einer neuen Welle der wirtschaftlichen Restrukturierung führen, wobei einige Unternehmen auch verschwinden werden. Andere werden schnell Konzentrationsprozesse erleben, und einige werden auch auf den regionalen Markt ausweichen, wo sie bisher nicht zu finden waren und ihre Rettung im Osten suchen, wo sie bisher auch nicht präsent waren. So schätzt man, dass etwa 20 Prozent vor allem der Industrie entweder zusperren oder sich umstrukturieren müssen.“ Das wird den kroatischen Arbeitsmarkt weiter belasten. 2013 war jeder fünfte arbeitsfähige Kroate bereits erwerbslos, und die Jugendarbeitslosigkeit ist mit etwa 40 Prozent die dritthöchste hinter Spanien und Griechenland. Mit Hellas teilt sich Kroatien auch die niedrigste Beschäftigungsrate in der EU, die nur zwischen 50 und 55 Prozent der Bevölkerung liegt. Hinzu kommt, dass die Regierung kaum Geld für Konjunkturprogramme hat, weil die Staatsverschuldung inklusive Staatsgarantien, aber ohne die betriebliche Verschuldung ohnehin schon bei 72 Prozent der Wirtschaftsleistung liegt, und der Plan für das Budgetdefizit des Jahres 2013 bereits im ersten Halbjahr überschritten wurde. Angesichts all dieser Probleme und wegen des Fehlens einer klaren Reformstrategie setzte die Rating-Agentur Standard & Poors ihren Ausblick für Kroatien im August 2013 auf negativ herab. Das grundlegende Problem des Landes besteht in seiner De-Industrialisierung, die mit dem Krieg begonnen hat und sich im Grunde bis heute fortsetzt. Dazu beigetragen haben eine verfehlte Privatisierung sowie das Fehlen einer industriellen Entwicklungsstrategie, daher bezeichnete ein Kommentator Kroatien auch als „größtes europäisches Einkaufszentrum mit Zugang zum Meer“.13) Aus diesem Grund könnte Kroatien von einer wirtschaftlichen Erholung in der Euro-Zone auch kaum profitieren, erläutert Zdeslav Šantić: „Die Schwäche zeigt sich am besten daran, dass nach Albanien in dieser Region bei Kroatien die Warenausfuhr den geringsten Anteil an der gesamten Wirtschaftsleistung ausmacht. Daher haben Modelle keine Grundlage, die die Überwindung der Krise durch ausländische Nachfrage vorsehen. Alle Probleme in Kroatien bestehen bereits seit Jahren. So war die einzige bedeutende wirtschaftliche Reform der vergangenen 15 Jahre die Pensionsreform, und auch die wurde nicht bis zum Ende durchgezogen, sondern abgebrochen.“ Neben allen wirtschaftlichen Problemen hat sich Kroatien aber gleich zu Beginn seiner Mitgliedschaft politische Probleme mit Deutschland und der EU eingehandelt, die dazu beitrugen, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Teilnahme an den Beitrittsfeierlichkeiten absagte. So weigert sich die Regierung, den ehemaligen Geheimdienstoffizier Josip Perković auszuliefern, der seine Karriere im kommunistischen Jugoslawien begann und dann im unabhängigen Kroatien fortsetzte, in dem es im Grunde nie zu einem wirklichen klaren Elitenwechsel kam.14) Die deutsche Justiz wirft Perković vor, in den Mord an einem Auslandskroaten verwickelt zu sein, und hat einen Haftbefehl ausgestellt. Die EU droht Kroatien daher mit der teilweisen Blockade von Finanzhilfen, sollte die Regierung nicht einlenken. Dafür bestehen zwar nun ernsthafte Anzeichen, trotzdem macht der Fall Perković deutlich, dass manche Politiker in Kroatien erst noch lernen müssen, dass die Worte Balkan und Brüssel zwar mit demselben Buchstaben beginnen, Brüssel aber vor allem bei kleinen Mitgliedsländern eine derart offensichtliche Missachtung von EU-Recht nicht duldet. Ungeachtet dessen bleibt es der Balkan, wo Kroatien, wenn überhaupt, für die EU eine gewisse politische Rolle für „die Letzten“ spielen kann, weil seine Erfahrungen bei den Verhandlungen natürlich für andere Beitrittswerber nützlich sind. Obwohl die kroatische Wirtschaft in hohem Ausmaß „euroisiert“ ist15), bestehen kaum Chancen, dass Kroatien bis zum Ende des Jahrzehnts die Kriterien für den Beitritt zur Eurozone erfüllen wird. Schon aus diesem Grund, sind Befürchtungen völlig fehl am Platz, die EU könnte sich mit Kroatien ein zweites Griechenland eingehandelt haben. Außerdem hat Kroatien ein stabiles Bankensystem und eine Verschuldung, die deutlich niedriger ist als die Griechenlands. Ob es zur wirtschaftlich schwachen Peripherie gehören oder zum Kern gut entwickelter Staaten aufsteigen kann, wird die Zukunft weisen. 2013 erreichte Kroatiens Kaufkraft jedenfalls nur 23 Prozent des Kaufkraftniveaus in Österreich, und kroatische Experten schätzen, dass Kroatien erst 2020 wieder die Wirtschaftsleistungen des Jahres 2008 erreichen wird. Zu erwarten ist, dass die Krise in Kroatien zunächst noch zunimmt, ehe sich die Lage mittelfristig wohl bessern wird. Für jahrelang versäumte Reformen steht Kroatien in der EU nun ein schmerzlicher Anpassungsprozess bevor.
