Berliner Leichenschau. Horst Bosetzky

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Berliner Leichenschau - Horst Bosetzky

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vermutlichen Angehörigen abhalten ließen – und das erstaunlich gut bewältigt hatten.

      Die Gasproduktion in dem verfaulenden Leichnam führte zu einem starken Auftrieb im Wasser, was den versunkenen Leichnam nach einiger Zeit wieder an die Oberfläche brachte. Schwarz hatte in den vergangenen Jahren mehrfach Beschwerungen an Wasserleichen vorgefunden, die einen Auftrieb nicht verhindert hatten. Solche Gewichte verschiedenster Art aus Stein oder Metall wurden sowohl bei Selbsttötung als auch bei Mord angebracht. Sie mussten wie auch Fesselungen sorgfältig geprüft werden, um Hinweise für Selbst- oder Fremdanbringung zu gewinnen. Nur bei der Teil- oder sogar Ganz-Betonierung des Körpers, früher in amerikanischen Gangsterkreisen zur Beseitigung von Mordopfern in Gewässern beliebt, konnten kaum Zweifel aufkommen.

      Da Wasserleichen auf dem Bauch liegen, wenn sie frei treiben, Kopf und Gliedmaßen nach unten hängend, waren Aufdunsung und Verfärbung im Gesicht besonders ausgeprägt. In den filmischen Darstellungen von Wasserleichen, zum Beispiel bei großen Schiffskatastrophen, sah Schwarz häufig falsche Rekonstruktionen: Wasserleichen, die auf dem Rücken trieben. Dann konnte er sich nicht verkneifen zu kommentieren: »So haben wir als Kinder im Wasser Toter Mann gespielt, doch das entspricht leider nicht der Realität.«

      Als sein Haus in Sichtweite war, verdrängte Schwarz die unschönen Gedanken an den Tod im Wasser, welche der ungewöhnliche Mordfall ausgelöst hatte. »Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps!« Eigentlich liebte er das Wasser und schaute gerne aus seinem Häuschen auf die nahe Dahme. Doch noch mehr mochte er es, selbst in die Fluten zu springen – am liebsten war ihm die Ostseeküste. Wenn hier immer warme Sommertemperaturen herrschen würden, könnte er auf die beliebten Ferienziele am Mittelmeer, Atlantik oder Pazifik glatt verzichten! Aber so weit war die Klimaerwärmung noch nicht vorangeschritten.

      Es war zu einem Ritual geworden: Regelmäßig wanderten sie durch die Mark Brandenburg, immer an die zwanzig Kilometer und zumeist im Dutzend. Diesmal aber waren wegen der unerträglichen Hitze, unter der Berlin nun schon seit einer Woche zu leiden hatte, nur vier Gruppenmitglieder am Ausgangspunkt, dem Bahnhof Potsdam Park Sanssouci, erschienen: die Kulturjournalistin Medea Meier-Ebersbach, der Schauspieler Bo Rommerskirchen, der Architekt Ludger Krügelstein und seine Frau, die Grundschullehrerin Katharina Krügelstein.

      Katharina Krügelstein blickte misstrauisch zum Himmel hinauf. »Von Westen her scheint ein Gewitter heraufzuziehen.«

      Medea Meier-Ebersbach winkte ab. »Solange es nicht das Jünger’sche Stahlgewitter ist, kann ich damit leben.«

      Bo Rommerskirchen schaltete sich ein und rezitierte einige Zeilen aus Gottfried Kellers Gedicht Gewitter im Mai: »In Blüten schwamm das Frühlingsland, / Es wogte weiss in schwüler Ruh; / Der dunkle feuchte Himmel band / Mir schwer die feuchten Augen zu

      Ludger Krügelstein war währenddessen vollauf damit beschäftigt, sein GPS-Gerät in Gang zu setzen. Als ihm das nach einigen vergeblichen Versuchen endlich gelungen war, gab er das Kommando zum Abmarsch. »Wir wandern durch den Park Sanssouci, dann den Ruinenberg hinauf und durch die russische Kolonie zum Schloss Cecilienhof. Von dort geht es an der Havel entlang über die Glienicker Brücke zum Wirtshaus Moorlake, wo wir einkehren und zu Mittag essen können.«

      Sofort setzte sich die Gruppe in Bewegung, mit Ludger Krügelstein an der Tete, wie Medea Meier-Ebersbach es lachend ausdrückte. Er achtete anhand seines GPS-Gerätes streng darauf, dass die Gruppe die Geschwindigkeit von 4,5 Stundenkilometern nicht unterschritt. Tat sie das doch einmal, rief er den anderen zu, dass man eine Wandergruppe und keine Seniorengruppe sei, die vor ihrem Heim spazieren ging. »Ihr schiebt doch noch keinen Rollator vor euch her!«

      Die erste Verzögerung gab es, als Medea Meier-Ebersbach mit großer Geste eine mitgebrachte Kartoffel auf die Grabplatte Friedrichs des Großen legte und dabei aus seinen Randverfügungen zitierte.

