Brennpunkt Balkan. Christian Wehrschütz

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Brennpunkt Balkan - Christian Wehrschütz

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      Modernisierungsdruck durch die EU

      Generell bedeutet der Beitritt zur Europäischen Union eine enorme Herausforderung für die Modernisierung eines Landes, das seine Gesetzgebung an das Brüsseler Regelwerk anpassen muss. Zwischen 2008 und 2010 soll Kroatien etwa 1.200 Gesetze verabschiedet haben, deren Implementierung durch die Verwaltung wohl noch ihre Zeit brauchen wird.12) Dasselbe gilt für die Modernisierung der Justiz, und daher klagen etwa österreichische Firmen nach wie vor darüber, dass Verfahren vier oder fünf Jahre dauern und dass bei Arbeitsgerichtsprozessen auch in eindeutigen Fällen in erster Instanz oft zugunsten des klagenden Arbeitnehmers entschieden wird. Nach wie vor ein Problem ist natürlich die Korruption, die allerdings nicht mehr so offen in Erscheinung tritt, wie der österreichische Handelsdelegierte in Agram, Roman Rauch, betont: „Was ich in vier Jahren erlebt habe, ist, dass die Offensichtlichkeit, mit der die Hand aufgehalten worden ist, weitgehend verschwunden ist. Aber was es natürlich weiterhin gibt, ist das, was ich, stille Korruption‘ nenne, wo schwer zu unterscheiden ist, ob es sich jetzt um Unfähigkeit, Unwillen oder Warten auf irgendwelche Hilfsmittel handelt. Sprich:, Ich warte auf Entscheidungen, ich brauche dringend Genehmigungen, habe schon investiert, die Bagger sind schon aufgefahren, aber die Entscheidungen kommen einfach nicht.‘ Für mich ist das doch noch ein Zeichen, dass man darauf wartet, mit Hilfe von Transfers etwas zu beschleunigen, nur halt nicht mehr so offensichtlich wie in der Vergangenheit.“

      Von der Legislative, der Justiz und der Verwaltung abgesehen erzwang der EU-Beitritt eine Modernisierung der gesamten Gesellschaft, die von der Bildung neuer Institutionen bis hin zur Anpassung der Betriebe an die EU-Standards reicht. Dazu zählt der mit österreichischer Unterstützung erfolgte Aufbau einer Zahlstelle, die die EU-Förderungen an die Bauern überwacht. Dazu braucht man ein Satellitensystem, Landkarten, ein Identifikationssystem, damit man die Landflächen bestimmen kann, auf denen jeder Bauer sein Feld hat und was er dort anbaut sowie ob die Angabe, die am Förderformular gemacht wurde, mit dem übereinstimmt, was tatsächlich auf dem Acker wächst, um Förderbetrug so weit wie möglich zu verhindern. Mit fünf bis sechs Hektar sind viele bäuerliche Betriebe in Kroatien aber zu klein, um dem Wettbewerb in der EU standhalten zu können. Hinzu kommt das Fehlen einer starken Landwirtschaftskammer, die beim Ausfüllen von Förderanträgen helfen könnte. Ein Manko, dessen Folgen der österreichische Landwirtschaftsattaché in Kroatien, Christian Brawentz, so beschreibt: „Das ist auch eine der großen Sorgen bei der Umsetzung der Fördermöglichkeiten der EU in Kroatien. Die vielen kleinen Bauern, die es hier gibt, werden mit der EU-Bürokratie und mit dem Wissen, das dafür nötig ist, einen Antrag auszufüllen, wahrscheinlich nur schwer zurande kommen. Dazu ist zu sagen, dass die kroatischen Bauern im Vergleich zu anderen Bevölkerungsschichten relativ wenig höhere Bildung haben. Wir reden da von unter drei Prozent der Bauern, die eine entsprechende Universität oder fachliche Schulen absolviert haben. Die Förderanträge für die Union sind komplex. Auch in Österreich ist es so, dass hier Profis den Leuten zur Hand gehen, deshalb ist es fraglich, ob Kroatien vom EU-Beitritt auf dem landwirtschaftlichen Sektor profitieren kann.“

      Die Herausforderungen nach dem Beitritt

      Bis 2020 kann Kroatien aus diversen Fördertöpfen der EU mit knapp zwölf Milliarden Euro rechnen, das entspricht mehr als einem Viertel der Wirtschaftsleistung des Landes von 2013; doch bisher fehlte es an einer ausreichend großen Zahl an Experten, um Großprojekte EU-konform einreichen und abwickeln zu können. Die Förderungen braucht Kroatien aber dringend, um etwa die Umweltstandards der EU von der Abfallbewirtschaftung über die Kanalisation bis zu Kläranlagen zu erfüllen. Auf diesem Gebiet hat das Land im Beitrittsvertrag die längsten Übergangsfristen erhalten, doch die Herausforderungen sind enorm, wie die ehemalige Umweltministerin Mirela Holy unterstreicht: „Kroatien hat nach wie vor mit der Abfallbewirtschaftung die größten Probleme. Hinzu kommt, dass in der Mehrheit der Gemeinden Kläranlagen fehlen. Schätzungen besagen, dass Kroatien etwa zehn Milliarden Euro investieren müsste, um die Umweltstandards in der EU zu erreichen. Ein Großteil davon, drei bis vier Milliarden, entfällt auf funktionierende Systeme zur Beseitigung von Altmaterial. Das ist eine große Belastung für uns, und da hoffen wir natürlich auch auf Mittel aus EU-Fonds. Doch bis jetzt (Frühsommer 2013, Anm.) haben wir noch kein einziges Zentrum für Mülltrennung und Wiederverwertung. Es sind zwar drei derzeit im Aufbau, aber die Mehrzahl der Projekte gibt es erst auf dem Papier.“

