100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 1. Erhard Heckmann
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Da standen wir nun an der Reling bei einer Hafenausfahrt, auf die wir uns so sehr gefreut hatten. Und sie gehörte zur „Queen of the North”, einer mächtigen Fähre für 600 Passagiere und mit allem Komfort. Speisesaal, Cafeterias, Aussichts-Lounge, Geschäfte, Touristeninfo, Schlafsessel und Kabinen inbegriffen. 1966 gebaut, verkehrt die 125 Meter lange „Königin des Nordens“ seit 1980 auf dieser Route. In ihrem Bauch verschwinden maximal 110 Fahrzeuge, und für den Antrieb sorgen 15.600 PS. Und auf diesem Schiff lassen wir uns inzwischen den frischen Wind auf dem obersten Deck um die Nase wehen. Die Blicke folgen der spektakulären Küstenlinie und hüpfen durch das Gewirr der Inseln. Sie alle gehören zu einem küstennahen Inselschild, das die Gewässer, und damit auch die Schiffe, vor den rauen Wellen des Nordpazifiks schützt. Was vorbeizieht ist pure Natur. Wasserfälle, kalbende Gletscher, auftauchende Wale und Seelöwen, kreisende Weißkopfseeadler, Gebirgszüge, die 2.000 Meter aufragen und Grizzlys an einsamen Ufern, die den massiven Regenwäldern dort Einhalt gebieten. Es scheint also zu stimmen, was die Autokennzeichen dieses Staates behaupten: „Beautifull British Columbia“. Eigentlich sollte dieser nur „Columbia“ heißen, doch weil bereits in Südamerika ein solcher existierte und auch die „Amerikaner“ ihr Land so nennen wollten entschied Queen Victoria, dass die neue Provinz den Zusatz „British“ erhält. Damit hatte sich auch der zweite Vorschlag - British Caledonia – erledigt, obwohl auch dieser eine Basis gehabt hätte. „Caledonia“ stand für Schottland und, sieht man vom Engländer James Cook einmal ab, waren es Schotten, die Kanadas Westküste erschlossen. An dieser Schiffsstraße dehnt sich auch die Zeit, denn die Landschaft ist das Ergebnis von 200 Millionen Jahren Erdgeschichte, die wir, mit der Sonne im Gesicht und zurückgelehnt, nun genießen dürfen.
In Prince Ruppert läuft die „Queen“ pünktlich um 22 Uhr 30 ein, aber dennoch bestätigt sich die gebuchte Übernachtung als richtig, denn als der Alaska-Anschluss nach vierzig Minuten seinen Anker lichtet warten wir noch immer und schauen zu, wie die Fahrzeuge aus dem Bauch unseres Schiffes rollen. Erst danach sind die Passagiere an der Reihe. Dass vierzig Minuten nicht reichen würden, hatte ich nicht geahnt, doch ich wusste, dass keines der beiden Fährsysteme seine Abfahrtszeiten zu Gunsten eines Anschlusses verschiebt, und hatte auch mit möglicher Verspätung gerechnet. Das nächste Warten war an der Shuttlebus-Haltestelle des Fährterminals vorprogrammiert, weil Samstagsnacht dieser Bus nicht fährt. Und wenn das die dort bereits „diskutierende Menge“ begriffen hat, dann wird die Schlange am Taxistand sehr schnell sehr lang. Also ziehen wir unsere Koffer schnellstens „Richtung Stadt“ und fangen vor dem Terminal ein Taxi ab. Zwanzig Minuten später zahlen wir 6.50 $ und sind für heute am Ziel. Das „Coast Prince Ruppert“, gezielt ausgesucht, bestätigte auch seine Internet-Beschreibung: Ordentlich, sauber und gleichzeitig eine Haltestelle der Fährbusse. Wir werden also keine Koffer schleppen müssen, wenn es weitergeht.
Prince Ruppert, am Ende des Yellowhead Highways, liegt an der Mündung des Skeena Rivers auf Kaien Island. Mit guter Infrastruktur und umgeben von bewaldeten Bergen, Inseln und fischreichen Gewässern lockt es jährlich mehr als 300.000 Besucher an. Innerhalb der Stadt spielt die Cow Bay eine Sonderrolle. Sie gilt als romantisch und gemütlich, und weil sie einer der ältesten Stadtteile ist, stehen auch viele der kleinen Gebäude noch auf Holzpfählen. Enttäuscht waren wir allerdings vom hochgelobten „Smile’s Seafood Cafe“, doch stand heute möglicherweise nur ein wenig begabter Aushilfskoch am Herd des rustikalen Ladens. Von „ausgezeichneten Fischgerichten“ somit keine Spur, aber alles auf einem Teller, voll bis über den Rand, durcheinander und ziemlich geschmacklos, das ja.
Entlang des lachsreichen Skeena Rivers verlässt der Yellowhead Highway die Stadt auf einem alten indianischen Handelsweg, erreicht nach knapp 750 Kilometer Prince George, überquert kurz vor Jasper die Rocky Mountains und macht nach 1.445 Kilometer zu Edmonton Rast. Nach 2.700 Kilometer erreicht er Portage la Prärie im Bundesstaat Manitoba. Viel früher aber – nach reichlich 150 Kilometer zu Kitwanga – schwingt sich von ihm schon der Cassiar Highway nach Norden und trifft kurz vor Watson Lake auf den Alaska Highway.
