Kālī Kaula. Jan Fries

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Kālī Kaula - Jan Fries страница 48

Автор:
Жанр:
Серия:
Издательство:
Kālī Kaula - Jan Fries

Скачать книгу

alle drei zu nutzen und zu transzendieren.

      Natürlich wirst Du Dich schon gefragt haben, zu welcher Klasse Du gehörst. Das ist ein nützlicher Gedanke, aber auch ein irreführender. Die drei Temperamente sind nicht unbedingt in einer linearen Progression von ignorant über aktiv zu göttlich angeordnet. Stell Dir ein Dreieck vor. Jede der Ecken ist eins der Temperamente; jedes hat seine Stärken und seine Schwächen. Die Temperamente an sich sind keine Rollenmodelle, sondern Extreme. Dein Leben findet im Zwischenraum zwischen den Punkten statt. Denk Dir mindestens zwei Stufen zwischen Paśu und Vīra aus, zwei Stufen zwischen Vīra und Divya, und (hier betreten wir Neuland) zwei Stufen zwischen Divya und Paśu. Du wirst bald bemerken, dass jedes Temperament Vor- und Nachteile hat. Dem Paśu wird ja gerne vorgeworfen, dass er oder sie das halbe Leben mit Videospielen, Soap Operas und in ‚sozialen Netzwerken‘ verplempert. Doch ein Paśu kann beständiger, zuverlässiger und geduldiger in der Praxis sein als beispielsweise ein Vīra, und nebenbei den Dingen der Welt die nötige Aufmerksamkeit schenken. Besonders wenn Paśus an eine Familie gebunden sind, haben sie Verpflichtungen, und diese haben, auf ihrer Ebene und zu ihrer Zeit, eine gewisse Berechtigung. Doch Paśus brauchen manchmal ewig, um in die Gänge zu kommen, und ein Vīra kann Dinge schon fertig haben, während Paśu und Divya noch herumsitzen und darauf warten, dass etwas passiert. Natürlich neigt ein Vīra auch eher dazu, Fehler zu machen; die Nebenerscheinung des Tuns sind immer Missgeschicke, und der Preis für Einmischung ist Bindung. Vīras sind so erregbar und hastig, dass sie oft Dinge beginnen, ohne darüber nachzudenken, was dabei herauskommt. Sie haben auch echte Probleme damit, falsche Ziele und fehlgelaufene Projekte loszulassen, und einfach über sich selbst zu lachen. Divyas können im Vergleich zu ihnen ruhig und heilig sein, haben aber Probleme, normale Menschen zu verstehen. Ein Divya kann dazu neigen, materielle Notwendigkeiten zu vergessen. Divyas brauchen im Allgemeinen oft Hilfe, und sei es nur zum Überleben; nur wenige von ihnen schaffen es, einen ganz normalen Job zu behalten, und Karriere fällt ihnen extra schwer. Auch Geld interessiert sie nicht besonders. Oft schädigen sie ihren Körper, wenn ihre rituelle Ekstase stärker ist als der gesunde Menschenverstand (sie trinken z. B. Ganges-Wasser oder bleiben zu lange in Hitze oder Kälte). Gelegentlich kann ihre Ansicht von ‘Ununterscheidbarkeit’ ihren Körper zerstören oder ihr Hab und Gut aufzehren. Divyas verleihen gerne Geld, das sie nur selten zurück bekommen, und nehmen sich selbst nicht so wichtig, was sie zu leichten Opfern macht. In solchen Fällen können Divyas durchaus von der materiellen Unterstützung durch Paśus abhängig werden.

      Mehrere Tantras weisen darauf hin, dass in unseren Tagen und unserem Zeitalter Vīras selten und Divyas noch viel seltener sind. Sie finden es schwer, in einer Welt zu existieren, die von materialistischen Idioten, Kriegstreibern, Profiteuren und Ausbeutern der Unschuldigen beherrscht wird. Mach jetzt eine Pause und stell Dir Dich selbst als alle drei Charaktere vor. Hier geht es nicht darum, Dich möglichst schnell in einen abgehobenen Heiligen zu verwandelt. Viel wichtiger ist geistige Flexibilität. Genau jetzt hast Du eine wundervolle Gelegenheit zu lernen, drei wirklich nützliche Rollen zu spielen. Wer oder was bist Du, wenn Du als Paśu, Vīra und Divya handelst? Wie gibt’s Du Dich, wie verhältst Du Dich, wie sind Deine Atmung, Deine Tonlage, Dein Energietonus, und welche Gefühle hast Du dabei? Zu welchen Zeiten spielst Du diese Rollen? Bei welchen Gelegenheiten? In welcher Gesellschaft? Welche Maske ist am nützlichsten für welche Aktivitäten? Wer bringt Dich dazu, pünktlich zur Arbeit oder nachts in den Wald zu gehen? Wer ist nützlich, um Verpflichtungen einzuhalten, und wer, um sie zu verlachen und loszulassen? Wer gibt sich hin, und wer schafft es, klare Grenzen zu ziehen? Wann wechselst Du von einem Bewusstsein ins andere? Woran bemerkst Du den Moment der Veränderung? Was würde Dir der Wechsel in eine andere Rolle bringen? Wie schnell kannst Du von einem Bewusstsein zum anderen schalten? Und was tut Dir jetzt wohl? Viel Spaß dabei.

