Schule aus, Neuseeland ruft 2.. Philip Raillon

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Schule aus, Neuseeland ruft 2. - Philip Raillon

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die begehrten „Hüttenpässe“ zu bekommen. Schon Wochen vorher sind normalerweise alle vergriffen und man kann nur mit Glück noch einzelne Tickets bekommen. Im Winter lässt sich die Route einfacher begehen – allerdings nur, was die Belegung angeht: Ansonsten ist es ausgesprochen gefährlich, im Winter den Track zu wandern. Schnee, enorme Lawinengefahr, schnelle Wetterumschwünge und nur wenige Wanderer.

      Kommerzielle Wanderführer bieten ihre Touren auch aus diesem Grund üblicherweise nur im Sommer an. Für knapp 2000 Dollar (pro Person) werden bei diesen Touren Naturerlebnis mit Luxus-Feeling verbunden. Die Unternehmen nehmen einem die Last von den Schultern, anstelle von rustikalen Hütten warten komfortable Lodges am Wegesrand und statt trockenen Nudeln oder Haferschleim gibt es ein aufwendiges Abendessen. Inwiefern der gesamte Track mit diesem Rundum-sorglos-Paket noch das ist, was er eigentlich darstellt, bleibt jedem selbst überlassen.

      Der Track schlängelt sich durch Fiordland

      Tierähnliches Holz

      Also nehmen wir die Straße nach Milford in Angriff und stoppen schon bald für unseren ersten Gang am Lake Mistletoe. Ich mache es an diesem Tag Maria mal wieder nicht einfach, bin mit der Reiseplanung der nächsten Tage unzufrieden. Immerhin finden wir bei der Wanderung im moosigen Wald nicht nur einen Baum, der wie ein Einhorn aussieht, sondern Maria entdeckt auch eine freilebende Stabheuschrecke. Es gibt zwischen Te Anau und dem Milford Sound knapp zehn DOC-Campingplätze, die alle mit sechs Dollar pro Person erschwinglich sind – und dies wird noch nicht einmal immer kontrolliert. Wir entscheiden uns für die erste Nacht in den Tiefen Fiordlands für einen Campingplatz direkt am Fluss. Sofort wollen wir das Gewässer erkunden und laufen entlang des Ufer zum Informationsbrett. Auf dem Rückweg versinke ich im Morast: Mein Wanderschuh ist voller Wasser. Auf Sonne zum Trocknen kann ich heute vergeblich warten – es ist bewölkt, und die Dämmerung setzt sowieso schon eine Stunde später, gegen sechs, ein. Die Idee, ein romantisches Lagerfeuer zu entfachen, scheitert am durchnässten Holz. Der Schuh muss also über Nacht irgendwie anders trocken werden.

      Holzähnliches Tier

      Kaum haben wir es uns in unseren Campingstühlen bequem gemacht, müssen wir in den Van flüchten: Schon vorher hatten wir an anderen Stellen auf der Südinsel Bekanntschaft mit den sogenannten Sandflies gemacht. Kleine, fruchtfliegenartige Geschöpfe, die es überall gibt, wo keine Meeresbrandung in der Nähe ist. Besonders gern haben sie aber feuchte Gebiete, weswegen Fiordland ideal für sie ist. Sandflies beißen unangenehm in die Haut, um an Blut zu kommen. Während dies normalerweise nur einen Juckreiz von wenigen Minuten auslöst, hat unser Körper aber zwei Schwachstellen, die auch die Fliegen kennen, wie wir an diesem Abend feststellen müssen. An Knöcheln und Handgelenken, wo kaum Fett vorhanden ist, schwillt die Haut an und es juckt höllisch. Frustriert warten wir im Van, bis die Sonne untergeht und so die Sandflies verschwinden. Kaum sind diese auch tatsächlich weg, beginnt es aber zu regnen. Kochen unter freiem Himmel klappt heute nicht mehr. Wir stellen die Töpfe zum ersten Mal im Wagen auf die Gasflammen. Mit bangen Blicken verfolgen wir, wie der Wasserdampf vom Reiswasser in die Klimaanlage und die Innenverkleidung zieht, kochen wir auf engem Raum – aber es funktioniert.

      Am nächsten Morgen scheint zwar die Sonne und mein Schuh ist wieder trocken, aber es ist klar, dass längere Wanderungen an den Sandfly-Bissen an Marias Knöcheln scheitern werden. Rot und dick angeschwollen ist die dünne Haut an den Gelenken. Wir wollen es dennoch versuchen und machen den Summit Key-Weg. Der Pfad durch Regenwald voller Moos ist auch das Ende des dreitägigen Routeburn Track. Für die angeschlagenen drei Stunden bergauf, vorbei an Wasserfällen und unter umgekippten Bäumen hindurch, brauchen wir nur zwei Stunden. Oben angekommen, erfüllt sich nicht unsere Hoffnung, dass wir durch die Wolken kommen und den einmaligen Ausblick genießen können. Stattdessen peitscht uns der Wind ins Gesicht und wir blicken in den Nebel. Alles ist nass, teils hat das Department of Conservation, das die unzähligen Wanderwege in bestem Zustand hält, Holzstege in den Sumpf gebaut. Die Wolkenmasse ist dicht. Nur für einen Moment reißt das wabernde Weiß um uns herum doch noch auf und wir erhaschen kurz die Aussicht auf die hohen, weißen Gipfel uns gegenüber. Warten auf bessere Sicht erscheint zwecklos. Doch kaum steigen wir wieder hinab, zeigt sich die Sonne. Was sich uns jetzt für ein Blick geboten hätte, ist nur Spekulation, aber ich will es eigentlich auch gar nicht wissen …

