GegenStandpunkt 4-16. Группа авторов

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Kraftzentrum an, von dem die Adressaten so komplett abhängig sind, dass Europa alle Freiheit genießt, sie ganz nach eigenem Kalkül an sich zu binden. Es präsentiert seine Bedingungen in Gestalt des ‚acquis communautaire‘ als fix und fertiges Paket, bei dem es nichts zu rütteln, gar aufzuschnüren, sondern nur das eine zu tun gibt: die ‚Reformen‘ Punkt für Punkt umsetzen, die in diesem Fall viel mehr als ‚Wettbewerbsfähigkeit‘, nämlich die Anpassung der gesamten ökonomischen und politischen Verfassung an den europäischen Rechtskatalog verlangen. Die Fortsetzung dieses Tests auf die Fähigkeit Europas, seine ökonomische Wucht, die Größe und Tiefe seines Markts für seine strategische Expansion einzusetzen, gerät dann zu einer mehrstufigen Demonstration des deutschen Willens, mehr weltpolitische Verantwortung zu übernehmen. Es testet nicht nur die Grenzen seiner zivilen, ökonomischen Erpressungsmacht aus, es zeigt auch seine Bereitschaft, über sie hinauszugehen. Das geht mit der finanziellen und diplomatischen Unterstützung eines regelrechten Putsches in Kiew erst los.

      Wenn Russland auf eine entschieden antirussische ukrainische Übergangsregierung eine halbherzig verdeckte militärische Antwort gibt, um seine Kontrolle über die Ukraine wenigstens teilweise zu erhalten, dann lässt sich Deutschland von dem militärischen Auftritt der zweitgrößten Atommacht der Welt weder einschüchtern noch abschrecken. Es denkt auch keine Sekunde lang daran, bei Russland bloß ein geschädigtes Interesse anzumelden. Sich derart zu erniedrigen, dass man den Russen als eine ebenbürtige, bloß mit eigenen Interessen ausgestattete Partei entgegentritt, fällt einer europäischen Führungsmacht im Traum nicht ein. Deutsche Verantwortungsträger stellen sich von vornherein mindestens eine Etage über ihr Gegenüber – als Beschützer eines Regelwerks, das für alle interessierten Parteien gilt. Die Kanzlerin sagt es gerne und immer wieder: Ihr Land tritt nicht für das Recht des Stärkeren, sondern für die Stärke des Rechts ein. So, mit aller gebotenen Bescheidenheit, tritt sie an Russland heran – eine Macht, die, wie dies alle Mächte tun, beansprucht, Recht zu setzen – und verlangt von ihm, dem Recht zu gehorchen, das Deutschland definiert. Deutschland lebt nicht nur in einer europäischen Nachkriegs- und Friedensordnung, die mit seiner Kriegsniederlage ihren Ausgangspunkt nimmt, sondern pflegt das Bewusstsein, diese Ordnung zu hüten, womit auch die Atommacht Russland in seinen Verantwortungsbereich fällt.

      Von dieser hohen Warte aus nimmt Deutschland seine ökonomischen Beziehungen zu Russland ins Visier – und weiß sofort, was es gegen seinen Gegner in der Hand hat, wenn die eigenen Kapitalisten mit ihm umfangreiche Geschäfte machen. Damit erschließt es sich nicht nur russische Reichtumsquellen für die eigenen Geschäftemacher, sondern wirkt durch deren punktuelle Aussetzung auf die Brechung des widerspenstigen russischen Staatswillens hin. Auch hier, bei der zerstörerischen Anwendung seiner ökonomischen Macht, wird Deutschland seinem Anspruch gerecht, stets für ganz Europa Verantwortung zu übernehmen, auch in Auseinandersetzungen der kriegsträchtigeren Art pflegt es die Kunst der außenpolitischen Bevormundung. Die einen Europäer mögen kein Interesse an der Aussetzung ihres gedeihlichen wirtschaftlichen Verkehrs mit Russland haben, die anderen mögen es gar nicht bei Sanktionen belassen wollen – für Deutschland ist klar: Ganz Europa muss gegenüber Russland ‚mit einer Stimme sprechen‘, also den Chor für deutsche Forderungen stellen. Die einen werden daran erinnert, dass sie mit Russland zwar viele und ziemlich entscheidende ökonomische Beziehungen pflegen mögen, aber auch Teil einer Wertegemeinschaft mit Deutschland sind, das deswegen bestimmt, auf welcher politischen, gewaltbewehrten Grundlage ihre friedlichen Geschäfte zu laufen haben: ‚Die Zeit der Einflusszonen ist endgültig vorbei‘ – was so viel heißt, dass der europäische Kontinent die Einflusszone der Europäer ist und damit voll und ganz in die exklusive Zuständigkeit der EU fällt. Solange Russland das nicht akzeptiert, verbietet es sich, ihm von gleich zu gleich als Geschäftspartner gegenüberzutreten. Den anderen, vornehmlich baltischen Partnern wird versichert, dass sie nicht primär in der amerikanischen NATO-Führungsmacht, sondern in den europäischen NATO-Partnern unter Führung von Deutschland ihre verlässliche Schutzmacht haben. Weil das so ist, kann Deutschland ihnen auch mit Fug und Recht vorschreiben, wie weit ihr Sicherheitsbedarf wirklich reicht, wann und womit er als befriedigt gelten muss und ab wann alle weitergehenden Forderungen nach militärischer Zurückweisung Russlands eine Gefahr für den Frieden sind.

