Kālī Kaula. Jan Fries
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Wie eine Legende erzählt (F. Smith in Leslie 1992), versuchten die vedischen Göttinnen Soma in einen Kelch zu zapfen, aber der Soma war schwach und ‘konnte nicht bestehen’. Taittirīyasaṁhitā 6.5.8 stellt fest: Deshalb kommt es, das Frauen, da sie kraftlos sind, nichts erben und unterwürfiger sprechen als ein böser Mann. Aus demselben Grund, erfahren wir, haben sie keine Identität. Schließlich formten die Götter einen Vajra (Donnerkeil) aus Ghī (reinem Butterfett). Er stärkte den Soma, aber plagte und schwächte die Göttinnen.
Die altindische Literatur ist voll von bösen Bemerkungen über Frauen, und die Gesetze, die auf diesen Lehren basierten, sind ebenso gnadenlos. Eine traditionell eingestellte Hindu-Frau verbringt ihr ganzes Leben damit, die Männer in ihrer Familie zu bedienen. Selbst Frauen der gehobenen Kasten haben nicht das Recht, sich dem Ritual der zweiten Geburt zu unterziehen, in dem Brāmaṇa (Priester, Lehrer, Gelehrte), Kṣatriya (Krieger, Adlige) und Vaiṣya (Kaufleute) ihre spirituelle Reife erlangen und mit der heiligen Schnur geschmückt werden. Śūdra (Bauern, Diener, Handwerker), Stammesvolk, Unberührbare und Ausgestoßene sind zu diesem Ritual nicht zugelassen und auch keine Frauen. Offiziell ist es Frauen auch nicht erlaubt, die Veden zu studieren, selbständig Opferungen durchzuführen, religiöse Zeremonien abzuhalten oder als Asketinnen die Gesellschaft zu verlassen. Doch hier gibt es zahlreiche Ausnahmen, und in manchen gehobenen Gesellschaftsklassen war es durchaus vorgesehen, dass Frauen lesen konnten und mit der alten heiligen Literatur bestens vertraut waren. Die Situation mag etwas leichter für Frauen aus hohen Klassen und gutsituierten Familien sein und wesentlich besser in der Stadt als auf dem Land, aber insgesamt herrscht ein erstaunliches Maß an Grausamkeit gegenüber Frauen, das bis zum heutigen Tag anhält. Um nur ein Beispiel zu nennen, wurden im Jahre 2001 mehr als siebentausend frisch verheiratete indische Frauen von ihren Männern oder deren Familien getötet, weil ihre Mitgift als zu gering erachtet wurde.
Nun sind die allgemeinen Ansichten der Gesellschaft nicht ganz so, wie man außerhalb glaubt. Das hinduistische Schrifttum ist durchweg brahmanisch, d.h. es spiegelt die Art wider, wie manche Brahminen die Welt gern hätten. Sie schafften es aber niemals, so viel Kontrolle zu erlangen; wenn Du also Vorschriften in den heiligen Schriften findest, solltest Du daran denken, dass die überwiegende Mehrheit der Inder nicht ganz nach den Gesetzen der Schriften lebt. Es gab und gibt in Indien ja zum Glück keine einzige, verbindliche und verpflichtende heilige Schrift wie im Christentum, und keine militante Kirche die Ketzer und Abweichler verfolgt. So wie überall auf der Welt findest Du auch in Indien Eltern, die ihre Töchter innig lieben, und Ehemänner, die den Verstand haben, ihren Frauen zuzuhören. Wir sollten uns auch hüten, westliche Ansichten über Befreiung und Gleichheit auf eine Kultur zu projizieren, in der eine ganze Menge Menschen glaubt, dass Befreiung nur diejenigen erlangen, die alles und jedes ertragen und erlitten haben, womit das Universum sie nur schlagen kann.
Der Wert der Frauen hängt sehr stark von der Gesellschaft ab, in der sie leben. Viele orthodoxe Vaiṣṇavas halten sich im Allgemeinen strikt an die brahmanischen Lehren, dass Frauen wie eh und je ihren Männern dienen sollen. Nichtsdestoweniger gibt es eine kleine Gruppe tantrischer Vaiṣṇavas, die Frauen ganz allgemein als Verkörperung der Göttin Śrī Lakṣmī verehren. Diese Idee ist in einem gewissen Umfang im Lakṣmī Tantra 43, 59-72 ausgeführt, wo die Göttin selbst erklärt, dass alle Frauen ihre Manifestation sind. Eine Frau zu missbrauchen, bedeutet, die Göttin zu missbrauchen; schlecht von einer Frau zu denken, bedeutet, die Göttin zu missachten.
Oh Śakra, so wie keine Sünde ist in Nārāyaṇa noch in mir selbst noch in einer Kuh noch in einem Brahmanen noch in einem Gelehrten vom Vedānta, so, o Śakra, kann kein Böses in einer Frau sein … Diejenigen, die die Erlangung (oder Erfüllung) vom Yoga anstreben, sollen sich immer so verhalten, dass sie eine Frau zufrieden stellen, sofern sie dabei keine Sünde begehen. Man sollte sie als Mutter betrachten, als Gott und als mich selbst.
(nach Sanjukta Gupta).