      … und dann rissen die Wolken doch noch auf.

      Entlang der Straße zum Milford Sound schauen wir uns noch den Mirror Lake an, der im Vergleich zu anderen Seen mit Spiegeleffekt wohl nur den Vorteil hat, dass hier deutlich mehr Touristen vorbeikommen. Genau genommen halten endlos viele Wohnmobile, Mietwagen und Reisebusse an. Außerdem gehen wir noch zu den Marian Falls, welche kein Wasserfall im eigentlichen Sinne, sondern mehr ein extremer Wildwasserbach sind. Da Marias Knöchel keine weiteren Wanderungen mehr erlauben, fahren wir weiter, um uns am Sound den Sonnenuntergang anzugucken. Kahle Felswände, herabstürzendes Wasser und immer wieder Zonen mit absolutem Halteverbot wegen Steinschlaggefahr. So stellt sich die Straße auf den letzten dreißig Kilometern dar. Der Höhepunkt dieser Strecke ist ein steiler und langer Tunnel – sowohl geografisch als auch vom Erlebnisgehalt. Der Homer Tunnel hat nur eine Fahrspur. Fünfzehn Minuten muss man daher warten, bis die Ampel auf grün springt. Direkt nach dem Tunnel fängt es nicht nur wieder an zu regnen, sondern es geht auch weiter bergab. Kurve um Kurve schlängelt sich die Straße den Berg hinunter. Die Felswände rechts und links sind überzogen von dünnen, weißen Fäden: alles kleine Wasserfälle. Teils war die Straße erst vor Kurzem verschüttet gewesen – erkennbar an den noch am Rand liegenden großen Felsbrocken. Endlich erreichen wir Milford Sound. Doch wer hier wie wir ein kleines, nettes Dörfchen erwartet, wird enttäuscht: Außer ein Paar Ferienhäusern, zwei Lodges, einem Souvenirshop und dem Hafen bietet der Ort nur Parkplätze und eben diese atemberaubende Szenerie.

      Wunderschön! Wäre da nur nicht der Massentourismus …

      Zufällig steigt Paul, der Austauschschüler aus Christchurch, aus dem letzten Reisebus des Tages. Was für eine Überraschung! Er macht als Schulausflug eine Tour über Nacht und freut sich ebenfalls, uns zu sehen. Wir schauen noch dem Boot hinterher, das im Fjord im Regen verschwindet und der Dunkelheit entgegen schwimmt. Dass es in Milford regnet, ist bei über durchschnittlich 182 Regentagen im Jahr keine Besonderheit. Dennoch hoffen wir auf gutes Wetter am kommenden Tag, als wir zu einer der beiden Lodges fahren und uns dort eine Parkbucht für die Nacht mieten. Draußen schüttet es wie aus Kübeln. Wir sind froh, im warmen und gemütlichen Aufenthaltsbereich der Lodge zu sitzen. Neben zwei deutschen Mädchen (eines ist Hanna, die wir später noch wiedertreffen werden) lernen wir noch einen Franzosen kennen, der auch einen Toyota Hiace von 1988 hat. Seiner hat zwar nicht all die technischen Spielereien, die unser Eddie hat (Einparkhilfe, elektrische Spiegel, elektrische Schiebedächer, digitaler Tacho, …), dafür aber dieselben Fehler: Bei beiden Wagen kann man während der Fahrt den Schlüssel problemlos abziehen, die Schiebetür hakt immer wieder, und außerdem müsse er seine Scheibe immer mit der Hand hochschieben, erzählt er lachend. Nach einem lustigen Abend und einer heißen Dusche rennen wir alle in unsere Vans. „Warum ist es hier nass?“, kommt es mir nachts um drei im Traum. Irgendwas tropft mir auf die Stirn, ich wache auf. Mein gesamtes Kopfkissen ist feucht – irgendwie war Wasser in den Wagen gekommen. Der Vorhang war in der Heckklappe eingeklemmt worden und hatte so Wasser hinein gelassen. Ich muss also in den Regen und die Tür auf- und zumachen. Nach einer Minute sitze ich wieder im Wagen. Pitschepatsche nass. Der Regen hämmert auf das Blechdach. Und morgen soll die Sonne scheinen?

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