Kreation Vollblut – das Rennpferd eroberte die Welt. Erhard Heckmann
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Fred Archer, der 1857 in Cheltenham geboren wurde, und dessen Siegzahl erst Englands 26-facher Champion-Jockey Sir Gordon Richards mit 4.870 Erfolgen (bei 21.834 Starts) in einer wesentlich längeren Karriere überbot, ritt seinen ersten Sieger 1870 und gewann zwei Jahre später das Cesarewich. Der Wendepunkt in seiner Karriere kam, als Lord Fallmouth seinen verstorbenen Stalljockey Tom French ersetzen musste, und die Wahl auf Archer fiel. Und dafür bedankte sich der junge Reiter in seiner ersten Saison für den Lord mit Siegen in den 1000, 2000 Guineas und Oaks, während es im Derby nur ein dritter Rang wurde. Zu den fünf Derbysiegen kamen sechs St. Legers, je vier Oaks und 2000 Guineas, als auch zwei Erfolge in den 1000 Guineas hinzu. Der für einen Jockey sehr große Reiter, der unbeugsamen Siegeswillen, hervorragendes Einfühlungsvermögen und ein starkes Finish gehabt haben soll, hat aber auch seinem Körper Unglaubliches zugemutet. Im Winter soll die Waage zehn bis elf Stones (63-70 Kilo) angezeigt haben, während zu seinem „Saison-Dinner“ berichtet wird, dass dieses in der Regel ein Wasserkeks und ein halbes Glas Champagner gewesen sei.
„The thin man“ Fred Archer
1883 heiratete der Jockey, dessen Vater ein bekannter Steeplechase-Jockey war, die Tochter seines Trainers, die jedoch schon ein Jahr nach der Geburt einer Tochter verstarb. Über diesen Verlust kam Archer nie hinweg, und als seine Gesundheit 1886 schwer angeschlagen war hat er, depressiv und von Fieber geplagt, sich selbst erschossen. Sir Gordon Richards hingegen, der im November 1986 diese Welt verließ, wurde 82 Jahre alt. Seine Siegzahl ist längst überboten – der Weltrekord steht bei mehr als 12.800 Erfolgen – denn seinem großen Landsmann Lester Piggott gelangen mindestens 5.191 Siege, die aus 4.349 britischen Erfolgen, 20 über Hürden und, minimal, 822 Auslandssiegen resultierten. Einen Rekord dürfte er aber noch halten, 12 ununterbrochene Siege. Der Start dafür war am 3. Oktober 1933, als er zu Nottingham das letzte Rennen des Tages beherrschte, am folgenden Tag zu Chepstow bei sechs Starts alle gewann. und, am nächsten Tag auf gleicher Bahn, in den ersten fünf Rennen den Sieger ritt.
Lord Fallmouth zog aber noch einige weitere gute Pferde, darunter die Derbysieger Silvio (1874; Blair Athol) und Harvester (1881; Sterling), als auch die Hengste Charibert (1876; Thormanby) und Galliard (1880; Galopin), die beide die 2000 Guineas an die Farben ihres Züchters hefteten. Und die 1875 geborene Lord Cliften-Tochter Jannette gewann die Oaks, das St. Ledger, war Zweite in den 1000 Guineas und setzte sich als Vierjährige im Jockey Club Cup durch. Am Ende standen 17 Siege 24 Starts gegenüber.
Mit Little Charley (1848; Charles The Twelfth) gewann Fred Archers Vater William die Grand National 1858 (Foto nach einem Gemälde von H. P. Woollett, 1883)
Silvio gewann als Zweijähriger zwar vier Rennen, hatte aber keine großen Gegner geschlagen, sodass er im Derby als 100:9-Chance antrat. Zu Tottenham Corner lag Silvio noch weit hinten im Feld, lieferte auf den letzten Metern unter Archer jedoch ein packendes Finish gegen Glen Arthur (Adventurer), der den Franzosen Dodge im Sattel hatte und gewann mit einer halben Länge. Knapp dahinter lief der Favorit Rob Roy (Blair Athol) auf Platz drei. Vierjährig siegte Silvio im Jockey Club Cup gegen den ein Jahr jüngeren französichen Derbysieger Insulaire, der im Epsom Derby nur Sefton (Speculum) unterlegen war und die Farben von Count Frederick De Lagrange trug. Fünfjährig blieb der Hengst sieglos, lieferte als Zweiter aber zwei hervorragende Rennen zu Ascot ab. In der Golden Vase gab er dem Sieger Isonomy sieben Pfund, und in den Hartwicke Stakes Chippendale achtzehn. Danach ging er in England ins Gestüt, richtete wenig aus und wurde drei Jahre später nach Frankreich exportiert. Dort war er wesentlich erfolgreicher und führte auch einmal die französichen Vererber an.
