849 konnte als erste wichtige Nachricht die Wahl des preußischen Königs Wilhelm IV. zum Kaiser übermittelt werden.
Der erste Rückschlag für Siemens & Halske kam schon bald, als nämlich im Sommer 1850 ein Amerikaner in Hamburg einen Telegraphenapparat vorführte, den der Kunstmaler Samuel Morse in den Vereinigten Staaten erfunden hatte. Dieser Schreibtelegraph benutzte einen Elektromagneten, mit dessen Hilfe Striche und Punkte in ein laufendes Papierband gestanzt wurden.
»Wir müssen einsehen, dass dieser Apparat unserem überlegen ist«, sagte Siemens. »Nur eignet er sich so, wie er ist, nicht für die praktische Ferntelegraphie, und unsere Chance besteht darin, ihn in dieser Hinsicht so zu verbessern, dass alle unseren Apparat kaufen wollen.«
Das gelang dann tatsächlich, und die Firma entwickelte sich prächtig, vor allem auch, weil man sich ausländische Märkte erschließen konnte. Für Russland baute man ein riesiges Telegraphennetz, man gründete eine Londoner Niederlassung und errichtete später ein eigenes Kabelwerk. Sogar durch das westliche Mittelmeer und durch das Rote Meer wurden Kabel verlegt. 1874 lief mit der Faraday das erste eigene Kabelschiff der Firma Siemens & Halske vom Stapel.
Eine wesentliche Ursache für das schnelle Aufblühen unserer Firmen sehe ich darin, sollte Siemens später in seinen Lebenserinnerungen schreiben, dass die Gegenstände unserer Fabrikation zum großen Teil auf eigenen Erfindungen beruhen … Andauernde Wirkung konnte das allerdings nur infolge des Rufes größter Zuverlässigkeit und Güte haben, dessen sich unsere Fabrikate in der ganzen Welt erfreuen.
Werner Siemens blieb rastlos. 1852 heiratete er seine erste Frau Mathilde, die ihm die Söhne Arnold und Wilhelm gebar. Für die Berliner Feuerwehr entwickelte er ein Feuermeldesystem auf der Grundlage der Telegraphie, er erfand den Doppel-T-Anker, formulierte das dynamoelektrische Prinzip und baute die erste Dynamomaschine. Bis 1878 sollte es dauern, bis deren Kinderkrankheiten überwunden waren, dann begann der Siegeszug des Starkstroms.
Während er auf dem Lehrter Bahnhof stand und wartete, konnte Werner Siemens seinen Blick keine Sekunde von den Dampflokomotiven abwenden, die ankamen und wegfuhren. Sie erinnerten ihn an vorzeitliche Drachen, die Rauch und Feuer spien. Zu dieser Assoziation passte auch, dass sie bei der Vulcan AG in Stettin gebaut worden waren.
Direkt vor ihm war eine Maschine mit Schlepptender zum Halten gekommen, eine 1B-gekuppelte Personenzuglokomotive. Die Petroleumlampen glänzten ganz harmlos, aber Siemens wich automatisch ein paar Schritte nach hinten, denn solch eine Dampflok war ja nichts anderes als ein Sprengkörper. Passte das Personal nicht auf oder versagten die Instrumente, explodierte der Kessel und riss alles in den Tod, was in seiner Nähe stand.
Es ärgerte ihn, was er da sah. Dieser Rauch, dieser Schmutz! Und überhaupt, wie konnte man mit einer Dampfmaschine auf Rädern durch die Landschaft fahren! Um wie viel sinnvoller und vor allem praktischer war es dagegen, die Energie stationär zu erzeugen, mit riesigen Dynamomaschinen in einem abgelegenen Kraftwerk, und sie dann in Form von elektrischem Strom mit Hilfe von Drähten sauber über weite Strecken zu transportieren. Eine moderne Lokomotive brauchte dann einen starken elektrischen Motor und Vorrichtungen, um sich den Strom aus den Schienen oder über der Strecke angebrachten Leitungen zuzuführen.