Die Affäre um den Geheimdienstoffizier Josip Perković konfrontierte Kroatien mit seiner kommunistischen Erblast und führte zu Verstimmungen mit Berlin und Brüssel
Lichtermeer zum Gedenken an die Opfer in Vukovar
VUKOVAR
Heldenstadt zwischen Krieg und Krise
Vukovar liegt an der Mündung der Vuka in die Donau, die auch die Grenze zu Serbien bildet. Die Stadt ist Siedlungsgebiet seit prähistorischer Zeit. Einer Urkunde aus dem Jahre 1231 ist zu entnehmen, dass die Region von Deutschen, Ungarn und Kroaten bewirtschaftet wurde, und nach der Volkszählung aus dem Jahre 1900 hatte Vukovar damals 10.400 Einwohner: 4.000 Kroaten, 3.500 Deutsche, etwa 1.900 Serben und 950 Ungarn. Der Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie im Jahr 1918 und insbesondere der Zweite Weltkrieg beendeten durch Mord, Flucht und Vertreibung 700 Jahre deutscher und jüdischer Siedlungsgeschichte. Um diese Tatsache kommt auch ein Büchlein in kroatischer Sprache1) nicht ganz herum, obwohl es die Ursachen für das Verschwinden dieser Teile der Bevölkerung verschweigt.
Vukovar muss während der Regierung der Habsburger eine liebliche Kleinstadt gewesen sein. Davon zeugt die historische Bausubstanz, die trotz aller Kriege und Katastrophen nicht völlig vernichtet wurde. Hervorzuheben ist das Schloss der Grafen von Eltz, das zu den schönsten Barockbauten Kroatiens zählt. Nach 1945 enteignet und bis heute nicht restituiert, beherbergt das Schloss seit 1948 das Museum der Stadt. In seinem Depot findet man auch zwei großformatige Porträts des vorletzten Kaiserpaares Franz Joseph I. und Elisabeth. 1991 im Krieg schwer beschädigt, wurde das Schloss nun wieder aufgebaut und bietet einen überwältigenden Blick über die Donau. An der Uferpromenade gibt es Cafés und Restaurants sowie das Denkmal für die Verteidiger der Stadt. Immer weniger zerstörte Bauten sind in Vukovar zu sehen; dass es sie auch fast 20 Jahre nach Kriegsende immer noch gibt, hängt damit zusammen, dass viele Eigentümer nicht mehr zu ermitteln sind. Derartige Ruinen stehen ausgerechnet in der Straße, die den Namen Franjo Tudjman trägt und damit nach dem ersten Präsidenten des unabhängigen Staates Kroatien benannt ist. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, weil man meinen könnte, dass angesichts der Verehrung, die Tudjman bis heute zuteil wird, der ehemalige Partisanengeneral und kroatische Staatsgründer eine bessere Straße verdient hätte. Während diese „Wunden“ langsam aber doch heilen, wurde die größte Bausünde offenbar beim Wiederaufbau begangen: Ein hässlicher Glasbau im Zentrum, der im Verhältnis zur Architektur aus der Zeit der Habsburger sprichwörtlich wie die Faust aufs Auge wirkt und in dem der Bürgermeister residiert.
Das größte Problem der Stadt Vukovar ist heute aber nicht die Kriegszeit, sondern die soziale und wirtschaftliche Krise, die im Grenzgebiet zu Serbien noch viel stärker zu spüren ist als in der Hauptstadt Agram oder gar in Istrien, das vom Tourismus lebt. Im Jahr 2012 verzeichnete Vukovar nach Angaben der örtlichen Zweigstelle der kroatischen Wirtschaftskammer zwar keine einzige ausländische Direktinvestition, aber eine bedeutende Privatisierung. Deshalb gibt es einige gut funktionierende Betriebe, die Landmaschinen, Kunstdünger, Pellets aus Biomasse und Leichtflugzeuge aus Holz produzieren. Diese Investitionen sind aber bisher zu gering, um den Wohlstand zurückzubringen, der vor dem Krieg herrschte, als Vukovar nach dem slowenischen Marburg zur zweitreichsten Stadt im ehemaligen Jugoslawien zählte. So beschäftigte Borovo, die größte Schuhfabrik Jugoslawiens, in den 1980er Jahren 20.000 Mitarbeiter bei einer Einwohnerzahl von 44.000. Jetzt sind es nur noch 1.000, Vukovar zählt nur mehr 28.000 Einwohner, und viele Produktionshallen sind nach wie vor