Ausbeutung - made in Germany. Frank Mehler
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Ja, ich muss durchhalten, irgendwie weitermachen …, von irgendeiner Arbeit leben, von dem halt, was meine Brötchengeber mir zugestehen wollen. Dieses Zugeständnis scheint aber kontinuierlich kleiner zu werden, während meine Leistungen dafür immer größer werden. Und warum werden sie das? Weil ich nicht nur von oben, sondern neuerdings sogar von unten aus den eigenen Reihen dazu gezwungen werde. Das soziale Klima ist kälter geworden, das soziale Netzwerk brüchiger, umso größer dafür die Raffgier der Besitzergreifenden. Auch wenn ich es nicht wahrhaben will, ich fühle mich zunehmend von Egoisten und ferngesteuerten Konsumidioten umgeben. Ein Konsum, der ausufern tut, der vermeintlich beruhigend auf das Gemüt wirkt. Doch man sieht und hört ja überall die Wirklichkeit: Selbst die kleinen Kinder im Land schreien bereits nach immer mehr!
Ich selbst habe mich inzwischen von den deutschen Durchschnittsbürgern weit entfernt, und offensichtlich, nach dem Zwei-Klassen-Gesellschaftssystem, soll ich auch gar nicht mehr zum Durchschnitt gehören. Ranschaffen soll ich für die »besser gestellte« Seite der Deutschen – für selbsternannte Globalisten! Ich kann mich somit ganz klar zu den deutschen Absteigern zählen, dem Landesheer der Arbeitssklaven – das Kanonenfutter sozusagen, das es im Wahn des Kapitalstrudels gewissenlos zu verpulvern gilt.
Ich lebe in einem Land umgeben von »modernen« Menschen, die mit Vollgas auf dem Weg in den Egoismus sind.
Wiederum 3 Monate später: Wumm, wumm, wumm! Es ist monoton, es ist stumpfsinnig und einfach nur zum Kotzen. Hilfe, ich will hier raus! Hört mich denn niemand? Ach so, du natürlich, liebe Maschine!
Wumm! Die Antwort.
Ich stehe auf und muss unbedingt erst einmal den steifen Hals und meine eingeschlafenen Füße bewegen. Ich will gar nicht so recht an das Körperliche denken, an meine »tollen« Perspektiven und die »üppige« Bezahlung, ich will eigentlich gedanklich defokussieren, und genau deshalb schaue ich aus dem Fenster hinaus, um mir das Positive in Erinnerung zu holen. Es muss definitiv dort draußen zu finden sein, nicht hier drinnen, zumindest nicht für mich, denn was hier in Metall läuft, das habe ich ja nun monatelang in Erfahrung gebracht. Außerdem ist die Zeit ran, das Ende »unserer« 9-monatigen Vertragsdauer naht, nach deren Ablauf und bei gleichzeitiger Weiterbeschäftigung sie normalerweise den vollen tariflichen Lohn wie bei ihrer Stammbelegschaft zahlen müssten. Aber das wird die Ausbeutung mit Sicherheit nicht tun und es gibt bereits deutliche Anzeichen dafür, dass man uns bald wieder einfach in die »Freiheit« entlässt. Ich recke und strecke mich, und ich weiß natürlich, dass es so oder so nicht viel besser werden wird. Doch nun, in Gedanken zumindest, fühle ich mich für einen kurzen Moment tatsächlich ein bisschen befreit.
Ich frage mich schon, warum die werte Lady von nebenan, die große »Alleskönnerin« an der Finn-Power, sich zwei Dosen Handpflegecreme und drei Packungen Handschuhe auf der Werkbank hinter mir bereitlegen tut. Sie schaut nicht gerade begeistert aus und es würde mich auch sehr wundern, dass sie es rein aus Nächstenliebe neuerdings gut mit mir meinen würde. Sie sagt erst einmal nichts dazu. Im Grunde spricht sie so gut wie nie mit mir. Aber jetzt, dem Gefühl nach, kann ich mir irgendwie denken, dass sie hier an der Presse schon bald die Nachfolgerin sein wird. Zwar hat der Kollege noch eine Spätschicht zu fahren, doch hat auch er längst mitbekommen, was offenbar läuft. Und gerade der Kollege hat ja immer auf einen Festvertrag in der Metallbranche gehofft. Nur leider lässt dieser bislang auf sich warten. Aber wie sagt man so schön: Die Hoffnung stirbt immer zuletzt!
Der Einrichter erscheint zur Ablöse pünktlich und sagt: »So, Jungs!« Und wir beide spitzen gespannt die Ohren. »Ab nächste Woche ändert sich hier einiges im Ablauf. Die Aufträge wurden vorerst gedrosselt, das heißt, ihr werdet erst einmal anderweitig eingesetzt. Du fährst die 2. Schicht noch zu Ende, und ab nächste Woche wird eine Kollegin von der Stammbelegschaft hier weitermachen. Ihr beide geht dann Montag mit rüber in die Werkstatt, und ihr fangt dort nicht wie bisher 0545 Uhr an, sondern zur Normalschicht um drei viertel sieben.«
»Als was wird man uns einsetzen?«, frage ich neugierig im Vorab.
