Das Attentat auf die Berliner U-Bahn. Horst Bosetzky

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Das Attentat auf die Berliner U-Bahn - Horst Bosetzky

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verstehe ich nicht«, sagte Liesbeth Cammer. »Langsam mache ich mir wirklich Sorgen um ihn.«

      »Wenn doch das Telephonnetz schon fertig wäre!«, rief Franz. Er wusste von seinem Vater, dass man bei Siemens & Halske schon im letzten Jahr mit den technischen Versuchen begonnen hatte, aber derzeit hatten lediglich 48 Berliner einen Anschluss, und noch nicht einmal sie selber.

      Da fiel Anna Luise ein, dass der Vorgesetzte ihres Vaters schon einen Apparat zu Hause stehen hatte. »Herr Abendroth, der hat schon ein Telephon, der kann sich doch mal umhören, wo Vater steckt.«

      »Eine gute Idee.«

      Liesbeth Cammer und ihre Tochter machten sich zu Fuß auf den Weg zu Erich Abendroth, während Franz zu Hause blieb, um den Vater in Empfang zu nehmen, falls dieser doch noch innerhalb der nächsten halben Stunde eintreffen sollte.

      Doch Abendroth wusste auch nur, dass Cammer in der russischen Botschaft etwas wegen der Moskauer Firmenniederlassung klären sollte. »Und dann wollte er Feierabend machen. Aber vielleicht ist er Unter den Linden einem alten Freund begegnet, und die beiden sind noch einen kleinen Schoppen trinken gegangen. Machen Sie sich mal keine Sorgen, liebe Frau Cammer.«

      Max Fleischfresser war so hässlich, dass viele meinten, sie würden sich eine Hose über den Kopf ziehen, wenn sie so aussähen wie er, und auch die Kinder auf der Straße riefen »Arschgesicht kommt!«, wenn er an ihnen vorüberlief. Sogar seine Vorgesetzten sprachen davon, dass er eine »vermanschte Visage« hätte. Das war eine reine Gemeinheit der Natur, obwohl er allen weiszumachen suchte, sein Aussehen sei Folge einer Verletzung, die er im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/​71 davongetragen hatte, als bei der Schlacht von Orleáns dicht vor ihm eine Kartätsche eingeschlagen sei. Sein Name tat ein Übriges, um ihn unsympathisch erscheinen zu lassen, assoziierten doch viele mit ihm, dass er Kannibale sei. Von Jahr zu Jahr wurde er verbitterter und härter im Zupacken, so dass er von allen Berliner Kriminalschutzleuten am meisten gefürchtet war und bei den Ganoven als Bluthund galt. Dass er jemals ein Weib zum Heiraten finden würde, schien ausgeschlossen, und auch die Dirnen verlangten einen Aufpreis, wenn sie ihm die Beiwohnung gestatteten.

      Das Polizeipräsidium am Molkenmarkt war wahrlich kein Gebäude, das man errichtet hatte, um herzlich zu lachen. Wer aber das Zimmer betrat, in dem Fleischfresser seinen Dienst versah, konnte sich ein inniges Schmunzeln kaum verkneifen, denn der Mann, der ihm am Schreibtisch gegenübersaß, war ein ausgesprochener Gemütsathlet. Ferdinand Kublank, seit Ewigkeiten mit seiner Karoline glücklich verheiratet und Vater mehrerer Kinder, hielt es mit Fontane: Je älter ich werde, je mehr sehe ich ein: laufen lassen, wo nicht Amtspflicht das Gegenteil fordert, ist das allein Richtige. Wohlbeleibt war er und durch und durch ein echter Berliner.

      Man saß beim Frühstück, und Kublank fragte sich, ob er nicht schnell noch zum Friseur gehen solle.

      »Doch nicht im Dienst!«, rief Fleischfresser.

      »Warum denn nicht?«, fragte Kublank. »Die Haare wachsen doch auch im Dienst.«

      »Ich bitte Sie, wir haben Bereitschaft.«

      Kublank gab sich zerknirscht. »Entschuldigen Sie, det ick jeboren bin, et soll nich wieda vorkomm.« Damit griff er sich eine alte Ausgabe des Berliner Lokal-Anzeigers, die auf dem Aktenbock lag. »Aber auf den Abtritt darf ich doch gehen – ich meine, während der Dienstzeit?«

      »Ja, aber die Zeitung lassen Sie hier.«

      Kublank lachte. »Die will ick doch nich lesen, die brauche ick für hinterlistige Zwecke.«

      »Ja, eben darum!«, rief Fleischfresser und wurde noch um einiges dienstlicher. »Sehen Sie denn nicht, dass da Seine Majestät drauf abgebildet ist?«

