100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 1. Erhard Heckmann
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Unseren letzten Tag in Prince Ruppert beginnen wir bei Sonnenschein in einen Cafe-Shop der Park Avenue mit zwei Becher Schwarzem und vier Croissants. Die Backware ist gut, der Muntermacher knallheiß. Der Laden läuft. Die meisten Kunden setzen sich aber nicht, sondern nehmen ihren Kaffee mit. Auch wir verlieren nicht sehr viel Zeit, sondern marschieren bald mit dem Ziel „Walboot-Anleger“ durch die Stadt um die bestellten Tour-Tickets abzuholen und einen guten Platz an der Reling zu sichern, denn ein solcher ist für die Filmerei schon wichtig. Aber diese Vorsorge war aus doppeltem Grund unwichtig: Wir waren die zwei einzigen Gäste, und wo immer das offene, kleine Speed-Boot hinfuhr, von Walen war weit und breit nichts zu sehen. Diese „Privatfahrt“ hatte aber auch ihre guten Seiten. Bei bestem Kaiserwetter war sie eine großartige und wir hatten gelernt, dass man schon bei der Reiseplanung zu Hause wissen muss, wann und wo diese großen Meeressäuger anzutreffen sind, denn diese Küsten-Charters wollen selbstverständlich auch dann Geld verdienen, wenn die Wale längst weg, oder noch gar nicht da sind. Man kann auch Pech haben wenn die Zeit stimmt, aber heute hatten wir wirklich keine Chance. Ob den Bootsführer auf dem Rückweg das Gewissen plagte, oder er nur erleichtert war, dass wir die Angelegenheit locker nahmen, war nicht herauszuhören. Er wurde aber gesprächig wie nie zuvor. Er kurvte zwischen den Inseln, erklärte alles, zeigte uns Seeadler und andere Schönheiten und überzog die Zeit ganz gewaltig. Nur das Thema Wale klammerte er sorgfältig aus. Auch auf die Namensgebung seiner Heimatstadt, die damals eine landesweite Angelegenheit gewesen sei, kam er zurück und erklärte, dass am Ende der in Prag geborene Prince Ruppert gewonnen hätte, der ein Sohn von Frederick V., einem kurzfristiger „King of Bohemia“ und 1670 der erste Gouverneur der Hudson’s Bay Company gewesen sei. Und diese Stadt läge eigentlich auf der Kaien-Insel, die jedoch durch eine kleine, unauffällige Brücke mit dem Festland verbunden sei. Ob man die Brücke bemerkt oder nicht, diese Region sei schon vor mehr als zehntausend Jahren besiedelt worden, und noch bevor überhaupt ein Europäer ins Land gekommen wäre, zählte die Ansiedlung um den Inneren Hafen herum bereits als eine der am stärksten besiedelten Gegenden nördlich von Mexiko. Und wie zur Bestätigung nannte der Skipper Ortschaften wie Metlakatla, Lax Kw’alams, Gitkxaahla, Kitsumkal’um und andere lebendige Tsimshian-Dörfer, die noch von jenen Zeiten zeugen. Und wo die Fischerei beides ist, professioneller Job und Lieblingsbeschäftigung, dort ist es auch logisch, dass unser Skipper beim Abschied fragt, ob und wo wir denn auf unserer Reise noch fischen gehen würden? „Of course“ antworte ich ihm, „Salmons at Valdez“. Das war zwar gemogelt, aber ich hatte längst gemerkt, dass jemand ohne Angel hier ziemlich mitleidig beäugt wird. „A great place to go“ nickte er anerkennend, und wünschte gute Weiterreise. Einchecken müssen wir aber erst um 21 Uhr. Zeit also, uns von der Speisekarte unseres Hotels nochmals überreden zu lassen und die restlichen Stunden mit Blick auf das Meer und seine Schiffe, einem trockenen Weißen und köstlichen Meeresfrüchten zu genießen und auf das Kommende anzustoßen.
Der Bus zum Fährhafen war pünktlich, und als wir einchecken sind die maximal 80 Fahrzeuge längst im Bauch der 125 Meter langen und 28 Meter breiten M.V. Kennicot verstaut. Je zwei Nächte und Tage werden wir mit dieser Fähre unterwegs sein, die über vier Decks und 100 Kabinen verfügt, und 750 Passagieren Platz bietet. Beim „Purser“ ging aufgrund unserer Vorbuchung alles sehr schnell, und nach kaum zehn Minuten an Bord konnten wir schon in die 4-Bett-Außenkabine mit Dusche und WC, die wir allein nutzen, einziehen. Der 163 $-Aufschlag, der dafür zusätzlich neben den 260 $ Beförderungskosten auf der Rechnung stand, war absolut in Ordnung. Die Reise durch Alaskas südliche Insel-Küstenwelt mit maximal 17 Knoten Geschwindigkeit kann also beginnen.
