Berliner Leichenschau. Horst Bosetzky
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Der Vorschlag wurde mit einer Gegenstimme angenommen, nur Ludger Krügelstein hatte missmutig dagegen gestimmt, denn er hätte zu gern auch heute seine zwanzig Kilometer geschafft. Sie zahlten und machten sich sogleich auf den Weg Richtung Süden. Ludger Krügelstein hatte eine Karte bei sich, und so lag die Wahrscheinlichkeit, sich zu verlaufen, nur bei 27, 23 Prozent, wie seine Frau einmal anhand seiner bisherigen diesbezüglichen Heldentaten ausgerechnet hatte.
Als sie den Punkt erreicht hatten, wo es rechts hinter dem Schneewittchenweg etwas aufsteigend zum Finkenberg ging, hielt Bo Rommerskirchen plötzlich inne. »Da liegt doch jemand!«, rief er den anderen zu.
Jetzt erkannten auch sie den leblosen Frauenkörper, der gekrümmt am Fuße einer mächtigen Buche lag. Der Sportkleidung nach musste es sich um eine Joggerin handeln.
Da sich den gesamten Stamm der Buche eine schwarze Furche hinunterzog, schien offensichtlich, was sich hier ereignet hatte: Die Frau hatte Schutz vor dem gewaltigen Gewitter gesucht und war vom Blitz erschlagen worden.
»Buchen sollst du suchen …«, murmelte Medea Meier-Ebersbach.
Katharina Krügelstein, die einen Kurs in Erster Hilfe mitgemacht hatte, zog einen kleinen Spiegel aus dem Rucksack und hielt ihn der Joggerin vor den Mund. »Nichts. Die dürfte es erwischt haben.«
Trotzdem forderte ihr Mann per Handy Feuerwehr und Notarzt an.
Die morgendliche Zeitungslektüre gehörte für Gunnar Granow zu seinen dienstlichen Pflichten, denn als Mitglied einer Mordkommission konnte man auf Dauer nur erfolgreich sein, wenn man ganz genau wusste, was in Berlin Tag für Tag geschah. Sein Anspruch, zu den gebildeten Ständen zu zählen, verbot ihm eigentlich die Lektüre aller Boulevardzeitungen, doch da bei einer von ihnen sein junger Freund Charly Packebusch tätig war, las er sie dennoch – schon wegen der literarisch so wertvollen Überschriften. Eine der heutigen besagte: 42-jährige Dichterin Verena Löwe aus Wannsee in der Nähe des Schäferbergs vom Blitz erschlagen.
Dies hätte ihn nun nicht weiter interessieren müssen, denn Unfälle fielen nicht in sein Ressort, und den Herrgott konnte man schwerlich wegen fahrlässiger Tötung eines Menschen vor Gericht stellen. Doch in der darauffolgenden halben Stunde gab es zwei Anrufe, die dies änderten.
Der erste kam von einem Architekten namens Krügelstein und schien im ersten Augenblick nicht weiter von Bedeutung zu sein.
»Ich war gestern mit meiner Wandergruppe unterwegs«, berichtete ihm Herr Krügelstein, »und wir haben die Frau gefunden, die womöglich vom Blitz erschlagen worden ist.«
»Sie meinen wohl den Unfall in der Nähe des Schäferbergs«, murmelte Granow.
»Es sah tatsächlich alles nach einem Blitzschlag aus«, fuhr Krügelstein fort. »Allerdings ist mir heute früh eingefallen, dass wir auf dem Weg zwischen der Glienicker Brücke und dem Wirtshaus Moorlake eine kleine Szene beobachtet haben. Da hat ganz offensichtlich ein Radfahrer eine Joggerin belästigt. Das war kurz vor dem Gewitter.«
»Und – ist er ihr gefolgt?«
»Nein, er ist dann in die andere Richtung gefahren.«
Granow überlegte einen Augenblick. »Haben Sie denn in der Toten unter der Buche vielleicht die Joggerin wiedererkannt, die belästigt worden ist?«
»Nein, wir hatten sie nur von hinten und aus einiger Entfernung gesehen. Aber von der Kleidung her könnte sie es durchaus gewesen sein. Sie trug eine dunkle Jacke und eine blaue Hose, mit Regenbogenfarben abgesetzt.«
»Vielen Dank, Herr Krügelstein, wir werden der Sache nachgehen.«
Damit wäre der Fall für Granow möglicherweise bereits erledigt gewesen, wenn die Kriminalassistentin Theresa Marotzke, die ihm gegenüber den Sportteil seiner Zeitung las, nicht mitgehört hätte. »Sag mal, das müsste dich doch an etwas erinnern …«
»Dass ich mal mit dem Rad hinter einer Joggerin hergefahren bin?« Er lachte. »Aber das war meine Frau. Und die hatte damals Angst, dass sie auch …« Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und rief: »Mensch, die ermordete Joggerin im Spandauer Forst!« Am 20. Juni 2009 war eine 39-jährige Psychologin von einem Mann ermordet worden, der mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einem roten Fahrrad unterwegs gewesen war. Bis heute hatte man den Mann nicht finden können.
