Elisabeth, Erbin von Toggenburg. Oder Geschichte der Frauen von Sargans in der Schweiz. Christiane Benedikte Naubert
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Ich stand und schaute, stand und hörte, aber die sprechenden Gemählde der edelsten Frauen ihrer Zeit, und die hinreissenden Erzählungen der einnehmenden Aebtißinn von Zürich von den Schicksalen dieser Heiligen, waren fürwahr nicht das Mittel mir das Verlangen zu benehmen mehr, noch, mehr hievon zu wissen.
Auch deine Schwester, Ludwig, hat zuweilen die Gabe der – Ueberredung; ich siegte, und sahe, noch ehe der Abend einbrach, eine massige eiserne Truhe in mein Zimmer bringen, welche alles enthielt, was mir zum Mittel dienen sollte, mich von mir selbst loszureissen, und mich in eine andere Welt zu zaubern, als die, in welcher ich lebe. O es ist angenehm, sich so zuweilen von dem Schauplatze seiner Leiden hinweg zu stehlen.
Von derselben.
Bis am Morgen wühlte ich in den bestaubten Pergamenten, um das Interessanteste herauszusuchen, und das übrige für künftige Zeiten zu sparen, und wie gut, daß ich es that. Die Nonnen waren kaum aus der Frühmetten, als mir mein Schatz wieder entrissen ward! Die Aebtißinn kam selbst, sich zu entschuldigen, sie sprach von Klostergeheimnissen, und dem Willen des Bischofs von Chur, dem doch die große Frau, wie man die Domina von Zürich hier nennt, so viel ich weiß, nicht unterwerfen ist; aber ich war zornig und konnte mich kaum überwinden, ihr mit leidlicher Höflichkeit zu antworten, auch reut mich es nicht, daß ich die Wortbrüchiche hintergangen, und ein gutes Theil der mir entwandten Schriften auf die Seite gebracht habe; gerade, wie ich hoffe, die interessantesten, eben diejenigen, nach denen mich das Anschauen jener Bilder am begierigsten machte.
Hier, das Leben der bleichen halb verschleyerten Noria Venosta, welcher der Gram, in ihrem hohen Alter, da sie gemahlt ist, noch Reitze genug überließ, um auf die hinreissende Schönheit ihrer Jugend zu schliessen. Hier, etwas von der unglücklichen Frau von der Wart, einem gebohrenen Fräulein von Sargans, welche Muth genug hatte, auf der Gerichtsstätte, wo ihr beklagenswürdiger Gatte den Geist aufgeben mußte bis zum letzten Hauch seines Lebens zu verweilen, die sie nur verließ, um sich selbst hinzulegen und zu sterben. Hier noch etwas von zwey Fräuleins dieses Hauses die gestern im Kabinet der Aebtißinn meine Aufmerksamkeit besonders hinrissen. Ein paar einsame Wallerinnen6 (so schildert sie das Gemählde,) auf einem öden Schneegebürge; beyde mit den Zügen der Unschuld und Schönheit geschmückt, bekannte Züge, fast demjenigen gleich, was meine partheiische Freundschaft einst an Marien und der nichtswürdigen Berta bewunderte, beyde von verschiedenen Gegenden mit der Miene der namlosesten Angst, einen Weg durch das einsame Gebürge suchend, wo sie hülflos verschmachten mußten, wenn ihnen nicht einen höhere Macht den Weg zeigte. Auch dünkte7 es mich auf dem Bilde einen Schatten wahrzunehmen, der einer von den armen Pilgerinnen winkend voranschwebte, oder irgend ein Heiliger vom Himmel gesandt, sie aus dem schrecklichen Labyrinth zu führen.
Außer diesen besitze ich noch einige andere minder wichtige Fragmente, welche auf die Seite gelegt werden, bis diese durchlesen und dir mitgetheilt sind. Auch schickte mir die Domina, vermuthlich um mich zu besänftigen, durch eine ihre Jungfern das Leben einer ihrer Vorgängerinnen, welche auch ein Freyfräulein von Vatz und Sargans war, und die, wie sie meynte, vornehmlich meine Neugier bei der Bildersammlung, erregt haben würde. Ich nahm die dicke Pergamentrolle mit Dank an, und habe sie schon durchlesen und zurückgeschickt, denn sie enthielt weiter nichts, als wie diese gute Aebtißinn nicht allein eine Heilige sondern auch eine gelehrte Frau gewesen sey und mit Waltern von der Vogelweide, den Grafen von Habsburg und Welschneuenburg, wie auch dem Abt von Einsiedeln und dem Bischof von Konstanz um die Wette den Musen geopfert, und wöchentlich gelehrte Zusammenkünfte beym Züricher Bürgermeister, Rüdiger Manesse, angestellt habe.
