Froststurm. Jan-Tobias Kitzel
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Читать онлайн книгу Froststurm - Jan-Tobias Kitzel страница 17
Ben breitete die Arme aus, ließ sie aber schnell wieder sinken, als sie ihn düster anfunkelte.
»Hey, komm schon. Ich weiß selbst nicht, was da gelaufen ist.«
»Ach nein, auf einmal weiß Mister Allwissend mal nicht weiter?! Ist ja was ganz Neues!« Das Blut stieg ihr in den Kopf.
Sein Mund blieb halb offen stehen, dann zogen sich seine Augenbrauen zusammen.
»Jetzt hör mal zu. Hätte ich dich besser den Bullen überlassen sollen, anstatt dich aus ihren Händen zu retten? Kannst du haben! Geh einfach zu ihnen. Dank deines Laptops und deines Rucksacks wissen sie ja auch gar nicht, wer du bist ...«
Sein Kopf flog nach links, die Ohrfeige hatte er nicht kommen sehen. Regina rannte in die andere Ecke des Raums, ließ sich an der Wand zu Boden sinken und vergrub ihren Kopf in den Armen.
Die Minuten verstrichen. Dann setzte sich Ben neben sie und legte den Arm um ihre Schulter. Erst versteifte sie sich, dann ließ sie ihn gewähren und die Tränen fließen.
Ben strich ihr sanft über den Kopf.
»Komm schon, wir schaffen das. Ich kenne Leute, die uns neue Identitäten besorgen können. Wir fangen einfach noch mal von vorne an. Und du kannst nicht gerade behaupten, dass du deinem Traumjob ewig hinterher trauern wirst«, und knuffte ihr in die Seite.
Sie lachte, wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht. Wie sie wohl aussah ... völlig egal in diesem Moment. Regina kuschelte sich an seinen Arm. Seinen starken Arm. Und schloss die Augen.
»Und wie geht es jetzt weiter?«
Ben küsste sie auf den Kopf und sagte: »Jetzt hören wir erst mal bei den anderen nach, wie sie aus der Scheiße herausgekommen sind. Oder ob wir vor unserem Besuch beim Türken noch zum Baumarkt müssen, um eine Metallsäge für die Gitter zu besorgen.«
»Du kannst auch nicht einen Moment ernst bleiben«, schalt sie ihn.
»Nein. Wenn du in meiner Nähe bist, verliert das Leben an Ernsthaftigkeit.«
»Alter Charmeur.«
Dann stand sie auf und reichte ihrem Adonis die Hand.
»Dann lass uns mal, bevor wir hier endgültig in Tränen versinken.«
Er lächelte zu ihr hoch, griff ihre Hand und ließ sich hochziehen. Sie umarmten und küssten sich.
Es musste einfach weitergehen. Und Ben hatte Recht. Wenn Sie es genau bedachte, war ihr altes Leben nichts, dem sie ewig hinterhertrauern würde. Teile davon würden ihr fehlen. Das Gros aber nicht. Aber konnte Sie als Flüchtling leben? Immer den Kopf unten halten, falsche Identitäten benutzen, immer den Atem der Verfolger im Nacken? Sie schüttelte innerlich den Kopf, alles war so kompliziert geworden. Ein Seitenblick zu ihrem Traummann, dessen Augen selbst in diesem Moment siegessicher strahlten. Hauptsache, er war bei ihr.
»Ischar ist nirgendwo aufzufinden«, sagte Mike und schüttelte den Kopf. Wie eine Klischee-Verschwörer Truppe standen Sie unter dem Bahnhofsvordach, in Reichweite von Taxistation, U-Bahn und mehreren Fluchtmöglichkeiten in alle Richtungen.
»Ich hab auch nichts von ihm gehört«, pflichtete Kevin bei und nippte an seinem Kamps-Kaffee.
Ben warf Regina eine Brötchentüte zu und gesellte sich zu der Truppe.
»Die Bullen haben ihn nicht, da sind meine Informanten absolut sicher.« Die letzten Worte gingen fast im Schmatzen unter, als Ben in sein Bulettenbrötchen biss. Das beste Essen seit Tagen.