       Dreieinhalb Bewusstseinszustände

      In den Upaniṣaden findest Du Versuche, die Art und Weise zu ordnen, wie Menschen das Multiversum erleben. Im klassischen Modell gibt es drei Grundzustände der Wahrnehmung. Diese Zustände sind grob bekannt als Tiefschlaf, Wachen und Träumen. Im Tiefschlaf bist Du Dir Deines Körpers, Geistes und Deines Selbst nicht gewahr. Alle Selbstdefinitionen hören auf zu wirken, aller Identitätssinn verschwindet, sowie alle Wahrnehmung und Aufmerksamkeit. In diesem Sinne ist traumloser Schlaf der Perfektion ziemlich nahe. Er ist nur eben leider nicht bewusst. Das Wachbewusstsein ist das, was Du mit Deinen Sinnen wahrnehmen kannst. Nun zeigen die Sinne die Welt nicht so, wie sie ist. Was sie liefern, ist eine angepasste und begrenzte Zusammenfassung Deiner Sinneswahrnehmungen, aufbereitet und modifiziert an Deinen Glauben daran, wie Realität sein sollte. Egal, wie gut Du hörst, siehst, spürst oder sonstwie die Welt wahrnimmst, was Dein Geist Dir zeigt, ist nur eine Darstellung. Egal, wer Du bist und was Du tust, Du lebst in einer künstlichen Repräsentation, und dies gilt für uns alle. Hier möchte ich noch darauf hinweisen, dass schon in der Upaniṣadenzeit die Sinneswahrnehmung als eine aktive Tätigkeit betrachtet wurde. Dein Auge sieht nach dieser Auffassung nicht, indem es Licht empfängt, sondern indem es einen Lichtstrahl aussendet, welcher die Welt des Sehbaren erschafft. Aus deinen Ohren kommt aktiv Gehör, und dieses erzeugt den Klang der Dinge. Die Nase macht den Geruch. Daher können große Yogīs Menschen z. B. mit ihren Augen berühren, segnen oder in sie eindringen. Es ist eine spannende Meditation, das in aller Ruhe bei einem Spaziergang zu erleben: alles was Du gerade empfindest, strömt nicht einfach in deinen Kopf hinein, sondern wird vielmehr von deinem Selbst bzw. dem Allselbst durch die Sinnesorgane nach außen projiziert. Träumen deckt im indischen Denken alle inneren Erfahrungen ab. Dies beinhaltet Träume im Schlaf und Träume im Wachen. Immer, wenn Du etwas denkst, geht Deine Aufmerksamkeit von der äußeren Welt weg und in eine innere Welt, die Du selbst machst. Auch dies ist eine aktive Tätigkeit. Manche nennen das denken, planen, spekulieren, erinnern, reflektieren oder imaginieren. Sie kalkulieren, befürchten, hoffen, sehnen, glauben, vermuten, zweifeln, ahnen, schauen innere Filme, hören sich innerlich sprechen und bekommen Gefühle dazu. Die Seher der Upaniṣaden nannten es träumen.

      Diese drei Zustände, so dachten die Seher, sind das Grundmaterial des göttlichen Spiels, das wir für unsere Realität halten. Dahinter oder darin gibt es einen geheimen Kern. Dieser ist der vierte Zustand, das Turīya (Vierter), welches als die Ursache aller Zustände betrachtet wird und diese gleichzeitig vereint und transzendiert. Turīya ist schwer zu definieren, weil jede Definition am Thema vorbeigeht. Es ist nicht einfach ein vierter Zustand, sondern eine mysteriöse Zwischenempfindung, an welcher die drei anderen Zustände durchaus beteiligt sein können. Stell Dir zum Beispiel vor, Du würdest gleichzeitig im Tiefschlaf, im Wachbewusstsein und am Träumen sein, und geh noch ein wenig über diese Empfindung hinaus. Daher wird es üblicherweise nicht als ein voller Zustand gezählt, sondern als ein halber. Dies gibt uns dreieinhalb Zustände, die den dreieinhalb Windungen der Kuṇḍalinī entsprechen. In der Literatur wird Turīya üblicherweise dadurch definiert, dass aufgezählt wird, was nicht ist. Sieh Dir einfach die klassische Beschreibung an, die im Mantra-Kapitel (unter Oṁ) gegeben wird. Es ist nicht einfach, auf etwas zuzugehen, was nicht definierbar ist. Man kann das Turīya nicht tun, erlangen, erreichen oder steuern. So lange es Anstrengung und Absicht gibt, gibt es noch Denken, Tun und Träumen und eine Person, die in diese Dinge involviert ist. Wie ist es mit dem Nichttun? Bedenke, dass der Weg zum Turīya ein innerer Weg ist, eine Rückkehr zur Quelle der drei anderen Zustände. Manche Autoren vergleichen das Turīya mit dem traumlosen Schlaf, in dem es kein Wachen oder Träumen gibt, weder in der äußeren noch in der inneren Welt. Anders als der traumlose Schlaf ist Turīya aber sehr wach. Wir haben jetzt dreieinhalb Zustände. Es gab auch Seher, denen das nicht genug war: sie fügten einen jenseits von Turīya hinzu, der das wirklich Absolute sein sollte. Doch diese Vorstellung hat sich nicht sonderlich durchgesetzt.

      Bild 22

      Lakṣmī-Statue

      Stein, wahrscheinlich Kajuraho.

      Um

Скачать книгу