Während sie noch über diesen Mordfall und mögliche Parallelen diskutierten, kam der zweite Anruf.
»Mein Name ist Jocelyn Naumann«, sagte die Frau am Apparat. »Ich bin die Schwester von Verena Löwe, die vom Blitz erschlagen worden sein soll. Ich möchte zu der Angelegenheit eine wichtige Aussage machen.«
»Bitte, ich höre …«
»Verstehen Sie, ich möchte nichts sagen, wenn jemand mithören kann. Kommen Sie doch bitte zu mir nach Hause!« Sie nannte noch ihre Adresse, dann legte sie auf.
Granow rang eine Weile mit sich. Was ging ihn die Sache eigentlich an? Das roch doch alles nur nach Wichtigtuerei. Aber auf der anderen Seite sagte ihm sein Gefühl, dass da womöglich doch nicht alles mit rechten Dingen zuging. Er sah seine junge Assistentin an. »Komm, fahren wir mal schnell zum Ku’damm!«
Theresa Marotzke verzog das Gesicht. »Wenn’s unbedingt sein muss …« Als geborene Neuköllnerin fühlte sie sich am Kurfürstendamm nicht sonderlich wohl. Hier wohnten Menschen, die ein Vielfaches mehr verdienten als sie und sich oft für etwas Besseres zu halten schienen.
Beide trugen sie der Armut des Landes Berlin Rechnung, indem sie auf ein dienstliches Fahrzeug verzichteten und mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu Tatorten und Vernehmungen fuhren. Früher hatten sie sich noch Freifahrscheine geben lassen, jetzt nutzten sie ihre privaten Monatskarten. So stiegen sie am S-Bahnhof Halensee aus, um von dort über die Westfälische Straße zur Joachim-Friedrich-Straße zu gelangen, wo nahe dem Kurfürstendamm die Schwester der Löwe wohnen sollte.
Der Hauseingang wirkte so feudal, dass sich Granow an das alte Berliner Stadtschloss erinnert fühlte. Sie stiegen die vornehme Treppe hinauf und klingelten bei Jocelyn Naumann.
Eine verhutzelt aussehende Frau öffnete ihnen sogleich die Tür. Frau Naumann wirkte recht verbittert – warum, sickerte in dem Gespräch mit den Beamten bald durch: Sie hatte stets im Schatten ihrer erfolgreichen Schwester gestanden. Ihre Gedichtbände waren weithin unbeachtet geblieben, den letzten hatte sie sogar selbst finanzieren müssen.
Granow brachte das Gespräch auf ihre verstorbene Schwester und deren Ehemann. »Leonhard Löwe ist Makler?«
»Ja, und er hat mit seiner Firma eine Menge Geld gemacht. Aber in letzter Zeit ist sein Geschäft nicht mehr gut gelaufen, doch er hatte eine Menge Ausgaben – für seine Yacht, für seine teuren Autos, für seine noch teureren Geliebten.«
»Und Ihre Schwester?«, fragte Theresa Marotzke.
»Sie wusste davon. Deshalb wollte sie sich auch scheiden lassen und hat Unterhaltszahlungen gefordert, die Leonhard in die Insolvenz getrieben hätten. Ich glaube, für ihn ist der Blitzschlag gerade zur rechten Zeit gekommen.«
Granow fixierte die Schwester der Toten. »Wollen Sie damit sagen, dass Sie nicht ausschließen, dass Leonhard Löwe ein wenig nachgeholfen hat?«
»Das ist