Geburtsort: Königsberg. Ursula Klein
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Durch die ständig wachsenden Zahlen der Studenten an der Königsberger Universität (1930 waren es über 4000, davon über 700 Frauen) wurde ein neues Gebäude errichtet, da die alten Gemäuer den Erfordernissen nicht mehr genügten. In dieser Zeit war es dann auch, dass Paul Stettiner als Stadtschulrat von Königsberg und treibende Kraft in allen kulturellen Dingen Vorlesungen und deutsche Sprachkurse organisierte. Damit hatte die Universität schon fast Volkscharakter erlangt, da die Litauer, Polen und Russen Deutsch als Umgangssprache brauchten.
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„Anna“, sagte Otto, „am Montag komme ich später nach Hause. Die Gewerkschaft hat im Betrieb einen Aushang gemacht. Sie bietet allen Interessierten einen Vortrag über die Wirtschaft unseres Landes nach dem Krieg an. Ich werde mir das einmal anhören, damit ich weiß, welche Probleme auf uns zukommen können. Vielleicht höre ich auch etwas über unsere Hausfinanzierung, denn wir haben ja noch eine Restschuld des Kredites von unserem Haus.“ „Die werden dir aber nicht sagen, wovon wir den Kredit bezahlen sollen, wenn du arbeitslos wirst, wenn die Mieteinnahmen weiterhin staatlich gelenkt werden und nicht erhöht werden dürfen, wo doch jetzt schon alles immer teurer wird. Aber geh` nur hin – vielleicht erfährst du ja etwas Interessantes.“
Hanna hatte zwar gehört, worüber sich die Eltern unterhalten hatten, aber den Inhalt hatte sie nicht verstanden. Was hatte der Hauskredit vom Vater mit einer Versammlung zu tun? Aber Mutter und Vater wussten ja immer Rat, also brauchte sie sich keine Gedanken darüber zu machen.
Als Otto nach Arbeitsschluss in die Eingangshalle kam, war sie schon fast überfüllt. Jeder, der sich einen Stuhl aus dem Betrieb organisiert hatte, konnte sich setzen, die anderen standen dichtgedrängt. Alle Männer – Frauen gab es kaum im Betrieb – unterhielten sich angeregt und lautstark. Jeder hatte etwas seinem Arbeitskollegen über sein Geld oder seine Geldsorgen zu erzählen, jeder hatte seine Probleme. Viele unterhielten sich auch darüber, wer Schuld an der ganzen Misere hätte, denn seit dem Krieg ging es allen sogenannten „kleinen Leuten“ immer schlechter.
Ein Mann stellte sich hinter einen Tisch, legte ein paar Zettel drauf und schaute in die Menge. Schnell trat Ruhe ein.
„Liebe Kollegen“, begann der Redner in normaler Zimmerlautstärke und zwang damit auch die letzten Diskutierer zur Ruhe.
„Ich kann euch nicht mehr Geld geben und darum auch nicht sagen, was und wieviel ihr essen könnt, aber ich kann versuchen, euch die Zusammenhänge zu erklären, warum wir seit 1914 nicht mehr so leben können, wie wir das gewohnt waren.
Die Regierung musste für den Krieg zur Versorgung der Soldaten mit Lebensmitteln – und natürlich auch mit Waffen – diese Güter dem sogenannten inländischen Sozialprodukt entnehmen, d. h. diese Güter waren eigentlich für die Versorgung der Bevölkerung gedacht. Es waren für die Kriegsversorgung keine Reserven vorhanden. Darum wurden die Waren des täglichen Bedarfs für die Bevölkerung immer weniger und darum stiegen die Preise immer mehr an. Die Einführung der Lebensmittelkarten für Fleisch, Schmalz, Zucker, Milch und Kartoffeln bewirkte nur eine Notversorgung der Bevölkerung. Diese „Kriegsration“ konnte noch nicht einmal von uns armen Leuten in vollem Umfang in Anspruch genommen werden, weil es nicht so viel gab. Die Waren auf den Lebensmittelkarten hatten zwar die vom Staat verordnete Preisobergrenze und die Löhne und Gehälter waren angehoben worden (um ca. 100 %), aber die Lebensmittel reichten nicht. Viele griffen zu Ersatzmitteln: Wer es sich leisten konnte, kaufte auf dem Schwarzmarkt zusätzlich Lebensmittel ein, die Armen griffen zu Notlösungen und stellten z. B. das sogenannte Kriegsbrot aus Zuckerrüben her.
Diese Situation sah die Bevölkerung noch als kriegsbedingt an und hoffte auf einen Sieg, damit das Leben wieder besser werden könne.
