Ausbeutung - made in Germany. Frank Mehler
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»Aha! Na, wenn das bei Ihnen am Anfang schon so ist, dann weiß ich ja nicht …« › … was das werden soll‹, wollte sie wohl sagen. »Bei Ihrem letzten Kollegen ließ auch schon die Gründlichkeit zu wünschen übrig und er hat mehr Pause gemacht, als ihm eigentlich zustand. Ich denke, wir sollten uns langsam mal nach einem neuen Vertragspartner umsehen.« Sie unterschreibt und trennt den Beleg für den Kunden heraus.
Zu den Pausen sage ich nichts, ich nehme nur stillschweigend den Durchschlag vom Stundenzettel zurück. Aber es ärgert mich jetzt, dass ich die Pausenzeit nicht regulär voll ausgeschöpft habe.
»Ist noch was?«, fragt sie.
»Nein.«
»Na dann, schönen Tag noch …«
»Tschüss!«, sage ich.
Und trotzdem: Es gibt Vorteile in der Küche, die andere Brachen im Winter gewiss nicht so zu bieten haben: Es ist warm und es gibt immer etwas zu essen und zu trinken.
Der Stress fängt an
Das Leid des Spülers sind die unvermeidlichen Spülhände, wobei sie bei mir gerade erst anfangen, so richtig aufzuquellen. Dazu kommen dann irgendwann Rückenschmerzen durch eine oft gebückte Haltung beim Spülen, insbesondere beim Reinigen der schweren Töpfe und Pfannen. Auch die Knie- und Gelenkschmerzen werden sich später einstellen, wurde mir von so manchen Altspülern gesagt. Aber ich bin noch halbwegs jung, denke ich zumindest, und nehme es somit gelassen. Außerdem bin ich ohnehin ein Koch und kein Spüler mit extra Spülabitur der höheren Hauswirtschaft.
Kaum zwei Stunden später komme ich dennoch mächtig ins Schwitzen – ich habe den Mund im jugendlichen Leichtsinn wohl etwas zu voll genommen. Heute ist die Hölle los und ich stehe mittendrin im Geschehen. Eigentlich weiß ich gar nicht so recht, wo ich zwischen all den Aufwaschbergen zuerst anfangen soll.
Der Küchenchef kommt um die Ecke gestolpert und fast fällt er über einen riesigen Topf, der unten auf der Erde steht. »Man, du bist ja immer noch nicht weiter!«, nölt er die übliche Leier, die er scheinbar am besten drauf hat. Seit Tagen ist er schlecht gelaunt und seit Tagen hat er blutunterlaufene Augen. »Weißt du, tu mir bloß einen Gefallen, und ziehe endlich mal den Finger!« Er dreht sich um. »Mein Gott nee, und der Topf hier unten muss auch weg!«
»Den haben Sie doch selbst dort abgestellt«, entschuldige ich.
»Quatsch nicht rum, mache lieber!«, ist die klare Anweisung, die ich bekomme.
Ich gehe völlig unter im Modder und mir sind bereits 3 Teller aus den Händen gefallen, weil der Mensch seine Handbewegungen eben nicht x-beliebig schneller schalten kann. Das Problem ist das Greifen und Packen, ab einer bestimmten Geschwindigkeit wird man da automatisch schusselig. Aber welchen superwirtschaftlich denkenden Boss interessiert das schon, wenn doch heutzutage rein das Maximum am Limit zählt – die klingelnde Kasse natürlich. Ich gebe dennoch nicht auf und beiße mich durch, und trotzdem benötige ich zum Ende des Mittaggeschäfts tatkräftige Unterstützung von einer jungen Frau.
Später hole ich kurz Luft und rauche am Hinterausgang zum Hof mit zwei anderen Küchenhelfern eine Zigarette. Nebenher beiße ich von einem Brötchen ab, das ich mir von einer zurückgekommenen Platte des Cateringservice entnehmen durfte. Dass ich manchmal auch heimlich esse, sage ich nicht. Es sind die kleinen Bröckchen, die hier und da vom Geschäft übrig bleiben, oder die zusammengekratzten Reste aus Salatschüsseln, die ohnehin im Müll gelandet wären. Zur täglichen Verkostungsrunde unter Köchen werde ich natürlich nicht eingeladen.