»Keine Ahnung, da müsst ihr euch einfach überraschen lassen. Aber vermutlich seid ihr ganz der Willkür von Herbert und Achim ausgeliefert. Das sind die beiden Vorarbeiter dort drüben.« Er grinst. »Na ja, den einen kennt ihr ja bereits, den mit den großen Muskeln.«
»Ich hab gehört, er soll Bodybuilder sein«, sagt der Kollege.
»Ja, er ist auch ein Fitnesstrainer und er hat viele gute Ideen im Kopf. Aber verarschen lässt er sich nicht, und wenn es zufällig einmal hitzig unter den Männern werden sollte, dann ist er ebenso der Rausschmeißer hier im Betrieb.« Eine klare Ansage. »Sonst noch was?«, fragt er recht zufrieden und reibt sich die Hände. »Ach so, das mit der Demontage der Laufschienen von vorige Woche hat sich inzwischen geklärt: Den Auftrag wollte sich tatsächlich ein Schlawiner aus der Spätschicht mit auf die Abrechnung schreiben.«
»Aha!«, sage ich. Er meint die 240 Teile, die ich während einer halben Schicht demontiert hatte, und die dann irgendjemand aus der Werkstatt wieder abgeholt hat, den ich aber nicht weiter kenne. Im Betrieb ist es so: Hier wird der Arbeiter fast ausschließlich nach Auftragsbearbeitung/Stückzahlen bezahlt – außer wir Zeitarbeiter natürlich. Wenn ich den Metall-Tariflohn für die Demontage der 240 Laufschienen bekommen würde, dann wäre allein diese halbe Schicht bereits der Lohn wie für 8 Stunden Vollzeit bei Zeitarbeittarif gewesen. Und da ich es nebenbei gemacht habe, ist es sicher ein lukrativer Zuverdienst für so manch kühnen Rechenkünstler oder auch Kleinkapitalisten im Arbeitnehmerverschnitt!
»Aber jetzt sagt mal ehrlich, Jungs, so schlecht habt ihr es hier drüber an der Laufer-Presse doch gar nicht gehabt, oder?«
Ich schaue den Kollegen an, der Kollege schaut den Einrichter an und zuckt mit den Schultern. Etwas Fantastisches fällt uns beiden dazu nicht wirklich ein.
»Na ja …« Der Einrichter schaut zur Uhr. »Oh, das Taxi hätte ich fast vergessen!« Er kramt sein i Pad hervor. »Ich fliege heute noch nach Mallorca«, verkündet er stolz und tippelt fix eine Nummer. »Wisst ihr, eigentlich seht auch ihr beide so aus, als ob ihr mal Urlaub gebrauchen könntet …«
Der Kollege verdreht die Augen, und ich denke mir meinen Teil.
»Ja, hallo, ich benötige ein Taxi um 1600 Uhr von der Gartenstraße 20 nach Flughafen Tegel. Geht das so weit klar?« Er lauscht am i Pad und seine Mundwinkel ziehen sich in die Breite. Es scheint ganz gut für ihn auszusehen. »Okay, dann bis später.« Grinsend schaut er wieder auf und sagt: »Tja, Jungs, ihr wisst ja sicher, wie es ist, wenn man ein verlängertes Wochenende hat. Das muss gleich ausgenutzt werden!«
Wie immer geben wir uns Mühe: Unser neuer Vorarbeiter, der Muskelmann und Einrichter in der Werkstatt, ist tatsächlich noch eine Ecke autoritärer als der Micha, der bisher für uns Zeitarbeiter zuständig war. Wir machen jetzt verschiedene Sachen in der Produktion, die niederen unbequemeren Arbeiten natürlich. Dazu war ich bereits gestern und vorgestern zum Drehmeln in der Schleiferei gewesen. Heute haben sie den Kollegen dort eingesetzt. Ich laufe gerade an ihm vorbei, weshalb er kurz aufschaut, und ich kann förmlich die Begeisterung in seinen Augen sehen. Schließlich wissen wir beide, dass diese Arbeit kein Zuckerschlecken ist und schon gar nicht der Job, bei dem man sich unbedingt beweisen muss, wie lange zum Beispiel die eigene Lunge das Dreckschlucken verkraften kann. Andererseits wieder hat er nun wunderbare »Ruhe« im abgeschirmten Bereich und er kann sich von seinem Schleiferkumpel den ganzen Tag lang beraten lassen, wie er vielleicht doch noch zu einer Festanstellung als Handlanger in Metall kommt.