Der Samurai-Manager. Reinhard Lindner

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Der Samurai-Manager - Reinhard Lindner

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bedeutet ursprünglich nichts weiter als „Pflicht“. Eigentlich sollte Liebe das Gefühl sein, das alle unsere Handlungen gegenüber unseren Eltern und Mitmenschen bestimmt. Wo sie fehlt, muss etwas anderes dafür einstehen, das kindliche Ehrerbietung erzwingt. Dieses Andere bezeichnen die Japaner eben als Gi-ri. Ein von Werten geprägter Japaner denkt, wenn die Liebe nicht zum richtigen Handeln und zu edlen Taten anspornt, muss der Verstand des Menschen zu Hilfe kommen und seine Vernunft geschärft werden, um ihn von der Notwendigkeit rechter Taten zu überzeugen. Dasselbe gilt für jede andere moralische Verpflichtung. In dem Augenblick, in dem die Pflicht als eine Last empfunden wird, muss die Vernunft hinzukommen, um zu verhindern, dass wir uns der Pflicht entziehen. Folglich ist Gi-ri ein strenger Lehrmeister, der mit der Rute in der Hand die Menschen aus der Komfortzone heraustreibt, ihren Teil beizutragen.

      Wir leben in einer Zeit mit ständig härter werdenden Wettbewerbsbedingungen bei sinkenden Margen. Ist eine gewisse Schlitzohrigkeit nicht zu einer Selbstverständlichkeit geworden, um überhaupt noch konkurrenzfähig zu bleiben? Welchen Platz können realistischerweise Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit in der täglichen Businessroutine einnehmen?

      Ich bin davon überzeugt, dass ein Unternehmen heutzutage mehr denn je mit dem Engagement der Mitarbeiter steht oder fällt. Das Produkt ist austauschbar und die Produktzyklen werden immer kürzer. Selbstverständlich muss das Produkt marktgerecht sein. Aber auch die Innovation spielt eine tragende Rolle. Das beste und innovativste Produkt jedoch (ausgenommen Monopolstellungen) nützt uns nichts, wenn die Mannschaft nicht geschlossen hinter dem Unternehmen steht. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein positives Arbeitsklima und stimmige Rahmenbedingungen sich konstruktiv auf die Wertschöpfung der Mitarbeiter auswirken. Doch welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Aufrichtigkeit?

      Lassen Sie mich an dieser Stelle ein Beispiel aus meinem Alltag nennen: Ich habe in einer GmbH, an der ich beteiligt war, zusätzliche Geschäftsanteile übernommen. Dadurch wurde ich Mehrheitseigentümer. Hierfür war ein Notariatsakt erforderlich, gefolgt von einer Firmenbucheintragung und dem üblichen Procedere. Nach einigen Wochen war noch immer keine Rechnung vom Notar für seine Leistung gekommen. Ich beauftragte meine Sekretärin, in der Notariatskanzlei anzurufen, um sich nach der Rechnung zu erkundigen. Sie gab mir zur Antwort, ob ich das wirklich klug fände, denn vielleicht würde die Rechnung vergessen werden und wir könnten uns die nicht unerhebliche Summe sparen. Ich gab meiner Sekretärin zur Antwort, dass der Notar eine Leistung für uns erbracht und damit Anspruch auf sein Honorar hat, andernfalls würden wir in seiner Schuld stehen, und das könne ich auf keinen Fall verantworten. Sie schaute mich mit großen Augen an und war sichtlich überrascht.

      

Wie können wir von unseren Mitarbeitern Ehrlichkeit und Aufrich- tigkeit erwarten, wenn wir sie selbst nicht leben?

      Hier gilt „go first“: Meister Oshima (9. Dan im Traditionellen Karate) hat gelehrt: You have to teach your students with your back!20 Er hat damit gemeint, dass die Schüler das Verhalten des Meisters annehmen, aber nicht nur das Verhalten der ihnen zugewandten Seite, sondern vor allem das der abgewandten Seite. Egal, wie gut man versucht die Dinge zu verbergen, die Mitarbeiter finden heraus, was Sache ist. Die Identifikation meiner Sekretärin mit meinem Unternehmen stieg enorm. Als wir uns für einen Standortwechsel auf die „grüne Wiese“ entschieden, nahm sie sogar einen wesentlich längeren Anfahrtsweg in Kauf. On the long run rechnet sich Aufrichtigkeit immer. Offenheit und Ehrlichkeit stärken das Vertrauen und geben den Mitarbeitern Sicherheit. Wenn sie sich sicher fühlen, können sie ihre Potenziale wesentlich besser entfalten und davon profitiert das Unternehmen nachhaltig.