Das Derby 1884 hatte eigentlich schon am 2000 Guineas-Renntag 1983 zu Newmarket seine Schatten vorausgeworfen, als Prince Batthyany voller Hoffnungen war, Lord Falmouth Galliard siegen zu sehen, der seinen geliebten Galopin zum Vater hatte. Der Hengst gewann an jenem Tag auch, doch der alte Herr erlitt schon vorher auf den Stufen zum Jockey Club Luncheon Room einen Herzanfall und verstarb. Durch den Tod dieses Ungarn waren auch alle klassischen Nennungen seines St. Simon (1881; Galopin) erloschen, weil das die Paragraphen der englischen Rennordnung damals so bestimmten. Und somit wurde im Derby 1884 nicht dieser Schimmel gefeiert, der mit ziemlicher Sicherheit auch die „Dreifache“ gewonnen hätte, sondern St. Gatien (The Rover) und Lord Fallmouth Harvester, die im „Toten Rennen“ endeten, wie 1828 Cadland und The Colonell. Harvester, der insgesamt fünf von 13 Rennen gewann und am Ende des Jahres in Newmarket ins Gestüt ging, wurde kurz später für 850 Guineas nach Österreich verkauft. St. Gatien wurde im Laufe des Jahres immer besser und gewann insgesamt 16 von 19 Rennen, darunter Cesarewitch, Free Handicap, drei Jockey Club Cups; zwei Newmarket King’s Plate, Alexandra Plate, Ascot Gold Cup und, fünfjährig, die Rous Memorial Stakes zu Ascot. Nach kurzer Gestütszeit wurde er an Graditz verkauft. Von dort soll die Reise in die USA, dann zurück nach England gegangen sein, wo er erneut über den „großen Teich“ verschifft worden sein soll. Diesen Weg ging auch 1893 sein bester Sohn Meddler (1890), ein in drei Rennen ungeschlagener Zweijährigen-Champion in England. Ihn hatte ein ähnliches Schicksal getroffen wie St. Simon, denn auch sein Besitzer, George A. Baird, war verstorben und die klassischen Nennungen für Meddler hinfällig. In den USA wechselte er, nach dem Tod seines dortigen Eigners, auf der Auktion für 55.000 Dollar in den Besitz von William C. Whitney und stand 1904 und 1906 an der Spitze der amerikanischen Deckhengste.
Die 2000 Guineas-Sieger Charibert und Galliard haben beide ihren Lebensabend in Deutschland verbracht. Ersterer, der eine Birdcatcher-Enkelin zur Mutter hatte, war als Zweijähriger in den Champagne Stakes erfolgreich, heftete vierjährig die über 1.000 Meter führenden King’s Stands Stakes zu Ascot an seine Farben, als auch den Sieg in den July Stakes, in denen er sich 12 Monate später erneut durchsetzte. Insgesamt ergaben 37 Starts 10 Siege. Galliard, der 4 x 4 auf Voltaire und Birdcatcher ingezogen war, hatte eine Macaroni-Stute zur Mutter. Auf der Rennbahn gewann er sechs von acht Starts, darunter auch die in den Prince Of Wales- und St. Jame’s Palace Stakes. Zunächst wurde er nach Frankreich exportiert, und 1895 von dem weltweit bekannten jüdischen Berliner Bankier James Soloschin, der Immobilien in Berlin und Paris besaß, für seine Zucht in Alt Golm gekauft. Das in Brandenburg in der Nähe des Scharmützelsees gelegene 670 Hektar große Anwesen – Alt Golm gehört heute zur Gemeinde Rietz-Neuendorf – hatte er 1895 von dem Berliner Druckereibesitzer Georg W. Büxenstein erworben, die Gebäude ausgebaut, erweitert und das heute nicht mehr existierende „Schloss“ zum Familien-Landsitz mit Pferdezucht erkoren. Der Geschäftsgedanke zur Zucht lag mit der damals zu Fürstenwalde und Beeskow beheimateten Kavallerie, die später auch „Hindernis-Rennen“ organisierte, nahe, doch brachte Soloschin Leben in das kleine Dorf, baute auch eine Schule und galt als geachteter Gutsherr.
Zu dem genannten Galopin-Sohn Galliard war als Deckhengst zu Alt Golm nichts zu erfahren, doch zeigt eine Zeichnung von Karl Volkers, die in den 1890er Jahren entstand, und die mir freundlicherweise der Regionalhistoriker Hans-Werner Hintze mit einigen weiteren Informationen zur Verfügung stellte, dass damals Fohlen von dem Franzosen Chamant (1874; Mortemer) und St. Gatien (1881; The Rover) auf Soloschins Koppeln standen. Die Mutter des Chamant-Fohlens, Harzrose (1867) stammte von dem Buccaneer-Hengst und Union-Sieger Filibuster (1867), den Graf Johann Renard gezogen hatte. Der Hengst deckte auf dessen Gestüt Olschowa, dass wahrscheinlich auch Schlesisches Warmblut züchtete, doch wird zu Filibuster auch vermerkt, das er 1884, 1888 und ein Jahr später Championbeschäler war. Chamant, der in Frankreich aus einer importierten Engländerin gezogen wurde und in England lief, kam 1878 nach Deutschland und startete zunächst in Beberbeck (in der Nähe von Hofgeißmar), das damals zu den fünf preußischen Hauptgestüten Graditz, Trakhenen, Neustadt/Dosse