Zwar haben wir nach dem Krieg eine neue Regierung bekommen, die eigentlich unsere Interessen vertreten soll, aber die stand vor großen Problemen:
Der Rat der Volksbeauftragten konnte die finanziellen Verpflichtungen aus dem Kaiserreich nicht zurückweisen, weil das den Staatsbankrott bewirkt hätte. Damit hätten unter dieser neuen Regierung die kleinen Anleihezeichner (und auch die großen) schwere Verluste gehabt. Um die Wählerstimmen der „Kleinen Leute“ warb man aber in der neuen Regierung.
Die neue Regierung hatte sich auch das Ziel der Vollbeschäftigung für die Arbeiter gesteckt. Darum konnte nun wiederum die Steuerschraube für die Eigentümer der Betriebe nicht zu hoch gedreht werden, um zu notwendigen Einnahmen zu kommen, denn ein Unternehmen muss sich ja für den Unternehmer lohnen. Außerdem sitzen in der neuen Regierung auch wieder Abgeordnete, die Vertreter der Großgrundbesitzer und der Industrie sind, und damit gegen einnahmeträchtige Steuern stimmten. Die wenigen beschlossenen Steuerveränderungen brachten aber nicht die erforderlichen Staatseinnahmen. Die Schulden des Reiches durch den Krieg aus dem Versailler-Vertrag waren bis 1919 auf 92,4 Milliarden Mark angewachsen, d. h. die Zinsaufwendungen wurden immer höher. Die ungedeckte Schuld betrug 63,7 Milliarden Mark. Für diesen Betrag hatte die Regierung keine Einnahmen. Das war zunächst das direkte Erbe aus dem Kaiserreich.“ Der Redner blickte in die Runde und sah allgemeines Kopfnicken.
„Das wissen wir ja, dass der Versailler-Vertrag uns alle ruiniert hat. Aber dafür haben wir ja auch für unsere Rechte gekämpft, damit es uns unter der neuen Regierung besser geht! Dafür haben wir sie doch gewählt! Die sollen sich doch was einfallen lassen!“
Dieser Sprecher erntete eine allgemeine Zustimmung. Die Versammelten waren auf seiner Seite. „Ihr von der Gewerkschaft müsst doch auch wissen, was zu tun ist! Ihr müsst doch unsere Rechte vertreten und dafür sorgen, dass die Reichen nicht noch reicher und die Armen nicht noch ärmer werden! Ich denke, das ist euer Ziel“, kam die erregte Stimme aus einer anderen Ecke.
Der Redner fühlte sich in die Ecke gedrängt und versuchte zu beruhigen. „Ich habe euch eingangs gesagt, dass ich euch nicht mehr Geld geben kann, sondern nur versuchen werde, euch die Zusammenhänge zu erklären. Zum Schluss hat dann noch jeder Gelegenheit, Fragen zu stellen. Können wir so vorgehen?“ Allgemeines Kopfnicken zeigte Zustimmung. Nun waren auch wieder alle zum Zuhören bereit.
„Die direkten Kriegsfolgen lasten also schwer auf dem Staatshaushalt“, fuhr der Redner nun in ruhigem Ton fort. „So mussten die Kriegsinvaliden und die Hinterbliebenen der gefallenen Soldaten mit Renten versorgt werden, entlassene Frontsoldaten mussten wieder Arbeit bekommen. Der Rat der Volksbeauftragten hatte als sozialen Ausgleich für die Soldaten beschlossen, dass diese mindestens drei Monate in ihrem alten Betrieb wieder eingestellt werden mussten, obwohl bereits viele Arbeitslose registriert waren. Für die Arbeitslosen musste die Regierung die Hälfte der Kosten der Erwerbslosenfürsorge aufbringen, die Länder und die Gemeinden zahlten die andere Hälfte, da dieses Gesetz die Arbeitslosen zu spät zur Selbstbeteiligung verpflichtet hatte und keine Rücklagen für die Zahlung vorhanden waren. Der Staat selbst hatte zusätzliche Ausgaben für die Unterhaltung der Truppen, die zur Sicherung der Grenzen der Republik und zur Wahrung der inneren Ruhe unter Waffen standen. Doch der größte Schuldenberg blieb die Bezahlung der Reparationsleistungen. Das war zunächst die finanzielle Hinterlassenschaft für die neue Regierung.“ Allgemeines Kopfnicken zeigte dem Redner an, dass jetzt keine Meinungsverschiedenheit bestand.
„Doch problematischer war die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, da die Erträge der Landwirtschaft durch den Einsatz der Bauern als Soldaten stark zurückgegangen waren und damit die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln immer dürftiger wurde.“ Jetzt blickten alle Augen