Im Prinzip war das alles ganz einfach, doch ihm war schon klar, dass es noch viele Jahre dauern würde, bis die elektrischen Züge wirklich fuhren und die dampfenden und feuerspeienden Ungetüme abgelöst wurden. Aber eines Tages würde ganz Europa von einem dichten Netz elektrischer Bahnen überzogen sein, und jede Stadt würde statt der Pferdebahnen elektrische Straßenbahnen haben. Nein. Schnell wurde er zum Bedenkenträger in eigener Sache, denn die Straßen würden überquellen von Motorkutschen. Vor drei Jahren hatte Nikolaus August Otto zusammen mit Eugen Langen den ersten brauchbaren Viertaktgasmotor gebaut, und man hörte, dass im Schwäbischen an schnell laufenden Benzinmotoren gewerkelt wurde. Und wenn dann die Straßen den Benzinkutschen gehörten, blieb für die elektrischen Bahnen kein Platz mehr – es sei denn, man ließ sie in einem Tunnel unter der Erde oder auf Stelzen hoch über der Fahrbahn verkehren. Das war kein Hirngespinst, denn in New York gab es solche Hochbahnen schon, wenn auch mit Dampfbahnen betrieben.
»Alles ist machbar«, murmelte Siemens. »Und am Ende des Jahrhunderts wird Berlin seine elektrische Schnellbahn haben – hoch über der Straße.«
Das Frühjahr 1879 brachte mit Gründung der Technikerhochschule und der Eröffnung der Gewerbeausstellung für Naturwissenschaften, Mathematik, Ingenieurwesen, Architektur und das Bauen eine bis dahin einzigartige Blütezeit. Man hatte die Bau- und die Gewerbeakademie zur Königlich Technischen Hochschule zusammengeschlossen und in einem Neubau in Charlottenburg untergebracht.
Auf dem Dreieck, das von der Straße Alt-Moabit, der Invalidenstraße und dem 1871 eröffneten Lehrter Bahnhof gebildet wurde, war die Gewerbeausstellung angesiedelt. Aus einer Sandwüste hatte man mit viel Geld und Arbeit einen hübschen Park gemacht, der mit seinen Wasserkünsten und den luftigen Pavillons die Berliner erfreute. Zwar sollte die Eröffnung der Stadtbahn noch einige Zeit auf sich warten lassen, aber ihre Viaduktbögen waren schon fertiggemauert, und die Gewölbe konnten genutzt werden. Die meisten von ihnen dienten als Ausstellungsräume, einige aber auch als Gaststätten.
Die Gewerbeausstellung sollte zwei Höhepunkte aufweisen, von denen der eine allerdings außerhalb des Ausstellungsareals zu bewundern war: die Installierung der ersten elektrischen Straßenlaternen. Friedrichstraße, Ecke Unter den Linden erstrahlten sie und waren um ein Vieles heller als die herkömmlichen Gaslaternen.
Die zweite Sensation war in Moabit selber zu bestaunen: die erste elektrische Schienenbahn der Welt, vorgeführt von der Firma Siemens & Halske. Die Zeitungen des Jahres 1879 schrieben, sie würde einer Grubenbahn gleichen. Hundert Jahre später hätte man einen anderen Vergleich herangezogen, nämlich den einer schmalspurigen Parkeisenbahn, wie sie überall in den Städten mit vornehmlich Kindern an Bord ihre Runden drehte. Der Fahrer thronte auf der kleinen zweirädrigen Elektrolok wie ein Turner nach einem verunglückten Sprung auf einem Bock oder Pferd. Auf den drei angehängten Wägelchen saßen auf Längsbänken je sechs Passagiere, und wer etwas längere Beine hatte, musste aufpassen, dass seine Füße nicht über den Erdboden schrammten. Mit drei Pferdestärken und einer Geschwindigkeit von sieben Stundenkilometern ging es dreihundert Meter im Kreise herum. Jede Runde kostete zwei Sechser. Jungen, denen das zu teuer war, hatten keine Mühe, nebenherzulaufen und den Zug zu überholen. Mehrere Wächter passten auf, dass die Besucher