GegenStandpunkt 4-16. Группа авторов

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу GegenStandpunkt 4-16 - Группа авторов страница 9

GegenStandpunkt 4-16 - Группа авторов

Скачать книгу

verstoßen. Das Land habe sich durch unerlaubte Steuervergünstigungen gegen EU-Beihilfevorschriften vergangen. Tax Rulings, verbindliche Vorabsprachen nationaler Steuerbehörden mit einzelnen Unternehmen, sind zwar nicht prinzipiell verboten, aber im Falle der Einigung, welche der Fiskus in Irland mit Apple getroffen hat, liegt laut EU-Kommission ein Vergehen vor. Die Reaktion aus Irland folgt prompt: Manch ein Parlamentarier ist von der riesigen Summe beeindruckt, die Apple laut Kommission dem irischen Staat zu zahlen hätte, und denkt laut darüber nach, was die Regierung damit alles leisten könnte. Die Regierungslinie ist jedoch eine andere: Der Staat will das Geld nicht und macht den Streit zu einem Fall des Europäischen Gerichtshofs. Der Schaden, sollte Apple, abgeschreckt durch die neuen Steuerpflichten, seine Geschäfte teilweise oder ganz aus Irland abziehen, wiege schwerer als die Einbuße an Steuergeldern, seien sie auch noch so hoch – so die amtliche Stellungnahme, die noch einmal Auskunft darüber gibt, wie der irische Staat in der internationalen Konkurrenz national rechnet:

      „Für den irischen Finanzminister Michael Noonan ist Apple genau das: Ein wertvolles Lebensmittel, das keimen soll, damit irgendwann noch schönere und größere Kartoffeln aus ihm wachsen, die nur darauf warten, geerntet zu werden. Für den irischen Finanzminister ist Apple also eine Art ‚Saatkartoffel‘: Das Unternehmen bringt Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum. Dafür muss man pfleglich mit ihm umgehen, darf es nicht schröpfen. Man vernichtet nicht die Kartoffel, die einen nährt. … Bloß 12,5 Prozent vom Gewinn müssen Unternehmen an Irland zahlen, nur die Schweiz und Bulgarien sind günstiger. Das hat nicht nur Apple angezogen, das wertvollste Unternehmen der Welt, sondern auch Google und Facebook. Mehr als 700 amerikanische Unternehmen mit mehr als 140 000 Angestellten haben sich in Irland niedergelassen. Apple beschäftigt dort rund 6000 Leute.“ (faz.de, 4.9.)

      Wenn die EU-Kommission nun gegen einseitige Tax Rulings vorgeht, ist also nichts Geringeres in Frage gestellt als das Konstruktionsprinzip der ökonomischen Staatsräson Irlands.

      Dieser Angriff ist zwar nicht neu. Vom Standpunkt eines gesamteuropäischen Wachstums zum Nutzen aller Partner kritisieren die EU-Kommission und der EcoFin-Rat seit jeher den Wettbewerb mit Steuervorteilen, mit denen die Mitglieder um ihren nationalen Nutzen aus dem gemeinsamen Markt konkurrieren. Aus ihrer Perspektive ist die Gewährung von Steuervorteilen durch einzelne Mitglieder eine unfaire Wettbewerbspraxis, die der europäischen Staatengemeinschaft unnötige Einnahmeeinbußen beschert. Von daher und angesichts der europäischen Krisenlage dringt die Kommission jetzt im Fall Irland auf Konsequenzen: Irland mag sich durch sein Steuermodell einen Vorteil ausrechnen, mit seinem nationalen Egoismus untergräbt es aber den Zugriff Europas auf Erträge des Binnenmarktgeschäfts, von dem letztlich alle europäischen Staaten nachhaltiger profitieren würden und die sie jetzt angesichts der schlechten europäischen Bilanzen dringlich brauchen – so auch Irland selbst, das sich aus lauter Eigennutz glatt 13 Mrd. Euro durch die Lappen gehen lässt.

      Für die europäischen Staaten ist das Ansinnen der Kommission, für die nachhaltige Prosperität Europas nationale Steuerpraktiken infrage zu stellen, unmittelbar eine Affäre ihrer Konkurrenz. Auch die Partnerstaaten werfen der irischen Regierung bereits seit Jahren mangelnde Fairness vor, und auch von ihrer Seite wird der Ton in letzter Zeit harscher: Seit der Krise des irischen Immobilien- und Finanzsektors ab 2007 und spätestens seit der Abwendung des drohenden irischen Banken- und Staatsbankrotts durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus 2010 gilt Irlands Steuermodell als unzumutbares ‚Steuerdumping‘. Der Vorwurf der unfairen Standortkonkurrenz, den die führenden Euro-Staaten nicht nur gegen Irland erheben, und ihre Intention, Irland sowie die Niederlande, Luxemburg und andere zur Aufgabe ihrer Wettbewerbspraxis zu bewegen, zeugt davon, dass die europäischen Partner diese Steuermodelle vom Standpunkt ihres je nationalen Standorts als einen Schaden betrachten, den sie nicht mehr hinnehmen wollen. Das hat einen handfesten Grund: Die Konkurrenz der Mitglieder innerhalb der EU steht seit der Finanz- und Staatsschuldenkrise Europas, den negativen Wachstumsraten und der immens steigenden Staatsverschuldung tatsächlich unter dem negativen Vorzeichen zu gewärtigender Schäden für die nationalen Kapitalstandorte und die staatliche Verschuldungsfähigkeit. Konkurriert wird nicht mehr um eine möglichst ertragreiche Teilhabe an einem allgemeinen Wachstum, sondern um die Attraktion dessen, was an Geschäften (überhaupt) noch stattfindet, also die Abwälzung der mit der Krise feststehenden ökonomischen Schäden auf die europäischen Partner.