Ich ward durch diese Dinge wenig unterhalten, und wandte mich so bald ich allein war, zu meinem heimlich entwendeten Schatz, davon du das, was ich gelesen habe, sogleich erhältst. O Ludwig, solltest du glauben, daß mich auch bey dieser Beschäftigung Montforts Andenken nicht verlassen hat? Doch wer kann bey Betrachtung dieser Muster der Verleugnung noch schwach seyn, ich lese weiter, um mich zu jedem guten Vorsatze zu stärken.
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Zweyter Abschnitt.
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Noria Venosta, von ihr selbst verzeichnet.
Es ist schön, am Abend des Lebens rückwärts zu blicken, und den Weg zu mustern, der uns zu der stillen Herberge führte, die wir nun fast erreicht haben. Zwar nur unvollkommen ist diese Uebersicht, denn die Kühle der herannahenden Nacht benimmt uns fast den Begriff von den Beschwerlichkeiten, die uns die Glut der Mittagssonne verursachte, und unser Auge gleitet über die Gebürge, die wir zu übersteigen hatten, über die tiefen Thäler, in denen wir uns zu verirren dachten, sanft hinweg. Wir erblicken nichts, als eine glatte Ebene; die Ferne des zurückgelegten Weges und die immer dichter werdende Dämmerung täuscht unsere Augen. Auch die Freuden unserer Pilgerschaft sind für uns verloren, so wie ihre Mühseligkeiten, wir erblicken nicht mehr die Blumen des Thals, bey welchem wir verweilten, noch den rieselnden Bach, der uns labte. Wir haben von dem Ganzen kein andres Gefühl, als daß es vorbey ist, und wundern uns bey flüchtiger Erinnerung oft nicht wenig, wie all diese Kleinigkeiten uns in solchem Grad rühren konnten. Dies sind die Gefühle des hohen Alters, die Ihr, für die ich schreibe, du Ursula, und du Kunigunde, zur bestimmten Zeit auch erfahren werdet. Ach bis dahin ist noch ein langer mühseliger Weg für euch zurück zu legen, und ich fühle, ich bin es auch schuldig, den Pfad, den ich gegangen bin, noch einmal zu übersehen, und euch durch Erzählung dessen, was ich auf demselben erfuhr, den eurigen zu erleichtern.
Der Frühling meines Lebens war schön und glänzend. Ich wuchs unter den edelsten Jungfrauen meiner Zeit auf und nannte Fürstentöchter meine Gespielen. Graf Habsburgs Töchter lebten mit mir wie Schwestern und unser Freundschaftsbund ward nicht getrennt; als Rudolf Kaiser ward, und ihnen die Erhöhung ihres Vaters eine Aussicht auf die ersten Fürstenstühle Europens eröffnete. Was kümmert sich Unschuld und unerfahrne Jugend um Hoheit und Größe? Dinge dieser Art, waren nur der Gegenstand unsers Scherzes; wir ließen die jungen und alten Fürsten, die sich um des Kaisers Töchter bewarben, der Reihe nach, die Musterung paßiren, wir vertheilten sie unter uns, und hatten darob unser Gelächter. Es waren ihrer gerad sieben, und da ich und die Prinzeßinnen zusammen eine gleiche Anzahl ausmachten, so ging ich nie leer bey der Vertheilung aus.
Aus dem Scherze ward Ernst, der Herzog von Sachsen, welcher bisher alle seine Wünsche auf die älteste Prinzeßinn Mathilde eingeschränkt hatte, begunnte zu sehen, daß ihre Gespielin Noria auch schön seye, und weil ich von mehrern, wegen der Gleichheit, die in allem unter uns eingeführt war und wegen unserer Unzertrennlichkeit, für die Schwestern meiner Freundinnen gehalten wurde, so hielt er es für keine große Sache, zwey Töchter eines Vaters um einander zu vertauschen, und verheelte seine Gesinnungen so wenig, daß – ich vom Hof entfernt wurde, ehe ein entscheidender Schritt in dieser bedenklichen Sache gethan werden konnte. Mein Vater war in den letzten baselschen Unruhen geblieben, meine Mutter hatte ich nie gekannt, und ich fiel der Vormundschaft meines Oheims zu, welcher große Ländereyen in Räthien gekauft hatte, und daselbst frey von dem Geräusch des Hofs das Leben der Freyheit lebte.
Graf Zirio Venosta empfing mich mit offnen Armen, und ich, so schmerzlich mir auch die Trennung von meinen Freundinnen war, konnte doch bald einsehen, welche Vorzüge die Unabhängigkeit von den Ketten des Hoflebens habe, sollten sie auch noch so leicht geschlungen seyn wie die meinigen gewesen waren. Die Luft der Freyheit wehte mir hier überall entgegen, die Räthier, welche die Fesseln ihrer Beherrscher allgemach abzuschütteln begunnten, feyerten überall Feste der Befreyung, und luden die benachbarten Walliser ein, Theil an ihrem Glück zu nehmen. Was für Scenen für ein junges fühlendes Herz, und doch hatte ich nicht Erfahrung genug das Schöne und Seltene derselben ganz einzusehen. Nicht oft wird Freyheit anders als mit Blut erkauft, und die Freude über