Diese Ideologie muss die Traditionalisten ziemlich verärgert haben. Sie ging auch noch viel mehr gegen den Glauben derjenigen Vaiṣṇavas (der große Mehrheit), die sich nicht mit Tantra befassten. Das Lakṣmī Tantra ist ein fast revolutionäres Werk in den Augen der Fundamentalisten. In vielen Punkten weicht es vom orthodoxen Glauben weit ab. Dennoch enthält es beschränkende Elemente, wie die Ansicht, dass eine Frau die Initiation nur erhalten darf, wenn sie ihren Mann respektiert, niemals ihre religiösen und gesellschaftlichen Verpflichtungen in Frage stellt, eine klare Vorstellung von Wahrheit hat und wenn ihr Mann es erlaubt (LT 21, 40-41). Es gab etliche Frauen, die als tantrische Heilige anerkannt wurden und die ihre spirituelle Tätigkeit geheim halten mussten, weil die Familien ihrer Ehemänner dagegen waren (Gupta in Leslie 1992). Dinge dieser Art sind typisch für orthodoxe Vaiṣṇavas; man findet sie bei Śaivas und Śāktas nicht so häufig. Für die tantrischen Vaiṣṇavas ging die Identifikation sogar noch weiter. Bei der Verehrung von Viṣṇu ist die populärste Form der Gottheit der charmante, fröhliche, flötenspielende Kṛṣṇa. Konsequenterweise versuchen sich die Anhänger mit ihm zu vereinigen. Hier gibt es zwei Möglichkeiten. Man kann sich selbst mit der Gottheit identifizieren. Oder man identifiziert sich mit dem Partner der Gottheit. Um das zu tun, imitieren die Verehrer die liebende Sehnsucht seiner Śakti Rādhā nach Kṛṣṇa. Rādhā, als eine sehr verspielte Manifestation von Lakṣmī, ist ein echtes Powergirl und kann in mancher Hinsicht ein wenig anspruchsvoll sein. In diesem System der Bhakti ist Rādhā nicht nur in Kṛṣṇa verliebt, sondern sie durchläuft auch eine detaillierte und systematische Sequenz von Emotionen, die von milder Anziehung über Sehnsucht, Erinnern, Ablehnung, Verlangen, Begierde bis zu rasender Leidenschaft reichen und viele spezielle Darbietungen einbeziehen wie Eifersucht, besessenes Brüten, Bosheit, irres Entzücken, delirierende Verwirrung und was auch immer. Das ganze Spektrum des menschlichen Sehnens und der Erfüllung ist ihre Kunst, und da sie keinen Menschen, sondern eine Gottheit liebt, ist sie ein Rollenmodell für den Verehrer. Für die Frauen in der Gemeinde ist die Verwandlung in Rādhā noch recht einfach, aber für die Männer ausgesprochen bewusstseinserweiternd. Einige der devoteren männlichen Anhänger identifizieren sich so intensiv mit Rādhā, dass sie sich als Frauen kleiden und im Wohnbereich der Frauen leben. Ein gutes Beispiel ist Bengalens verrückter Heiliger Rāmakṛṣṇa, der sich in einem solchen Ausmaß in das Rādhā-Bewusstsein hineinsteigerte, dass er wochenlang unter Frauen lebte und die Frauen in seiner Gesellschaft völlig vergaßen, dass der bärtige Typ in seinem Sari körperlich ein Mann war. Rāmakṛṣṇa trieb die Dinge üblicherweise ins Extreme, so dass niemand wirklich überrascht war, als er eine Weile später beschloss, Rāma als Hānuman, den Affengott, zu verehren, sein Lendentuch so band, dass ein langer Schwanz zwischen seinen Beinen baumelte, und einige Wochen auf einem Baum verbrachte.
Unter den Śaivas wurde Śakti zum perfekten Rollenmodell der Partnerin des Gottes. Hier lag die Ausrichtung noch immer auf Śiva, der oft als die Quelle, der Guru und Liebhaber von Śakti verstanden wurde. Frauen hatten in diesem System ihren Platz, auch wenn es ein etwas geringerer war. Unter den Śaiva-Tantrikern sind Frauen insofern heilig, als sie die Göttin und die Manifestation von Śivas Macht verkörpern. Śiva bleibt jedoch das höchste Prinzip. Hier ist Śakti die höchste Macht, aber Śiva ist der Inhaber der Macht. Anders ausgedrückt könnte man sagen, dass formloses Allbewusstsein die Welt der Form und Energie beherrscht. Nur unter den Mystikern der höchsten Ebene begegnet man der Erkenntnis, dass Śiva und Śakti nicht nur dasselbe sind, sondern auch nicht auseinander gehalten werden können. Auf dieser Ebene der Ununterscheidbarkeit ist es egal, ob Du von Śiva oder Śakti sprichst, weil alles, was Du sagst, lediglich Worte sind.
Dann gibt es noch die Śāktas – Anhänger, die Śakti für das höchste Prinzip und die männlichen Götter lediglich für Ausdrucksformen ihres Willens halten.
Deshalb, o König, wisse dies, dass dieses ganze Universum unter der Kontrolle von der Yoga Māyā ist: Die Devas, Menschen, Vögel, was auch immer sonst, von Brahmā bis hinunter