Im Kreuzfeuer. Christian Wehrschütz

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Im Kreuzfeuer - Christian Wehrschütz

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an relativer Freiheit beschert hat. Sicher ist, dass Tito und seine Nachfolger mit ihrem Konzept gescheitert sind, und damit einen weiteren Beweis dafür geliefert haben, dass sich mit Zwang auf Dauer kein Staat zusammenhalten lässt. Historisch betrachtet erwies sich auch Jugoslawien als eine der vielen Fehlkonstruktionen, die die Westmächte nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zu verantworten haben. Möglich sind jedoch Zusammenwachsen und Aussöhnung unter dem Dach von EU und NATO; auf diese Weise könnte auch die Nationalitätenfrage endgültig gelöst oder weitgehend bedeutungslos werden, die dem Balkan am Ende des 20. Jahrhunderts zum zweiten Mal binnen 50 Jahren einen Bürgerkrieg und einen Sezessionskrieg bescherte und das ehemalige Jugoslawien hoffentlich zum letzen Mal zum Kriegsschauplatz werden ließ.

       Anmerkungen

       5.

       „Točno – Tačno“

       „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“

      Ludwig Wittgenstein „Tractatus logico-philosophicus“

       Sitzung der bosnischen Wahlkommission vor einem „dreisprachigen“ Plakat

      Mitte Juni 2008 fand in Brdo bei Krainburg/Kranj in Slowenien das Gipfeltreffen zwischen der EU und den USA statt. Eine bunte Schar von Journalisten bevölkerte das Pressezentrum, und die EBU, die European Broadcasting Union, war gemeinsam mit dem slowenischen Staatsfernsehen für die technische Abwicklung zuständig. Das betraf den Schnitt der Beiträge aber auch die Liveeinstiege, bei denen der Journalist als Analytiker oder Kommentator selbst zu sehen ist. Für diese Direktübertragung waren zwei nebeneinanderliegende Kamerapositionen aufgebaut. Das EBU-Team und daher auch der Kameramann kamen aus Serbien, aus Kostengründen und natürlich auch wegen der geografischen Nähe zu Slowenien. Meinen Liveeinstieg wickelte ich zeitgleich mit einem deutschen Kollegen ab. Bis zum Beginn der Sendung unterhielt ich mich mit dem Kameramann; das hörte auch mein Nachbar, der seine Sendeleitung darüber folgendermaßen aufklärte: „Ich bin nicht allein hier; neben mir steht der Kollege des ORF, der sich gerade auf Slowenisch mit dem Kameramann unterhält.“ Doch es war nicht Slowenisch, sondern Serbisch, denn der serbische Kameramann war des Slowenischen gar nicht mächtig.

      Das Unvermögen, Serbisch von Slowenisch zu unterscheiden, sei dem Kollegen nachgesehen, kam er doch aus Brüssel und nur zur Berichterstattung nach Brdo. Doch diese Unkenntnis ist kein Einzelfall, sondern eines von vielen Beispielen, wie gering das Wissen von vielen Journalisten, aber auch von Politikern und erst recht aller „Nicht-Balkanesen“ war und ist, die über das Schicksal des ehemaligen Jugoslawien zu berichten oder zu bestimmen hatten und haben. Unkenntnis (und Desinteresse) der Entscheidungsträger ist für mich daher auch einer der Gründe, warum es zum blutigen Zerfall des Tito-Staates kam. So erzählte mir vor vielen Jahren ein ehemaliger österreichischer Spitzenpolitiker über ein Gespräch, das er Anfang der 1990er Jahre mit einem belgischen Kollegen in Brüssel führte. Etwa eine Stunde lang bemühte sich der Österreicher, dem Belgier die verworrene Lage zu erklären, um schließlich mit dem Satz konfrontiert zu werden: „Ich verstehe den Konflikt immer noch nicht, denn die sprechen doch eh alle Jugoslawisch!“ „So wie Sie hier Belgisch“, lautete die ironische Antwort des Österreichers.

      „Jugoslawisch“ hat es im Vielvölkerstaat Jugoslawien nie gegeben, wohl aber eine Sprachenpolitik, die versuchte, der nationalen Vielfalt Rechnung zu tragen und gleichzeitig die Einheit des Landes zu stärken. So lernten die Slowenen Slowenisch, die Mazedonier Mazedonisch, beides Sprachen, die sich doch recht deutlich voneinander und vom „Serbokroatischen“ oder „Kroatoserbischen“ unterscheiden, das in Serbien, Kroatien, Bosnien und Montenegro gesprochen wird. Serbokroatisch, das zur Gruppe der sogenannten südslawischen Sprachen gehört, war denn auch die Verkehrssprache im alten Jugoslawien. Diese „Lingua franca“ wirkt heute noch nach; beobachten lässt sich das bei Treffen zwischen Slowenen und Mazedoniern der älteren Generation, die sich dann des Serbokroatischen und nicht des Englischen bedienen. Doch auch diese Verkehrssprache hatte ihre Besonderheiten. Zunächst wurde sie mit zwei Alphabeten geschrieben. Die Kroaten bedienten und bedienen sich des lateinischen Alphabets, die Serben lernten und lernen in den Grundschulen aber auch das kyrillische Alphabet, und offizielle staatliche Publikationen wie zum Beispiel Gesetze werden in Serbien in kyrillischer Schrift gedruckt.

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