Sie standen schweigend beisammen, Nieselregen zog Schlieren über die Welt. Der dumpfe, allgegenwärtige Verkehrslärm übertönte leisere Gespräche.
Mike brach als erster das Schweigen. »Ich sprech es ja nur ungern aus. Aber wir müssen davon ausgehen, dass das mit den Bullen kein Zufall war. Unsere Truppe ist aufgeflogen.«
Er sprach den Fakt so kühl, fast berechnend aus. Regina schauderte, auch wenn sie Mike mittlerweile gut genug kennengelernt hatte, um zu wissen, dass er in Krisensituationen so reagierte. Ben nannte ihn manchmal »den Vulkanier«. Das passte – wenn es hart auf hart kam. Sonst war auch Mike ein Spaßvogel.
Ben nickte und auch von Kevin kam zwischen zwei Schlucken Kaffee ein zustimmendes Brummen. Wortkarg wie so oft.
»Also?«, fragte Regina in die Runde.
»Also?«, erwiderte Ben und zuckte mit den Achseln. »Wir machen weiter, oder?«
Mike schaute Ben an, zögerte einen Moment, nickte dann fast unmerklich.
»Die ganzen schlauen Sprüche hätten wir uns sparen können, wenn wir schon beim ersten wirklichen Ärger den Schwanz einziehen und zu den McDonalds-Jüngern desertieren.« Der Öko drückte einige hartnäckige Strähnen seines dunkelblonden Haares wieder unter die Norweger-Mütze, die er sich so weit wie möglich ins Gesicht zog. Im wärmsten Winter seit Menschengedenken. Sie sahen wirklich aus wie die Archetypen einer Verschwörergruppe. Warum riefen sie nicht gleich nach den Jungs in Grün?
Kevin nippte weiter an seinem Kaffee, die Sekunden verstrichen. Ein LKW fuhr brummend vorbei. Dann ließ er den Pappbecher sinken und schaute in die Runde. »Ich bin mir nicht sicher. Ganz ehrlich, Jungs. Wir werden eh in der nächsten Zeit die Köpfe unten halten müssen, bis die Bullen ihr Interesse an uns verloren haben. Wenn wir nicht unsere komplette Identität wechseln wollen samt neuem Ausweis und so, werden wir umziehen müssen. Da weiß ich nicht, ob wir uns den Ärger neuer Aktionen in dieser Zeit wirklich aufladen sollten.«
Regina hatte sich bei Ben eingehakt und spürte, wie er die Faust in der Tasche ballte.
»Du willst also die Umweltverschmutzer für ein ›paar Monate‹ gewähren lassen? Die Natur hat auch keinen Urlaub, Kevin!« Er spuckte den Namen fast aus, wie ein Schimpfwort.
Der Dürre zuckte zusammen, blickte schuldbewusst zu Boden.
»Ich sag doch nur für kurze Zeit. Nicht ewig. Dann machen wir natürlich weiter, egal ob hier oder woanders in Deutschland.«
Ben ging zu seinem Mitstreiter, hielt ihn an den Oberarmen fest und schaute ihm ins Gesicht.
»Ich brauche dich, Mann. Ohne dich können wir nicht weitermachen. Wir haben das hier zusammen angefangen, also müssen wir es auch gemeinsam zu Ende bringen. Dass wir in dieser beschissenen Welt des Kommerz und Politikbetrugs am Ende wohl kaum als strahlende Helden in den Sonnenuntergang reiten würden, war uns allen klar.«
Kevin konnte den Blick seines Anführers nicht aushalten und schaute zu Boden. Dann nickte auch er und aus der Umklammerung wurde ein Umarmen. Bens Laune machte einen 180-Grad-Turn und er lachte seinen Mitstreitern zu.
»Wir schaffen das, gemeinsam.«
Regina schluckte. Die letzten Worte ihres Adonis hatte sie sich so bisher nie klar gemacht. Wohin führte ihr Weg, wenn man ihn mal zu Ende dachte? Letztlich doch ins Gefängnis. Oder ein »ewiges«- und wahrscheinlich kurzes – Leben im Untergrund, dauernd auf der Flucht. War es das, was sie wollte? Gab es noch eine Abfahrt »normales Leben«?
Ben