Diese Route vor der grandiosen Kulisse der mit Schnee und Eis bedeckten Küstengebirge verlockt natürlich auch zu Abstechern, die rechts und links am Wegesrand liegen, weil die Fähren unterwegs mehrere Häfen anlaufen. Man muss sie aber vorher einkalkuliere und die Reise unterbrechen, weil die Zeit vor Anker nur selten für die angebotenen Ausflüge ausreicht. Wer wenig Zeit hat, wählt besser nur ein Teilstück, als durch weglassen zu straffen. Auch ein paar Schlechtwettertage muss man in Südwest-Alaska immer einkalkulieren, denn wer sie dann aussitzen kann, profitiert. Wir haben uns für die Version „Überblick verschaffen und vielleicht gezielt wiederkommen“ entschieden, denn wer weiß schon vorher ganz genau, wie ihm das alles gefallen wird? Natürlich hatten wir in unserer Reisekalkulation auch genügend Zeit für das eine oder andere Zufällige oder Unbekannte eingebaut, dass uns aber dieser Teil der Welt, bei aller Begeisterung für Afrika oder auch andere Regionen auf unserem Globus, so faszinieren sollte, davon hatten wir momentan wirklich noch keinen Schimmer.
Obwohl die Zeit der „Last Frontier“ längst vorüber ist, sind die 586.000 Quadratmeilen Alaskas noch immer das große, von Menschen kaum veränderte Land, um Wildnisse zumindest von Schotterstraßen aus zu erleben. Und zusammen mit dem Nordwesten Kanadas zählt dieses Gebiet zweifellos zu den großartigsten Landschaften unserer Erde. Und hier, nördlich des 60. Breitengrades und eingerahmt von Hudson Bay, Eismeer und der Beringsee wurden nicht nur Pioniergeschichten geschrieben. Hier lebt auch der Geist von Einsamkeit, Wildnis und „der letzten Grenze“ fort. Und wo zieht jene unsichtbare Linie ihre Bahn um dieser großen Weite ein Gesicht zu geben? Sie schneidet westlich von Alaska die Nordspitze der Kamtschatka Halbinsel, eilt durch Sibirien, tangiert St. Petersburg, Oslo, berührt die Südspitze von Grönland, halbiert in etwa die Hudson Bay, zieht zwischen Whitehorse und Juneau weiter nach Seward und trifft nach der Bering-See wieder auf die Nordostseite Kamtschatkas. Und zumindest für uns Europäer ist es eine Welt, die wir zu Hause, bei aller Schönheit unserer Heimat, nicht kennen. Weglose, unendliche Wälder, donnernde Wasserfälle und mehr als dreitausend Flüsse, von denen der Yukon als drittlängster nordamerikanischer Fluss über mehr als 2.000 Meilen durch das Land zieht. Hier gibt es mehr aktive Gletscher und Eisfelder als in der restlichen bewohnten Welt, und der Malaspinta ist mit 850 Quadratmeilen ihr größter. Mehr als drei Millionen glitzernden Seen, große und kleine, bekannte und namenlose, und siebzig aktive Vulkane sind hier zu finden. Der größte Ausbruch, der des Novarupta von 1912, kreierte das „Valley of Ten Thousand Smokes“, das heute Teil des „Katmai National Monuments“ ist. Im nördlichsten Bundesstaat der USA gipfeln 17 der 20 höchsten Berge des Kontinents in den Himmel, darunter auch der höchste, der 6.194 Meter hohe Mount McKinley. Und wer diesen, zu den „Seven Summits“ zählenden Eisriesen und seine Nachbarn bei strahlendem Sonnenschein im Kleinflugzeug umrundet und auf einem seiner Gletscher landet, wird dieses grandiose Erlebnis niemals wieder vergessen.
An den Küsten ragen steile, tiefe Fjorde aus dem Meer, und im Inneren strecken sich karge Tundra-Ebenen bis zum Horizont. Und dort, wo die Schotterstraßen in dieser einzigartigen Natur enden, setzt der Tourist seine Reise fort mit Fähren, Booten, Pferden oder einem Buschpiloten. Und jeder erschließt sich dieses Land auf seine Art. Mit