Koshiki Kata. Roland Habersetzer

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Koshiki Kata - Roland Habersetzer

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Erscheinung, die sichtbaren Techniken: Omote waza) und den „Inhalt“ (das Verborgene, die unsichtbaren Techniken: Ura waza). Ersteres ist jedoch auf eine Weise konzipiert, daß der Zugang zum „Inhalt“ erschwert wird. Die Gründe hierfür sind folgende:

      Die Kata ist eine Sprache, eine Zeichenfolge, mit der Wissen bewahrt und zum Ausdruck gebracht wird. Dieses System der Lehre und der Übertragung ist gewissermaßen durch einen Code verschlüsselt. Um das zu verstehen, muß man begreifen, daß es sich um gefährliches Wissen handelt. Gefährlich schon allein deshalb, weil es im Kampf wie eine Waffe eingesetzt werden kann, und gefährlicher noch, wenn das Element der Beherrschung des Selbst hinzukommt, sofern es mißbräuchlich eingesetzt wird. Somit erfüllte die Codierung des Wissens den Zweck, es von jenen fernzuhalten, die seiner nicht würdig waren. Es ist nun offenkundig, daß ohne den Code-Schlüssel für etwas, was anscheinend jedermann lernen kann, die klassische Kata überholt, unnütz und ineffektiv erscheinen kann. Wozu also Zeit und Energie investieren, um sie zu praktizieren? Derartige Überlegungen führten tatsächlich dazu, daß immer häufiger moderne Kata entwickelt werden, denen man eine höhere Effektivität zutraut, nicht zuletzt, weil sie spektakulärer wirken oder technisch „vollständiger“. Dies bedeutet jedoch nichts anderes, als daß bei diesen modernen Kata mangels inneren Gehalts (Ura) das Äußere (Omote) im Vordergrund steht. Man muß wissen, daß in allen Stilrichtungen des Karate die heute praktizierten Kata nur noch Schatten ihrer Vorläufer darstellen, gespickt mit Fehlern, Deformationen und Lücken. Die Ursache hierfür können Fallen sein, die die Meister als Prüfung eingebaut haben oder auch Übermittlungsfehler bei der Weitergabe durch die Schüler. Und dies gilt für alle Formen, von welchem der Experten unserer Zeit sie auch immer praktiziert werden.

      In erster Linie liegt das an der Intensität, mit der die Bunkai19 studiert werden, und diese Intensität war in früheren Zeiten bedeutend höher. Das Bunkai ist ein zum Zweck der Erklärung angefertigtes „Abbild“ der Kata für das Üben mit Partner, eine vollständige „Gebrauchsanweisung“, die den Umfang der ursprünglichen Kata beträchtlich „aufbläht“. Früher, als es noch üblich war, sich während des ganzen Lebens mit zwei oder drei Kata, wenn nicht gar nur mit einer einzigen zu befassen, war das zu zweit geübte Bunkai von großer Reichhaltigkeit. Es gab zahlreiche Varianten, Weiterführungen, verschiedene strategische Bedeutungen, unterschiedliche Gesichtspunkte, je nachdem, welche Art von Konfrontation betrachtet wurde. Das ging so weit, daß die Bunkai nur noch sehr entfernt an die vereinfachten Formen, wie sie in der Kata zu finden sind, erinnerten. Heute kann man sich das nur noch schwer vorstellen. Angetrieben durch die Entwicklung und die Rivalität der einzelnen Schulen, vervielfältigte sich die Zahl der Kata, und verschiedene Kata wurden miteinander kombiniert. Das hatte zur Folge, daß immer weniger Zeit für das Vertiefen der Bewegungselemente in Paaren aufgewendet wurde.

      Die Vernachlässigung von etwas derart Fundamentalem ließ zwangsläufig manches in Vergessenheit geraten, und es kam zu Verlusten bei der Übertragung traditioneller Kenntnisse. Die heute vorhandenen Reste der klassischen Kata stellen das Endergebnis einer Verarmung dar, die bereits vor langer Zeit ihren Anfang nahm. Es versteht sich von selbst, daß mit fortschreitenden Verlusten hinsichtlich der äußeren Form der klassischen Kata auch die traditionelle Kata verloren gegangen ist, das heißt, das „hermetische“ Doppel der klassischen Kata. Diese Verluste traten beim Übergang von einer Generation auf die nächste auf, aber auch durch die Auswanderung von Kampfkunstexperten in alle Teile der Welt. Die Auswanderer lösten sich langsam, aber sicher von ihren Quellen, aus denen sie nun keine neue Kraft mehr schöpfen konnten. Verstärkt wurde diese Tendenz durch den Tod der letzten allgemein anerkannten, respektierten und gefürchteten (!) Meister. Allein schon die äußere Form dessen, was von den Koshiki Kata geblieben ist, verrät viel über die Unvollkommenheit der ererbten Formen. Die Bewegungen sind oft auf reine Andeutungen reduziert und lassen realere, vollständigere Bewegungsformen nur noch erahnen. Bunkai wirken häufig willkürlich und aus der Luft gegriffen, denn für die Anwendung im wirklichen Kampf sind sie nicht geeignet. Es gibt Techniken, die zwar ästhetisch erscheinen, aber nicht ohne weiteres anwendbar sind, Schrittfolgen, die umgekehrt aufzufassen sind, unvollständige Bewegungen, die nie zu Ende geführt werden, Anfänge von Fährten, die nur angedeutet werden, fehlende Übergänge, … Die technische Ausrichtung der „modernen“ Kata ist somit aus bestimmten Umständen hervorgegangen, ihre Zweckbestimmung ist das Ergebnis eines Abkommens vom Weg. Sie ist eine kämpferisch-sportliche Ausdrucksform ohne nennenswerten Bezug zu ihrem Vorläufer. Die Kata dient heute dazu, etwas zur Schau zu stellen. Sie ist ästhetischer geworden. Der Preis dieser trügerischen Entwicklung ist ein Verlust an äußerer wie an innerer Wirksamkeit.