Prince Ruppert, ein Städtchen mit 15.000 Einwohnern auf altem Tsimshian-Gebiet, besitzt nach Vancouver Kanadas zweitgrößter Handels- und Fischereihafen an der Pazifikküste. Er ist gleichzeitig auch die Nummer Drei unter den tiefsten Naturhäfen der Welt. Geboren wurde Prince Ruppert durch den Visionär Charles Hays. Der Präsident des „Grand Trunk Pacific Railways“ wählte diesen Ort als Endstation für Kanadas zweite transkontinentale Eisenbahnlinie, um mit British Columbias erster geplanter Stadt Vancouver den Rang abzulaufen. Die Pläne waren bereits weit gediehen, als dieser Pionier 1912 mit der Titanic unterging. Mit seinem Tod, dem Ersten Weltkrieg und dem Ende der Eisenbahnära verlagerte die Stadt ihre Interessen jedoch wieder auf den Fischfang. Dieser florierte bereits seit 1876 und Lachs war reichlich vorhanden. Statt Eisenbahngleise boomten Dosenfabriken, und in einer solchen, im Vorort Port Edward, sind jene Tage der Nachwelt im „North Pacific Cannery Museum“ auch erhalten geblieben. Danach war bald alles ganz anders, denn während des Zweiten Weltkrieges war Prince Ruppert für Nordamerika eine strategische Militärbasis. Als dieser Wahnsinn zu Ende war schwang sich die Fischverarbeitung zu neuen Höhen auf, riesige Mengen Kohle und Getreide wurden, vornehmlich Richtung Asien, verladen und auch Holz und Papier spielten eine Rolle. Schließlich wurde auch der Tourismus ein wichtiges Standbein, denn Fähren und die Umgebung dieser Stadt sorgten dafür. Wale, das Khutzemateen Grizzly-Schutzgebiet, in dem auch Bergziegen, Wölfe oder Bieber anzutreffen sind, das Indianerzentrum Kitwanga-Hazelton, die „Geisterstadt“ Hyder mit ihren Bären am Fish Creek bieten dieser Branche zahlreiche Möglichkeiten. Und dann ist da noch der von üppiger Wildnis umgebene Douglas Channel, ein Fjord, der sich über mehr als 90 Kilometer in die majestätischen Küstengebiete hinein gebohrt hat. Seine blauen Wasser, in denen sich Schwertwale, gigantische Heilbutts, Snapper und Lachse tummeln, sind ein Paradies für Wasserfreunde und Angler, und in den angrenzenden Wäldern sprudeln heiße Quellen zu Weewanie, Bishop Bay und Shearwater Hot Springs. Über diesen Fjord und seinen Seitenarm „Gardener“ lässt sich auch der unerschlossene Regenwald im Kitlope Valley erreichen, doch verbindet auch der Trail vom Kitamaat Village nach Kemano zu diesem Seitenarm. Derartige Touren setzen allerdings einen ortskundigen Führer unbedingt voraus. Uns bot sich diese Gelegenheit auch erst einige Jahre später. In das Schutzgebiet der Bären fuhren wir mit einem Ausflugsboot, und das Kitlope Valley zeigte uns Harry mit seiner Chesna, als wir mehrere Tage in seinem Buschcamp gastierten. Aber darüber berichte ich an anderer Stelle. Lange Zeit hatte ich auch mit dem Gedanken gespielt, die etwa sechs Stunden Fährfahrt von Prince Ruppert auf die Queen Charlotte Islands als Schnupperausflug zu nutzen. Doch je mehr ich mich damit beschäftigte, desto stärker wurde die Überzeugung, dass ein oder zwei Tage für diesen Archipel mit seinen Adlern, Seelöwen, Vogelkolonien, seiner Wildnis und Indianergeschichte viel zu wenig sind. Unsere jetzige Reise hätte mehr aber nicht hergegeben. Vielleicht wird es uns aber irgendwann eine neue Reiseroute ermöglichen, die beiden größten der mehr als 150 felsigen Inseln in unser Programm aufzunehmen, das nördliche Graham Island mit Queen Charlotte City, und die südlich der schmalen Meeresenge „Skidegate Channel“ liegende Insel Moresby, das Gwaii Hanas, dessen englischer Name an General Fairfax Moresby erinnerte. 2009 wurden die Inseln in Haida Gwaii, Land der Haida, umbenannt, um der Geschichte gerecht zu werden. Die Queen, Ehefrau von King George III., war ohnehin nie hier, und die Inseln hatte Kapitän George Dixen nach seinem Schiff benannt als er 1778 vor Ort ankerte, während die Haida zu den ältesten ortsfesten Bevölkerungen der Welt zählen.
Dieser Archipel, zwischen dessen Westküste und Japan sich nur die unendliche Weite des Nordpazifiks ausbreitet, ist das Stammland der kriegerischen Haida Indianer, doch beeindrucken ihre seetüchtigen Kriegskanus aus den riesigen Lebensbäumen heute nur