Kālī Kaula. Jan Fries

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Kālī Kaula - Jan Fries

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geschmückt mit einer kristallenen Mālā (Gebetskette), die eine Schale voll Weihwasser hält und auf einem Schwan reitet. Mittags meditiert der Anhänger über Vaiṣṇavī, die eine goldene Dame in einer Sonnenscheibe ist, die eine Girlande aus wilden Blumen trägt. Sie hat volle Brüste, ihre vier Hände halten Muschelschale, Stab, Diskus und Lotus, und sie reitet einen Garuḍa-Vogel. Die Abendmeditation ist für Śaivī, die als eine alte Frau erscheint, mit weißer Haut und in Weiß gekleidet, freundlich und großzügig; ihre Hände halten Dreizack, Schlinge, Speer und Schädel. Sie reitet auf einem Stier.

      Hier begegnen wir Brahmā, Viṣṇu und Śiva in weiblicher Form. Die Śaktis sind jedoch mehr als nur Kopien der männlichen Götter. Sie entsprechen den drei Tageszeiten und Altersstufen, was mit ihren männlichen Formen nicht viel zu tun hat. Und wir erleben auch das Gegenteil: Manche männlichen Gottheiten wurden nach Göttinnen modelliert. Der schreckliche Mahākāla (Großer Verschlinger, d.h. die Zeit), schwarz, nackt, schlangenumwunden, mit hervorgewölbten Augen und schrecklichen Zähnen, ist nach Mahākālī gestaltet. Er ist Mahākālīs Gatte und offiziell eine Form von Śiva, aber bei näherer Betrachtung ist er ganz klar eine männliche Personifikation der dunklen Göttin selbst.

       Drei Temperamente

      Indoeuropäer sind im Allgemeinen verrückt nach Dreiheiten. „Alle guten Dinge sind drei.“ Wenn irgendetwas in Dreiergruppen geordnet werden konnte, wurde das auch getan. Du findest dieses Faible unter den Kelten und Germanen genauso wie im griechischen Mythos und in der indischen Kosmologie. Eine der am besten bekannten und am wenigsten verstandenen Dreiheiten sind die Guṇas: sie sind eines der Fundamente der Saṁkhya-Lehre und wurden von vielen anderen Philosophien übernommen. Der Guṇa hat mehrere Bedeutungen; drei davon sind: 1. Faden, Seil, Schnur, 2. Qualität oder Eigenschaft, 3. Sorte, Art, Kategorie. Die drei Qualitäten sind eine der grundlegendsten Ideen in der hinduistischen Philosophie. Śakti als Prakṛti (Natur, Materie, Erscheinung) stellt man sich als aus drei Guṇas bestehend vor: Sattva, Rajas und Tamas. Tamas ist am leichtesten zu verstehen: Das Wort bedeutet ‘Dunkelheit’ und ist verwandt mit dem deutschen ‚dämmrig‘ und dem englischen ‘dim’ für Halbdunkel, Zwielicht, Düsternis. Es wird gebraucht zur Beschreibung von Schwere, Trägheit, Stabilität, Routine, Gewohnheitsverhalten und, im Bereich der menschlichen Empfindungen und Verhaltensformen, für Ignoranz, Faulheit, Bequemlichkeit, Eingleisigkeit, Weltlichkeit und Materialismus. Der oder das Rajas bedeutet in der Saṁkhya-Philosophie vor allem Leidenschaft; in der tantrischen Schattensprache kann es auch Menstruation bedeuten. Rajas ist heiß, energisch, aktiv, rastlos und der einzige veränderliche Guṇa. Im Bereich der menschlichen Erfahrung drückt sich Rajas als Entzücken, Begierde, Frustration, Leidenschaft, Gefühlsausbrüche, Besessenheit, Eifersucht, Triebe, Rastlosigkeit, Verwirrung, Hader, Zorn und Traurigkeit aus. Hierbei geht es stets um starke Gefühle, die sich auch immer wieder gegenseitig erzeugen. Wenn starke Begierde frustriert wird, kommt es z. B. zum Zorn. Dabei handelt es sich im Grunde um Babyverhalten: wenn das Baby nicht bekommt, was es will, brüllt es, bis die Mama die Welt wieder gut macht. Und was für’s Baby funktioniert hat, wird oft von Erwachsenen weiter betrieben. Denk daran, wenn Du das nächste Mal meinst, zornig werden zu müssen.

      Sattva, der Saguṇa, wird ‘gut’ im Sinne von ‘Güte’ genannt. Das Wort bedeutet unter anderem Existenz, Realität, Wesen, Geist, Sein, wird aber im Saṁkhya-Denken vor allem als das Prinzip des Guten betrachtet. Das Sattva ist der heikelste der drei Guṇas. Es erscheint als verfeinert, abgehoben, ruhig, friedvoll, ausgeglichen und subtil, schwer zu definieren und nicht immer begreiflich.

