Im Kreuzfeuer. Christian Wehrschütz

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Im Kreuzfeuer - Christian Wehrschütz

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zunächst im Bann ganz anderer Ereignisse, denn auch der erste US-Krieg gegen den Irak fiel in die Zeit des jugoslawischen Dramas, das Europa offensichtlich völlig unvorbereitet traf, obwohl Streitkräfte und Geheimdienste immer wieder Szenarien durchgespielt hatten, wie es nach Titos Tod weitergehen könnte. Trotzdem dürfte die blutige Form des Zerfalls keineswegs zwangsläufig gewesen sein, doch sein Ereignis war so gravierend, dass es Titos Erbe im Bewusstsein der Masse der Bevölkerung unter sich begrub. Nicht zu unterschätzen ist natürlich auch der Zahn der Zeit, denn fast 30 ereignisreiche Jahre haben neue Generationen heranwachsen lassen, die mit ganz anderen Problemen des täglichen Lebens konfrontiert sind als mit Tito und seinem Wirken.

      Trotzdem lebt in der älteren Generation noch die Erinnerung an den Roten Pass fort, der den Jugoslawen ein visafreies Reisen in praktisch alle Staaten der Welt ermöglichte. Diese Tatsache spielt vor allem in den Nachfolgestaaten eine Rolle, die wie Serbien noch bis Ende 2009 von der „Papierologie“ der Visaerteilung betroffen sind. Diese Prozedur wird von den Betroffenen als persönliche Erniedrigung empfunden. Viele erinnern sich auch noch an die recht guten Gehälter, die mit relativ wenig Arbeit verdient wurden. Die Nostalgie steigt natürlich mit dem Grad der wirtschaftlichen und sozialen Probleme in den Nachfolgestaaten und dürfte damit in Slowenien und Kroatien am geringsten sein, obwohl keine Umfragedaten zu diesem Thema bekannt sind. Viele Einzelgespräche, die ich etwa in Serbien führen konnte, vermitteln den Eindruck, dass die Erfolge und Misserfolge der aktuellen Regierungen weniger an der Ära des serbischen Autokraten Slobodan Milošević, sondern viel mehr am Lebensstandard im Tito-Jugoslawien gemessen werden. Dieser Blickwinkel macht es freilich jeder Regierung schwer, erfolgreich zu sein, zumal der Kommunismus in Jugoslawien von der breiten Bevölkerung – anders als in vielen Staaten Osteuropas – nicht als gescheitertes Experiment empfunden wird.

      Je stärker der Tito-Kult verblasste, je mehr der Partisanen-Mythos aus Geschichts- und Schulbüchern verschwand, desto stärker traten die dunklen Seiten Titos und seines Regimes zum Vorschein, die in der Zeit des Kommunismus unterdrückt, verschwiegen und natürlich auch weder gelehrt noch unterrichtet wurden. In diesem Zusammenhang geht es nicht so sehr um die Vertreibungsverbrechen an den etwa 500.000 Deutschen, die nach dem Ersten Weltkrieg die größte Minderheit im Königreich Jugoslawien bildeten. Vielmehr geht es um die Verbrechen, die kommunistische Partisanen während des Zweiten Weltkriegs und als neue Machthaber in der Zeit danach verübten.

      Diese Darstellung hat nicht den Zweck, die Geschichte Jugoslawiens während des Zweiten Weltkriegs in Kurzform zu skizzieren. Daher habe ich an dieser Stelle nur zwei Beispiele aus Slowenien und Serbien gewählt, um zu zeigen, in welchem Ausmaß das Tito-Regime auf dem Weg zur Macht und in den ersten Jahren danach blutbefleckte Hände hatte – ein Umstand, der auch in der westlichen Geschichtsschreibung bis heute viel zu kurz kommt; der Kampf der Partisanen war eben nicht nur ein Kampf gegen die Besatzer, sondern hatte auch den Charakter eines Bürgerkriegs. Für die weitere Geschichte des Balkans und den Zerfall Jugoslawiens sollte dieser Umstand eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielen, auf die ich in einem anderen Kapitel noch eingehen werde. Ich möchte hier jedoch aufzeigen, dass das kommunistische Jugoslawien sehr wohl von Beginn an und auch im Lauf seines mehr als 40-jährigen Bestehens seine Opfer und Gegner hatte, für die die Lebensgeschichte vieler Dissidenten ein Beispiel bildet.

      Diese Gegner ändern nichts daran, dass sich zweifellos die Mehrheit der Bevölkerung mit Tito und seinem eigenständigen Weg identifizieren konnte, zumal nach der Absetzung von Aleksandar Ranković als jugoslawischer Innenminister und Chef des Sicherheitsapparats im Jahr 1966 auch eine deutliche Mäßigung des Regimes einsetzte. Außerdem erreichte die Bevölkerung einen Lebensstandard, der weit über jenem lag, der in den entwickeltsten Ländern des Ostblocks herrschte. Erreicht wurde dieser Standard nicht zuletzt durch den Tourismus, durch den ständigen Geldstrom der Gastarbeiter sowie durch die außenpolitische Schaukelpolitik zwischen Ost und West, die Tito nach dem Bruch mit Stalin 1948 auch westliche Hilfe bescherte.

      Hinzu kommt das große internationale Ansehen, das Jugoslawien unter Tito genoss, dessen Dissidenten – mit Ausnahme vielleicht von Milovan Đilas – in der westlichen Presse nie jene „Popularität“ erreichten oder gar gegen das Tito-Regime in Stellung gebracht wurden, wie das bei der Sowjetunion der Fall war. Hinzu kommt, dass in seiner reiferen Phase natürlich auch der Kommunismus jugoslawischer Prägung nicht mit dem sowjetischen Totalitarismus gleichgesetzt werden darf.

      Diese Differenzierung ist jedoch für die Opfer der Verfolgungen in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg und für deren Hinterbliebene ebenso wenig ein Trost wie für jene Personen, die später als politische Gegner verfolgt oder schikaniert wurden. Denn eine juristische Aufarbeitung dieser Taten oder gar eine Entschädigung der Opfer ist bisher praktisch nicht erfolgt, obwohl es etwa in Slowenien oder Serbien zu Rehabilitierungen von Personen kam, die nach 1945 von der kommunistischen Justiz und vom Staatssicherheitsdienst verfolgt wurden. Diese Verfolgung erstreckte sich auch auf die Diaspora, ein Kapitel, mit dem sich westliche Historiker bisher in viel zu geringem Ausmaß befasst haben.

      Stützen

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