      Verantwortlich für diese Erosion ist das typisch östliche Lehrsystem, das sich als nicht geeignet erwiesen hat, Wissen über eine gewisse Anzahl von Generationen von Meistern hinweg getreu zu übermitteln, und das sich als noch ungeeigneter erwies, als es sich mit den Erfordernissen einer quantitativ schnellen Entwicklung der Kampfkünste konfrontiert sah. Einige der Fallstricke oder Lücken, die man in einer klassischen Kata, wie sie heute praktiziert wird, nachweisen kann, wurden absichtlich in die Bewegungsfolgen eingebaut. Derartige „Fehler“ beruht auf der Absicht, eine Art Labyrinth zu konstruieren, das einerseits dazu diente, Spione, die von anderen Schulen kamen, zu verwirren, damit sie das Wissen nicht stehlen konnten, und das andererseits die Praktizierenden zu großen Anstrengungen anspornen sollte. Hierdurch sollte verhindert werden, daß jedermann den Zugang zum inneren Wesen der Kata finden konnte, ohne es verdient zu haben und ohne bereit zu sein, diese „Wahrheit“ ertragen zu können. Andere Fehler entstanden jedoch unabsichtlich, durch unvollkommene Übertragung des Wissens vom Meister auf den Schüler. Der Grund hierfür ist die Gewohnheit der klassischen Meister der traditionellen Kampfkünste in Japan, zwei Nachfolger zu ernennen: einen offiziellen und einen inoffiziellen. Das zeugt, wie wir sehen werden, von einem gewissen strategischen Sinn, aber es verkomplizierte die Angelegenheit ungemein.

      Gemäß der Tradition bestimmt ein Meister zu seinen Lebzeiten mindestens zwei seiner engsten Schüler, die nach seinem Tode an die Spitze seiner Schule treten. Einer der Nachfolger wird unter den Uchi deshi20 ausgewählt, er ist der „Erbe im Schatten“ (kage deshi). Er wird der weniger bekannte sein, dem jedoch die Gesamtheit der Lehren vermittelt wird, einschließlich der esoterischen21 Aspekte. Der zweite wird unter den Soto deshi22 des Meisters ausgewählt, und er ist der offizielle Erbe, jener, der, nach außen hin bekannter, für die Entwicklung der Schule verantwortlich sein wird. In diesem durchaus originellen Verfahren spiegelt sich die Koexistenz des Schattens (Yin) und des Lichts (Yang) wieder, aber in einem umgekehrten Sinn, als man erwartet hätte: Der Erbe, der im Schatten bleibt, ist in Wahrheit der, welcher das Licht des Wissens empfangen hat. Aber ein solches System führt auch zu einem besonders schnellen Aufsplittern der Stammbäume der Schulen, denn der Prozeß wiederholt sich bei jeder neuen Übertragung des Menkyo kaiden, der höchsten zu erreichenden Berechtigung in einer klassischen Kampfkunst, die Lehren einer Schule weiterzugeben. Dieses dokumentierte Recht wurde offiziell auf jeden „in Erscheinung tretenden“ Nachfolger übertragen und garantierte, daß sein Träger die Gesamtheit der Techniken der Schule beherrschte. Wie wir gezeigt haben, konnte jedoch nur ein innerer Schüler (Uchi deshi) die wahren „Geheimnisse“ der Kata kennen, das heißt, die Schlüssel für den Code, mit dessen Hilfe sich der verborgene Sinn der Kata erschließen ließ. Doch ein Uchi deshi wird sein Wissen stets am Rande des offiziellen und lärmenden Lebens der Schule weitervermitteln. Manche Uchi deshi starben auch, ohne ihre Kenntnisse weitergegeben zu haben, da sie entweder nicht in der Lage oder nicht willens gewesen sind, die Abstammungslinie im Schatten weiterzuführen.

      Diese Methode der Weitergabe von den Geheimnissen einer Kata ist nach und nach zum Erliegen gekommen, oder sie kommt gegenwärtig zum Erliegen. In unserer Zeit verwirklicht sich die Dynamik der weltweiten Entwicklung des Karate nicht mehr auf dem Weg „offizieller“ Nachfolger. Mehr noch: Es gibt niemanden mehr, der die gegenwärtige Entwicklung kontrolliert, niemand genießt mehr Respekt im klassischen Sinne. Hingegen ist die Zahl der „kleinen“ äußeren

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