      Die drei Qualitäten werden oft mit Farben gleichgesetzt. Tamas ist dunkel, schwarz oder braun, Rajas ist rot und feurig, und Sattva ist von einem blassen, kühlen, mondähnlichen Weiß. Diese Farbcodes sind oft in der hinduistischen Literatur zu finden, wo sie manchmal zu einer tieferen Bedeutung führen und genauso oft Verwirrung erzeugen. Ein Beispiel: Für manche Leute folgt die populäre Trinität der Götter dem Muster von Schöpfer, Bewahrer und Zerstörer. Diese Funktionen erfüllen etliche Gottheiten, und nach dem Glauben vieler lautet die richtige Ordnung: Brahmā für die Schöpfung, Viṣṇu für die Bewahrung und Śiva oder Rudra für die Zerstörung. Dies ist eine populäre Vorstellung, die in Büchern einen guten Eindruck macht, aber wenig mit dem zu tun hat, was die Anhänger dieser Gottheiten glauben. Du hast hoffentlich gleich gemerkt, dass diese Trinität alles andere als ausgeglichen ist: zwei der Teilnehmer sind weltumfassende Hochgötter mit gewaltig vielen Anhängern, während Brahmā, bestenfalls ein Schöpfergott unter vielen, ständig auf die Hilfe der anderen zwei angewiesen ist. Wer die Bhagavad Gītā gelesen hat, weiß dass Viṣṇu nicht nur erhält, sondern auch schafft und alles verschlingt. Für die Anhänger Śivas ist dieser nicht nur für die Zerstörung zuständig, sondern für alle drei Funktionen. Derartige kosmische Götter auf simple und einseitige Funktionen zu reduzieren, ist bestenfalls in den Mythen nützlich, während es bei der direkten Gotteserfahrung einfach nur belastet. Śiva bildet oft ein Paar mit Kālī, die den Uninitiierten auch dunkel und zerstörerisch erscheint, und folglich glauben viele Leute, dass Śiva und Kālī von tamasischer Natur sind. Für die Anhänger dieser Götter sehen die Dinge ganz anders aus. Dunkelheit ist ja schön und gut, aber mit Trägheit, Materialismus und Ignoranz haben die beiden herzlich wenig zu tun. Von Kālīs alles verschlingendem Mund sagt man zum Beispiel, dass er alle drei Qualitäten enthalte: Die Lippen sind dunkel (Tamas), der Gaumen ist rot (Rajas) und die spitzen Zähne sind weiß (Sattva). Wenn die Göttin ihre Anhänger verschlingt, gehen diese durch alle drei Guṇas, bevor sie in der zentralen Leere ihre Befreiung finden.

      Von den Guṇas geht eine dreifache Struktur aus, die grundlegend für das Verständnis des Tantra ist. Die Tantriker werden oft nach den Qualitäten klassifiziert, die ihren Charakter dominieren. Wir sprechen hier von den Qualitäten, nicht von den Menschen als solchen. Behalte im Sinn, dass dies ein sehr fließendes Modell der Welt ist und dass Menschen sich ständig ändern. Denk Dir einen Faden, der aus drei Fasern gesponnen ist, einer schwarzen, einer roten und einer weißen, und stell Dir das Gewebe der Welt vor. Jedes Lebewesen ist aus den drei Guṇas zusammengesetzt und alle drei sind nötig für Geburt, Dasein und Befreiung. Nur wenn ein Guṇa die anderen dominiert, neigen die Dinge zu Extremen.

      Paśu. Zuerst kommen die Paśus – ein Wort, mit dem ein Laie gemeint sein kann, jemand ohne spirituelle Bildung, oder ein Haustier. Abhängig vom Ton des Tantras kann ein Paśu ein simpler und ignoranter Mitmensch sein, oder öfter, ein Lasttier, das mit den Ketten der Bindungen, der Beteiligung und der Sinnlichkeit gefesselt ist. Manche Texte stellen den Paśu als ein dummes Tier, eine grobe und unspirituelle Person dar. Dies stimmt nicht ganz. Der Paśu ist bereits ein Anhänger des Tantra. Das Wort ‘Paśu’ entwickelte sich aus ‘Paś’, was ‘binden’ bedeutet, und ‘Pāśa’ ist eine Schlinge. Das KT listet acht Grundformen der Bindung auf:

      1 Mitleid,

      2 Ignoranz und Wahn,

      3 Furcht,

      4 Scham,

      5 Ekel,

      6 Familie,

      7 Brauch und

      8 die Stellung in der Gesellschaft, der Klasse.

      Jeder, der durch diese Stricke gebunden ist, ist technisch gesprochen immer noch im Reich des Paśu. Und das gilt, zumindest von Zeit zu Zeit, für uns alle. Paśus leiden unter drei Unreinheiten:

      1 Kein oder falsches Wissen über das Selbst,

      2 Glaube an separate Identitäten und

      3 Bindung an Aktivität, Tun und deren Ergebnisse.

      Davon frei zu sein,

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