      Was hat es für einen Sinn, einem Handwerker oder einem Lieferanten, der eine ordentliche Leistung erbracht hat, die Rechnung sechs oder acht Wochen nicht zu bezahlen und dann, ohne dass es vereinbart war, zwei Prozent Skonto abzuziehen? Damit erzeugt man nur Krebsgeschwüre im eigenen Unternehmen. Den scheinbaren wirtschaftlichen Vorteil muss das Unternehmen durch Desorientierung und Demoralisierung der Mannschaft teuer bezahlen.

      

„In meinem Unternehmen haben Lieferanten und externe Dienstleister den gleichen Stellenwert wie Kunden.“

      Der Konzern Hewlett Packard hat einmal den Begriff „Kunde“ sehr interessant definiert: Kunde ist derjenige, der von uns etwas braucht. Dies wurde speziell auf die interne Zusammenarbeit bezogen. Konkret heißt das: Wenn die Buchhaltung vom Vertrieb etwas benötigt, sieht der Vertrieb die Buchhaltung als Kunden. HP hat dies im Unternehmensleitbild integriert und dadurch die interne Zusammenarbeit und Qualität in der Kommunikation messbar verbessern können.

      Der Dalai Lama hat in seiner Rede im Juni 2012 in der Stadthalle in Wien das Thema Umgang mit Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit sehr schön erörtert. Seine Kernaussage war: Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit machen dich frei von Angst und Stress. Es gibt nichts, das du verbergen musst. Dein Gewissen ist sauber und frei, sodass die vorhandene Energie produktiv eingesetzt werden kann. Dieses Gefühl führt zu starkem Selbstvertrauen, und ein gesundes Selbstvertrauen ist die Basis für Erfolg.

      Er erzählte, dass eine Frau ihm im Flugzeug auf dem Flug von Indien nach Österreich ein Bild von ihrem Sohn gezeigt und gesagt hatte, dieser sei geprägt von Hoffnungslosigkeit. Sie hatte die Bitte geäußert, er möge ihn segnen, und die Frage gestellt, was sie tun solle. Der Dalai Lama antwortete, dass dies speziell in der Jugend ein häufiges Symptom sei und sie möge ihm Selbstvertrauen geben. Und die Basis für Selbstvertrauen sei Ehrlichkeit. Sie solle in all ihrem Tun zeigen, dass sie es ehrlich meint. Langsam würde sie dadurch einen Nährboden für das Selbstvertrauen ihres Sohnes schaffen. Ein starkes Selbstvertrauen und gesundes Selbstbewusstsein lassen Angst, Zweifel, Eifersucht, Misstrauen usw. keinen Raum und daraus resultiert eine neue Perspektive und diese besiegt die Hoffnungslosigkeit.

      

Wir wollen von Natur aus nicht lügen und betrügen. Häufig haben wir jedoch Angst, die Wahrheit zu sagen. Angst davor, die Wahrheit könnte uns schaden.

      Dies ist unumstritten auch in bestimmten Situationen der Fall, wenn dann noch die eigene Existenz und die Existenz der Familie auf dem Spiel stehen, überlegt man sich sehr wohl, was man sagt. Es steht einem ja auch immer die Möglichkeit offen, sich der Meinung zu enthalten.

      Es geht bei diesem Thema primär nicht darum, sich mit Blauäugigkeit unnötig in Gefahr zu begeben, sondern um die Grundhaltung zum Thema Ehrlichkeit. Unser ursprünglicher Instinkt sagt uns auch, was richtig und nicht richtig, was gut und was schlecht ist. In tausenden von Gesetzestexten steht sogar niedergeschrieben, was rechtens ist und was nicht. Unser Zugang zu unserem natürlichen Instinkt ist jedoch häufig blockiert oder ganz verloren gegangen, stark beeinflusst von den Medien und dem Mainstream. Die Frage ist, wie finden wir wieder diesen Zugang zu unserem Inneren, zu unserem natürlichen Instinkt?

      Nun, es gibt natürlich verschiedene Strategien und Wege dafür. Hidetaka Nishiyama behandelt dieses Thema über die Intuition. In seinen Trainings hat er immer wieder gelehrt: „Hartes Training führt zu hohem Selbstvertrauen, Selbstvertrauen führt zur stabilen Emotionen (Gelassenheit), und die Gelassenheit ist das Tor zur Intuition. Das Problem ist nur, dass viele Menschen nicht bereit sind, hart zu trainieren, sie wollen den einfacheren Weg gehen.“ Ich werde beim Kapitel „Intuition“ noch viel genauer auf diese Thematik eingehen. Intuition ist ein Kernthema in jeder Kunst und natürlich auch im Management.

      In den „Analekten des Konfuzius“ (Lehrgesprächen) definiert dieser den Mut, indem er – wie es seine Art ist – das Gegenteil erklärt: „Bemerken, was recht ist, und es nicht zu tun, beweist Mangel an Mut.“21 Anders ausgedrückt:

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