Auch mit der vollen Pausenlänge sieht es heute wieder ziemlich schlecht aus – es ist noch jede Menge zu tun und wie immer sitzt einem die Zeit im Nacken. Noch dazu kommt gerade der Küchenchef raus und er sieht nicht wirklich begeistert aus, uns Helfer hier so stehen zu sehen. Meine »Kollegen« verdrehen schon die Augen. O Scheiße! denke ich.
Er kommt näher, und als er dann ganz nahe vor mir steht, kann ich es nur zu deutlich sehen, wie der Küchenfrust innerlich in ihm kocht.
»Na, ihr Urlauber, ist doch ein ganz nettes Leben bei uns«, beginnt er, die Katze aus dem Sack zu lassen. »Ja, jeden Tag kostenlos essen und trinken, hier und da eine Zigarette nebenbei, so viel Pause wie bei uns gibt es sicher nirgendwo, oder?«
Ich verneine nicht. Aber ich bin mir jetzt sicher: Er hat eine Fahne! Ich hatte zwar schon des Öfteren den Verdacht, doch jetzt kann ich sie ganz deutlich riechen. Und diese ist gewiss nicht nur rein vom Verkosten der Küchenweine her. Ich sage einfach: »Na ja, ich beschwere mich ja auch nicht.«
»Gut. Dann mache mal schnell deine Zigarette aus und gehe wieder an die Arbeit. Da steht noch eine Menge Aufwasch rum und die Kippbratpfanne ist auch noch nicht sauber gemacht. Die machst du jetzt als Erstes!«
Arschloch! denke ich. Das ist hier meine gesetzliche Pause, die ohnehin schon gekürzt ist. Doch ich murre nicht und leiste seiner Anweisung lieber Folge – dem klaren Küchenbefehl! So muss ich wenigstens nicht weiter mit ihm kommunizieren.
4 stressige Schichten weiter: Ich soll das alles nicht so nehmen, wurde mir gesagt. ›Der Chef hat halt hin und wieder seinen Rappel im Kopf, da macht man am besten einfach das, was er sagt‹, riet mir ein anderer Spüler, der meistens die zweite Schicht übernahm. Ich erklärte ihm, dass ich aber nicht der Prellbock des Küchenchefs bin und mich von einem alkoholisierten Vorgesetzten eben nicht wie das Aschenputtel behandeln lassen müsse. Er winkte dennoch ab und sagte dann: ›Das ist nun mal das leidige Los des Spülers, wenn man ganz unten auf der Hierarchieleiter steht.‹ Er meinte damit, dass wir beide in diesem feinen Laden lediglich die letzten Küchendeppen sind. Nur wollte ich das bisher so nicht wahrhaben.
Eine Schicht später: Der Chef kommt plötzlich zur Spülküche herein und sichtlich hat er etwas auf Lager.
»Sagte ich nicht, du sollst die Abzugshauben in der Küche rausnehmen und mit durch die Maschine lassen, bevor du sie sauber machst?«
»Na ja, ich dachte mir halt, ihr kocht vielleicht noch, und bevor das Fett aus den Hauben in irgendwelche Töpfe tropft, wollte ich sie lieber erst nach dem Mittagsgeschäft herausnehmen und dann ganz zum Schluss mit durchlassen.«
»Du sollst hier aber nicht denken, sondern das machen, was dir aufgetragen wird!«, werde ich scharf attackiert.
»Ach, weißt du, du Superkoch …«, sage ich, weil es mir jetzt endgültig zu blöde wird. »Ich bin selbst Koch von Beruf! Schon mal was von HACCP gehört? Die besagt zum Beispiel, dass über der Verarbeitung von Lebensmitteln nicht zeitgleich andere Arbeiten durchgeführt werden dürfen.«
»Oh, besagt sie das? Wir sind hier aber längst fertig mit kochen, kapiert?«, faucht er.
»Aber die Töpfe stehen immer noch auf dem Herd und ich habe ein erhöhtes Unfallrisiko!«, argumentiere ich.
»Ja, ja, und nachher schaffst du es wieder nicht und die Arbeit bleibt liegen …«
»Dann mache ich eben länger und die Mehrarbeit wird laut Stundenzettel mit verrechnet«, schlage ich vor.
Er zeigt mir einen Vogel und entgegnet: »Anscheinend hast du hier etwas nicht ganz verstanden. Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen und kein Wohlfahrtsinstitut! Die Arbeit ist in der Zeit zu schaffen! Nur hast du offensichtlich nicht die richtige Einstellung dazu. Außerdem ist es mir egal, was du in deinem früheren Leben einmal warst.