      Kublank winkte ab. »Sie tun ja so, als würde ick uff ihn schießen wollen. Wie der Hödel. Nee, ick nich.« Damit riss er die Seite mit dem Photo Wilhelms I. aus der Zeitung, legte es Fleischfresser auf den Schreibtisch und entfernte sich mit den übrigen Seiten. »Ach ja: Rosen, Tulpen und Narzissen, / ​det janze Leben is een Traum. / ​Man müsste sich det Hemd zerreißen / ​und mitten in die Stube … scheint der Mond.«

      Fleischfresser begann, sein Frühstück auszupacken. Da er sich seine Brote immer selber schmierte und belegte, hielt sich seine Überraschung in Grenzen, als er seine Stullenbüchse öffnete. Landleberwurst. Was sonst? Er schnupperte daran. Gerade wollte er hineinbeißen, als plötzlich an die Tür geklopft wurde. Unwirsch rief er »Herein!«, nahm dann aber Haltung ein, denn es erschien nicht nur eine Dame, sondern auch der Herr Stellvertretende Polizeipräsident. »Bitte sehr, zu Diensten …«

      »Wir haben hier eine Frau Cammer, und die möchte eine Vermisstenanzeige aufgeben. Ihr Mann ist gestern Abend nicht nach Hause gekommen.«

      Fleischfresser hatte keine Scheu zu räsonieren. »Pardon, Herr von … aber wir hier sind für Mord und Totschlag zuständig und nicht für verschwundene Personen.«

      Daraufhin brach Liesbeth Cammer in Tränen aus, und der Stellvertretende Polizeipräsident flüsterte Fleischfresser ins Ohr, dass er ein Trampel sei.

      »Sie ziehen sofort los und suchen Cammer. Sonst …« Zum einen wollte er Siemens nicht verärgern, zum anderen hatte er zusammen mit Germanus Cammer viele Jahre in der »Äolsharfe« musiziert.

       1879

      Werner Siemens stand an einem bitterkalten Tag im Januar auf dem Stettiner Bahnhof und wartete auf den Generalpostmeister Heinrich Stephan, der von einer Reise nach Neustrelitz zurückkommen sollte. Man hatte sich verabredet, um noch einmal über ein Projekt zu reden, das beiden sehr am Herzen lag: die Gründung des Elektrotechnischen Vereins. Das Wort Elektrotechnik stammte von Siemens. Vieles ging ihm durch den Kopf.

      Am 18. Januar 1871 war der preußische König zum Deutschen Kaiser gekrönt worden, aber nicht in Berlin, der künftigen Hauptstadt des Reiches, sondern im Spiegelsaal des Versailler Schlosses. Erst am 21. März 1871 war Berlin ins Zentrum des Geschehens gerückt, als der neugewählte Deutsche Reichstag im Abgeordnetenhaus am Dönhoffplatz zu seiner ersten Sitzung zusammenkam. Ein eigenes Domizil sollte man erst 23 Jahre später bekommen, aber langsam erfüllte sich das Wort Fontanes Wo die Kraft ist, da entsteht von selbst ein Mittelpunkt. Die Spitzen der preußischen und der Reichsverwaltung sowie die Führungskräfte von Banken, Industrie und Handel konzentrierten sich an der Spree. Unzählige ausländische Diplomaten und die Gesandten aus den achtzehn deutschen Großherzog-, Herzog- und Fürstentümern sowie den drei Hansestädten und dem »Reichsland« Elsass-Lothringen gaben sich ein Stelldichein. Der Hof residierte in Berlin und Potsdam. Staats- und Regierungschefs kamen zu Besuchen nach Berlin, und der Berliner Kongress von 1878, bei dem sich Bismarck als »ehrlicher Makler« um den Frieden auf dem Balkan bemüht hatte, stellte dabei einen ersten Höhepunkt dar, und so war Berlin auf dem besten Wege, zur wichtigsten Bühne Europas zu werden.

      Die Hauptrolle in der Berliner Gesellschaft spielten die Aristokratie und das Militär mit der kaiserlich-königlichen Familie und der Hofgesellschaft. 1871 machte der Adel ein Prozent der Berliner Bevölkerung aus, während 57 Prozent der Arbeiterschaft und 42 Prozent dem Bürgertum zugerechnet wurden. Den größten Aufstieg erfuhr ein Bürgerlicher, wenn man ihn in den Adelsstand erhob, so wie es dem Historiker Leopold Ranke, dem Maler Adolph Menzel und dem Bankier Gerson Bleichröder widerfahren sollte. Irgendwann würde auch er, Werner Siemens, an der Reihe sein … Es war ein langer Weg bis zum »von« – und alles wie ein Traum.

      Werner Siemens war am 13. Dezember 1816 als viertes von vierzehn Kindern in Poggenhagen zu Lenthe bei Hannover auf die Welt gekommen,

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