      Umso entschlossener wird auch im Fall des ‚Steuerdumpings‘ ein Machtkampf um die rechtlichen Bedingungen des von Europa geregelten Binnenmarkts geführt. Auf der Ebene des europäischen Rechts bemühen sich die EU-Kommission und der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister um eine ‚Steuerharmonisierung‘: Die Kommission verfolgt dabei das weiterreichende Ideal, die steuerrechtliche Standortkonkurrenz zwischen den Mitgliedstaaten dadurch zu beseitigen, dass die bis dato nationale einer europäischen Zuständigkeit in Sachen Steuerrecht überantwortet wird. Am Fall Apple führt sie einen exemplarischen Kampf um die Souveränität der Steuererhebung. Indem sie unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbskontrolle einen unerlaubten Umgang mit EU-Beihilfevorschriften anklagt, greift sie in die bisher national gehandhabte Steuerhoheit ein. Praktisch vorangetrieben wird so die Durchsetzung eines europäischen Steuerregimes, dem sich Irland, aber im Prinzip alle europäischen Staaten unterordnen sollen. Damit rührt die EU-Kommission an den prinzipiellen Widerspruch zwischen der souveränen Verfügung über das nationale Steuerwesen – immerhin ein wesentliches Moment der staatlichen Organisation von Herrschaftsmitteln – und dem europäischen Supranationalismus.

      Noch vor offizieller Verkündung des Urteils durch die EU-Kommission meldet sich das US-Finanzministerium mit drastischen Anschuldigungen zu Wort:

      „Auf 25 Seiten nimmt das US-Finanzministerium die Steuerermittlungen der EU-Kommission gegen amerikanische Konzerne auseinander. Auch wenn manche Argumente nicht gerade neu sind, die Schärfe der Worte ist es allemal: Das Papier aus Washington wirft den Wettbewerbshütern in Brüssel vor, sich wie eine ‚supranationale Steuerbehörde‘ aufzuspielen, die internationale Vereinbarungen zur Bekämpfung von Steuerflucht gefährde. Das US-Ministerium prüfe ‚eventuelle Antworten, wenn die Kommission an ihrem aktuellen Kurs festhält‘. Konkreter wird es nicht. Und doch klingt es wie eine Drohung – so ist es auch gemeint. … Immerhin gibt das US-Finanzministerium offen zu, dass die Kritik an der EU-Kommission nicht ganz uneigennützig ist. Die Nachzahlungen könnten nämlich im Falle einer erwogenen Steuerreform die Steuerlast der Unternehmen in den USA entsprechend verringern, heißt es in dem Papier… In Washington ist man überzeugt, dass auch diese Aktion aus Brüssel [die Untersuchung gegen Amazon und Google] ein klares Ziel verfolgt: die ökonomische Macht der USA mit politischen Entscheidungen zu schwächen.“ (sz.de, 25.8.) „Lew droht der EU mit Vergeltungsmaßnahmen.“ (welt.de, 30.8.)

      Die USA beziehen das Dreiecksverhältnis zwischen der EU-Kommission, Irland und Apple also auf sich als das eigentliche von der EU angegriffene Ziel. Sie erklären den Fall zu einem Verstoß gegen ihr gutes Recht, was den Zugriff auf ‚eigene‘ Steuerquellen betrifft, aber nicht nur das. Die Steuermilliarden, die dem amerikanischen Staat durch die Lappen gehen, stehen ersichtlich für ein weiterreichendes Vergehen: Die Kommissionsentscheidungen werden als Angriff auf den berechtigten Erfolg amerikanischer Kapitale und als absichtsvoller Versuch der EU gewertet, die USA ökonomisch zu schädigen, womit Washington den Steuerstreit in den Rang eines prinzipielleren Anschlags erhebt. Wenn amerikanische Regierungsvertreter der EU-Kommission Kompetenzüberschreitung vorwerfen und deren Vorgehen gegen ‚Steuerdumping‘ im Fall Apple und in weiteren Fällen, in denen die Kommission Wettbewerbsverzerrungen nicht nur bei amerikanischen Unternehmen untersucht, nicht als einen Beitrag zum gemeinsamen Kampf gegen weltweite Steuervermeidung begrüßen, sondern umgekehrt als Unterwanderung dieser gemeinsamen Verantwortung geißeln, geben sie ihren eigenen, über ihre nationalen Grenzen hinausreichenden Zuständigkeitsanspruch zu Protokoll: Sie und nicht die EU haben zu entscheiden, was Steueroptimierung, was Steuerhinterziehung ist, welches Steuerrecht deswegen in Ordnung geht und welches als unfaire Wettbewerbsverzerrung bekämpft gehört. Damit ist klargestellt,

Скачать книгу