      Kroatien ist daher bemüht, mehr Experten heranzubilden, die derartige Projekte umsetzen können. Vor dem Beitritt hat die Regierung auf diesem Gebiet allerdings viel versäumt. Aus dem Vorbeitrittsfonds IPA konnte Kroatien bis Dezember 2012 nur 33 Prozent der verfügbaren Mittel abrufen, bei anderen Fonds war die Quote etwas besser. EU-Mittel erfolgreich für die Modernisierung nutzen konnte die Firma Gala in der Stadt Bjelovar, 80 Kilometer nordöstlich von Agram. Die Hennen von Gala legen 140.000 Eier pro Tag, die Firma ist einer der drei großen Produzenten in Kroatien. Doch die Käfige waren zu klein und entsprachen ebenso wenig den EU-Standards wie die Lagerung des Stallmists. Ihm werden nun durch ein Tunnelsystem 80 Prozent der Feuchtigkeit entzogen, wodurch nun weder eine Geruchsbelästigung noch eine Belastung der Umwelt entsteht. Auch die Haltung der Hennen wurde durch größere Käfige, eine Stange zum Sitzen und ein Nest zum Eierlegen verbessert. Das von der EU mitfinanzierte Projekt dauerte vier Jahre. Bis zum Ende der Übergangsfrist am 1. Juli 2014 dürften bis zu 80 Prozent der Eierproduzenten diese EU-Standards erreicht haben, die allerdings unter den noch strengeren Standards in Österreich liegen. Einen so hohen Prozentsatz erfüllen nicht einmal alle Altmitglieder, obwohl die entsprechende EU-Vorschrift aus dem Jahre 1999 stammt und konventionelle Käfighaltung seit Jänner 2012 in der EU verboten ist. So klagte die EU-Kommission Italien und Griechenland vor dem Europäischen Gerichtshof, weil die beiden Länder dieses Verbot nicht umgesetzt haben. Dieses Beispiel zeigt, dass die Frage nicht klar zu beantworten ist, ob Kroatien alle EU-Standards erfüllt, weil das erstens vom jeweiligen Sektor abhängt und zweitens in gewissen Bereichen auch Altmitglieder säumig sind.

      Seit dem 1. Juli 2013 hat Kroatien mit noch einer weitere Herausforderung zu kämpfen. Richtung EU sind zwar Zollschranken und Stehzeiten an den Grenzen endgültig weggefallen, doch auf der „anderen Seite“ entstanden neue Zollschranken, weil Kroatien die Freihandelszone CEFTA verlassen und das EU-Zollregime übernehmen musste, das für Länder wie Serbien sowie Bosnien und Herzegowina gilt. Auf die CEFTA entfällt ein Fünftel der kroatischen Exporte, während in der EU kroatische Marken erst bekanntgemacht und aufgebaut werden müssen. Das ist teuer, und dazu sind auch Mittelbetriebe kaum in der Lage, weil ihnen vielfach die Kapazitäten für den EU-Markt fehlen. Hinzu kommt die Krise in der Eurozone, die Kroatien ebenfalls trifft, wie in Agram der Chefvolkswirt der Splitska Banka, Zdeslav Šantić, betont: „Dieser Verlust an Exporten in die CEFTA wird kurzfristig nur schwer zu ersetzen sein. So ist die Nachfrage der Haushalte auf den europäischen Märkten weiter ziemlich schwach, und in der Euro-Zone wird die Arbeitslosigkeit heuer und im kommenden Jahr wahrscheinlich weiter steigen. Damit wird es für kroatische Produzenten sehr schwer sein, neue Märkte zu finden. Wir müssen uns auch der schlechten Konkurrenzfähigkeit bewusst sein, die die Firmen selbst kaum verbessern können, wenn es nicht zu einer Wende in der Wirtschaftspolitik kommt. Hinzu kommt, dass bei uns die Produktionskosten deutlich stärker gewachsen sind als bei unseren Haupthandelspartnern. Das zeigt, dass sich die Wettbewerbsfähigkeit beim Preis weiter verschlechtern wird, wenn der Kurs stabil bleibt.“

      Viele große Firmen haben Produktionsstandorte bereits in die CEFTA-Länder verlagert, andere werden folgen. Bereits in Serbien sowie in Bosnien und Herzegowina ist der Konzern Agrokor präsent, der im Frühsommer 2013 die slowenische Handelskette Merkator übernommen hat. Der Privatkonzern verarbeitet pro Jahr 350.000 Schweine, produziert 40 Millionen Liter Milch und bewirtschaftet 40.000 Hektar Fläche und ist damit mehr als zehn Mal so groß wie der größte österreichische Agrarbetrieb. Agrokor wird sich im EU-Wettbewerb sicher behaupten können. Generell werde der Anpassungsdruck für die Wirtschaft aber beträchtlich sein, erläutert die Vizepräsidentin des Konzerns Ljerka Puljić: „Nach dem Beitritt kommt der Anpassungsschock wahrscheinlich nicht über Nacht; doch binnen Jahresfrist

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