      Wenn Russland und die USA ihren Konflikt in der Ukraine eskalieren, dann lässt sich Deutschland das Ganze jedenfalls nicht über den Kopf wachsen. Es demonstriert mit eigenen Truppen im Rahmen der NATO-‚Vorne-Stationierung‘ seine Fähigkeit und Bereitschaft zu genau der militärischen Konfrontation, die es für ‚unvorstellbar‘ erklärt, und startet zugleich eine diplomatische Vermittlungsoffensive, die von einer sehr reifen Art der Verantwortung zeugt: Es stellt sich zwischen und über verfeindete Mächte in einem Konflikt, in dem es selber als Partei knietief drinsteckt. Es stellt sich als militärische ‚Speerspitze‘ des Westens im Osten auf und warnt zugleich vor ‚Säbelrasseln‘, wenn die amerikanische Führungsmacht des Westens nicht nach deutschen Vorstellungen vorgeht. Es betont die Notwendigkeit militärischer Abschreckung gegenüber Russland und plädiert dann mit aller Selbstverständlichkeit und Friedfertigkeit für mehr Rüstungskontrolle unter Supermächten.

      Keine Frage, Deutschland ist in Sachen Krieg und Frieden außerordentlich verantwortungsbewusst.

      Die Sicherheit, mit der Deutschland gegenüber anderen Staatsgewalten auch des größten Kalibers dermaßen großkotzig, im Namen aller Tugenden des Rechts und des Friedens auftritt, verdankt sich – wie könnte es anders sein in der besten aller möglichen Staatenwelten – einer haushoch überlegenen militärischen Zerstörungskraft. Damit ist allerdings so viel auch klar: Diese gewaltsame Grundlage seiner weltumspannenden Außenpolitik stiftet Deutschland nicht mit seiner eigenen kriegerischen Schlagkraft. Für alles, was deutsche Außenpolitiker auf die Tagesordnung setzen, stützen sie sich auf viel mehr als ihre eigene Bundeswehr: Sie nehmen dazu die NATO in Anspruch, das größte Kriegsbündnis der Welt mit der Supermacht USA an der Spitze. Mal mehr, mal weniger explizit bezieht sich Deutschland auf die Abschreckungspotenzen dieses mit allen konventionellen bis atomaren Potenzen ausgerüsteten Bündnisses, als hätten deutsche Verantwortungsträger sie in der Hand. Und es ist schon beachtlich, was sich Deutschland auf dieser Basis in aller Welt vornimmt und zutraut.

      Das fängt an mit der außerordentlich erfolgreichen Ausnutzung einer weltweiten kapitalistischen Geschäftsordnung – von der der demnächst scheidende Bundespfaffe und konsequente Mahner in Sachen militärischer Verantwortung natürlich nie sagen würde, dass sie nur durch allgegenwärtige, unwidersprechliche Gewaltpotenzen zu haben ist. Doch nicht nur ökonomisch, sondern auch militärisch ist Deutschland dank dieser Kriegsallianz außerordentlich potent. Wenn etwa – um ein Beispiel aus der Vor-Merkel-Ära aufzugreifen – Politiker des einstigen Jugoslawien beschließen, dass bei ihnen Völker und Staaten nicht aufeinander passen und einige gewaltsame Umsortierungen anstehen, dann muss sich Deutschland offenbar gar nicht mit der misslichen Lage zufriedengeben, ‚wegschauen‘ zu müssen, obwohl sich diese Gewalt in Europa, also in seinem selbstverständlichen Zuständigkeitsbereich abspielt. Mit seinen Waffenbrüdern in der NATO kann es ‚hinschauen‘, der seit Auschwitz auf ihm lastenden Verpflichtungen gerecht werden und gegen den Bombenterror der Bösen eigene Bomben setzen, welche dank der überlegenen Kriegsmittel der Allianz erst richtig für den Terror sorgen, der dem Guten zum Durchbruch verhilft: So geht eine deutsch-europäisch-amerikanische ‚humanitäre Intervention‘, mit der Deutschland zur friedensstiftenden Gründung neuer Staatsgewalten über die dortigen Landesbewohner beitragen kann; zu deren Schutz, also zum Bestand der Freiheit ihrer Staatsmacht leisten die Deutschen bis heute ihren militärischen Beitrag. Das ist längst nicht alles. Den Fortbestand seiner eigenen Freiheit kann Deutschland bis an den Hindukusch bedroht sehen – was deswegen kein übertriebenes Bild ist, weil es diese Freiheit dank der Zerstörungsmacht der USA bis dorthin auch praktisch verteidigen kann. Und dank der gleichen Macht kann es sich dann nach dem Motto ‚Fördern und Fordern‘ auch sehr selbstbewusst für einen neu aufgestellten Staatsapparat vor Ort engagieren. Es kann im Mittleren Osten mit einigen Militärausbildern und Aufklärungstechnik ganze ‚Terrorregimes‘ an der Seite

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