      Für eine zweite Verzögerung sorgte Bo Rommerskirchen, der eigentlich Boris mit Vornamen hieß, aber nicht an Boris Becker erinnert werden wollte und deshalb die zweite Silbe wegließ. Da Bo ein schwedischer Vorname war, dachten viele, er käme aus dem Pippi-Langstrumpf-Land, was er gern mit dem Kalauer »Ich komme nicht aus Schweden, sondern aus Schwedt« kommentierte. Da er recht beleibt war, empfand er die Wanderung im Gegensatz zu den anderen als beschwerlich. Keuchend warf er sich, endlich oben auf dem Ruinenberg angekommen, ins Gras und verlangte eine Pause.

      Doch kurze Zeit später drängte der ruhelose Ludger Krügelstein zum Weitergehen. »Kinder, unsere Durchschnittsgeschwindigkeit ist schon auf 3,3 Stundenkilometer abgesunken! Manche Schildkröte ist schneller als ihr.«

      »Soll ich dich nun erschlagen«, brummte Bo Rommerskirchen, »oder reicht es, wenn ich dein blödes Gerät zertrete?«

      Trotz des Gejammers ging die Gruppe zunehmend schneller, denn die Gewitterfront rückte näher und näher. Ohne weiteren Zwischenhalt kamen sie bei der Glienicker Brücke an, und für Ludger Krügelstein, der jede Wanderung genauestens protokollierte, gab es diesmal nichts Bedeutendes zu notieren. Dann aber ereignete sich doch noch ein merkwürdiger Zwischenfall.

      Vor ihnen lief eine Joggerin mit auffallend knapp geschnittener Kleidung, als plötzlich ein Radfahrer neben ihr hielt, absprang und sie festhalten wollte.

      »Lass mich in Ruhe!«, schrie die Joggerin, stieß den Mann zur Seite und lief weiter Richtung Moorlake.

      Der Mann schwang sich wieder auf sein Rad, kehrte um und radelte an ihnen vorbei zurück zur Glienicker Brücke.

      Sie hätten das Ganze wohl noch des Längeren diskutiert, wäre nicht in diesem Moment ein Sturm losgebrochen, der sie, als seien sie trockene Blätter, das Havelufer entlangwehte. Und schon setzte ein Platzregen ein, der Donner rollte derart, dass ihnen das Trommelfell zu platzen drohte, und kurz hinter ihnen fuhren schon die ersten Blitze nieder. Mit Müh und Not und schon ein wenig durchnässt, erreichten sie das Wirtshaus Moorlake und waren erst einmal in Sicherheit. Wie die Medien später berichten sollten, waren sie in eines der schwersten Gewitter geraten, die Berlin seit Jahren erlebt hatte.

      Hungrig von der Wanderung, bestellten sie sich rasch etwas zu essen und zu trinken. Die beiden Männer entschieden sich für Bollenfleisch.

      Katharina Krügelstein fragte, ob denn alle wüssten, was im Berlinischen Bollen seien.

      »Na, Bollen sind Zwiebeln«, war die Antwort von Medea Meier-Ebersbach. »Und so nennt man auch die Löcher in den Strümpfen.«

      »Das stimmt, aber Bollen bedeuten auch noch Hoden. In Zilles Hurengesprächen etwa tritt eine Frau namens Bollenjuste auf.«

      »Ah«, rief Bo Rommerskirchen, »daher also kommt der Ausdruck ›Du kannst mir mal die Bollen lecken‹.«

      Medea Meier-Ebersbach verzog angewidert die Nase, worauf Bo Rommerskirchen herzlich lachte.

      Während sie aßen, zog das Gewitter langsam ab, und als Ludger Krügelstein nach dem letzten Bissen auf sein GPS-Gerät blickte, schrie er erschrocken auf. »Unser Gesamtschnitt ist auf 2,9 Kilometer pro Stunde abgesunken. Nun aber los!«

      »Aber bitte mit ’ner Taxe!«, erwiderte seine Frau. »So quatschnass, wie ich noch immer bin, wandere ich nicht gern.«

      »Das kommt nicht in Frage!«, rief Bo Rommerskirchen, der sich wegen seines Geizes bei den anderen schon öfter unbeliebt gemacht hatte. Aber es war nur seine Erfolglosigkeit als Schauspieler, die ihn zur Sparsamkeit zwang.

      »Ich habe ebenfalls keine Lust, bis zum S-Bahnhof

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